Windenergie:Habeck will Bremser ausbremsen

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Stehen bisher erst auf 0,5 Prozent der deutschen Bundesfläche: Windkraftanlagen. (Foto: Imago/Rolf Walter)

Beim Bau neuer Windräder gibt es bisher für Bundesländer wie Bayern Sonderregelungen. Nun geht das Wirtschaftsministerium gesetzlich dagegen vor - und will die Ausnahmen im Zweifel aushebeln.

Von Michael Bauchmüller, Amman, Oliver Klasen und Johann Osel, München/Amman

Mit Größenvorstellungen ist das so eine Sache. Vielleicht hilft es deshalb, die in diesem Fall benötigte Fläche in die wunderbar anschauliche Einheit "Saarland" umzurechnen. Zwei Prozent der bundesdeutschen Landesfläche, so steht es im Koalitionsvertrag der Ampelregierung, sollen künftig für Windenergie ausgewiesen werden. 0,02 mal 357 582 Quadratkilometer sind gleich 715o Quadratkilometer. Teilt man das durch die Fläche des Saarlandes, 2570 Quadratkilometer, dann ergibt es am Ende ein Gebiet, das knapp dreimal dem Saarland entspricht. Beim Blick auf eine Deutschlandkarte klingt das nicht nach viel. Aber es hat längst viel Konfliktpotenzial entwickelt.

So groß nämlich soll bis zum Jahr 2032 die Fläche werden, auf der künftig Windräder stehen sollen. Bisher ist es nicht mal die Hälfte, gerade mal 0,8 Prozent der Bundesfläche. Tatsächlich genutzt werden sogar nur 0,5 Prozent. Klar ist also: Es muss etwas passieren und zwar für deutsche Verhältnisse sehr schnell. Nur dann hat die Bundesregierung eine Chance, auch tatsächlich ihr Klimaziel zu erreichen. Dieses lautet: bis 2030 gut 80 Prozent des Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energien zu decken, bis 2035 sollen es dann annähernd 100 Prozent sein.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat dieses Ziel in den vergangenen Monaten immer wieder benannt, die Tragweite klargemacht und auch gesagt, dass er im Zweifel bereit wäre, den rasanten Ausbau der Windenergie gegen Widerstände durchzusetzen. Er hat Bundesländer bereist, aus denen traditionell besonders viel Widerstand kommen könnte, Bayern zum Beispiel, und dort für seine Pläne geworben. Und Habeck verspürt, um im Bild zu bleiben, Rückenwind. Angesichts des Krieges in der Ukraine dürfte den letzten Skeptikern klar geworden sein, dass eine auf fossile Brennstoffe aus Russland fokussierte Energieversorgung große Risiken hat. Die Energiewende, so sein Kalkül, lässt sich nun also leichter und in größerem Tempo durchsetzen als das sonst möglich gewesen wäre.

Doch nun muss es konkret werden. Die Bundesregierung will das Zwei-Prozent-Vorhaben in ein Gesetz gießen: das Windflächenbedarfsgesetz. Noch im Juni soll der Entwurf im Kabinett beraten und dann in den Bundestag eingebracht werden, heißt es aus Kreisen des Bundeswirtschaftsministeriums.

Vorgesehen sind genaue Flächenvorgaben für jedes einzelne Bundesland zu zwei Zeitpunkten, im Jahr 2026 und 2032. So müssen Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen bis 2026 einen Anteil von 1,1 Prozent ihrer Fläche für Windräder ausweisen und sechs Jahre später 1,8 Prozent. Norddeutsche Länder, in denen der Wind stärker weht, wie etwa Mecklenburg-Vorpommern, müssen einen größeren Anteil bereithalten, Stadtstaaten wie Bremen, Berlin und Hamburg einen geringeren Anteil.

"Wir teilen das regional fair auf", sagte Habeck am Rande einer Energiekonferenz in Jordanien. Örtliche Gegebenheiten oder auch die Windverhältnisse in verschiedenen Teilen der Republik würden dabei berücksichtigt. Gleichzeitig gelte es, Hürden aus dem Weg zu räumen. "Eine Verhinderungsplanung ist natürlich nicht akzeptabel", sagte Habeck. Die geplanten Regelungen seien, "wenn sie gelingen, Meilensteine im Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland", sagte Habeck.

Bisher nutzen einige Bundesländer sogenannte Öffnungsklauseln, die den Bau neuer Windräder bremsen. So gilt in Brandenburg und Sachsen für Windräder ein Mindestabstand von 1000 Metern zu den nächsten Häusern. Und in Bayern gibt es die umstrittene 10-H-Regelung: Demnach muss der Abstand eins Windrades zur nächsten Wohnbebauung mindestens das Zehnfache der Höhe des Windrades betragen. Da moderne Windräder leicht eine Höhe von 200 Metern erreichen, ist der Ausbau der Windenergie in den vergangenen Jahren dort praktisch zum Stillstand gekommen. Zwar hat die Regierung aus CSU und Freien Wählern die 10-H-Regel kürzlich etwas aufgeweicht und Ausnahmen zugelassen, dennoch dürfte sie die neue Regelung als insbesondere gegen Bayern gerichtet verstehen.

Der Entwurf des Windflächenbedarfsgesetzes sieht vor, dass die Länder ihre Ausnahmeregelungen zwar aufrechterhalten können, aber nur dann, wenn sie den Ausbauzielen nicht widersprechen. Im Klartext: Werden die Flächenziele nicht erreicht, dann wäre zum Beispiel 10-H in Bayern hinfällig und Windräder dürften trotzdem gebaut werden, selbst wenn der vorher durch die Ausnahmeregelung vorgegebene Abstand zu Wohnhäusern nicht eingehalten wird.

Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) reagiert zunächst entspannt: "Damit können wir umgehen. Unsere ohnehin geplanten Lockerungen der 10-H-Regel bringen sogar mehr Potenzial für Windkraft, als es die Bundesvorgabe vorsieht". Allerdings sollten die Kommunen stärker an Erträgen der Windkraft beteiligt werden. Das werde die Akzeptanz erhöhen, so Aiwanger. Völlig anders redet sein Kabinettskollege, Bayerns Bauminister Christian Bernreiter (CSU). Er spricht von "perfider Gesetzestechnik und brachialer Sanktionsmechanik", mit denen die Bundesregierung Landesrecht aushebeln wolle. "Der Bund stellt damit die Windkraft gegen die Menschen", so Bernreiter.

Ein Ausweg bleibt den Bundesländern allerdings noch. Sie können bis Juni 2023 untereinander vereinbaren, dass sie ihr Ziel in einem anderen Bundesland erreichen. Es wären also theoretisch Deals denkbar, mit deren Hilfe sich etwa die bayerische Staatsregierung Windräder in Schleswig-Holstein auf die eigenen Ziele anrechnen lässt. Aus dem Ministerium heißt es, das neue Gesetz gebe "den Ländern Spielraum beim 'Wie' des Windausbaus, nimmt sie aber für das gemeinsame Ziel in die Pflicht".

Die beiden Zeitpunkte, 2026 und 2032, so heißt es aus dem Ministerium, seien deshalb so gewählt, weil die Ausweisung neuer Flächen für Windkraftanlagen drei bis vier Jahre dauere. Weitere drei bis vier Jahre dauerten Genehmigung und Bau der Anlagen.

Ein weiteres Hemmnis für den Ausbau der Windenergie ist ebendiese enorm lange Zeit, die nötig ist, bis ein neu geplantes Windrad tatsächlich steht und Strom liefert. Die drei Ministerien für Wirtschaft, Bau und Umwelt wollen diesen Prozess schneller machen. Einerseits durch die Beschleunigung von Bau und Genehmigungsverfahren, das ist weniger umstritten. Andererseits, und hier droht Knatsch mit Naturschützern, durch die Aufweichung von Artenschutzvorhaben.

So sind bisher aufwendige Prüfungen vorgeschrieben, damit sichergestellt ist, dass die Rotorblätter eines Windrades Brutvögeln nicht gefährlich werden. Diese Prüfungen hatte viele Vorhaben verzögert. Das soll nun einfacher werden, und auch die Abstände von Windrädern zu den Brutplätzen der Vögel sollen geringer werden. Entsprechende Eckpunkte hatten Bundesumweltministerium und Bundeswirtschaftsministerium schon ausgehandelt, nun sollen auch sie möglichst schnell Gesetz werden. So soll der Ausbau der Windkraft künftig im "überragenden öffentlichen Interesse" liegen. Das dürfte Genehmigungen zusätzlich erleichtern.

Auch lässt sich künftig gezielt verhindern, dass sich Brutvögel in der Nähe von Windrädern ansiedeln, indem die Umgebung der Anlagen für die Tiere unattraktiv gemacht wird. Möglich ist auch das Weglocken der Vögel zu anderen Nistplätzen. Allerdings ist vorgesehen, dass die Betreiber die Anlagen zur Nistzeit im Zweifel temporär tagsüber abschalten. Weil von alledem auch Windkraft-Betreiber profitieren, sollen die künftig "Artenhilfsprogramme" unterstützen.

Zudem gibt es auch ein weiteres Hindernis nicht mehr. Nach Angaben aus Koalitionskreisen wird das neue Gesetz im Bundesrat nicht zustimmungspflichtig sein. Das Klimaministerium habe die Regelungen so formuliert, dass die Länderkammer es mit einer eigenen Mehrheit nur verzögern, aber praktisch nicht aufhalten könne.

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