Ortsgedächtnis: SZ-Serie, Folge 2:Entdeckungsreise in die Stadtgeschichte

Ortsgedächtnis: SZ-Serie, Folge 2: Blick in die Akten: Stadtarchivar Gerhard Neumeier an seinem Arbeitsplatz.

Blick in die Akten: Stadtarchivar Gerhard Neumeier an seinem Arbeitsplatz.

(Foto: Günther Reger)

Dokumente von zusammengenommen fast einem halben Kilometer Länge beherbergt das Stadtarchiv von Fürstenfeldbruck. Der Bestand bietet auch Archivar Gerhard Neumeier immer wieder überraschende Funde.

Von Gerhard Eisenkolb, Fürstenfeldbruck

Für Archivar Gerhard Neumeier ist das Stadtarchiv ein Wissensspeicher, den jeder nutzen darf. Die hier verwahrten Dokumente, Akten und Unterlagen zur Stadtgeschichte füllen aneinandergereiht 450 Regalmeter. Es gibt also viel zu entdecken. Schließlich umfasst der Inhalt nur eines einzigen Leitzordners 700 Textseiten, sofern jedes dort abgeheftete Blatt beidseitig beschrieben ist. Jede Akte aus dem Rathaus ist zudem ein Unikat, das es sonst nirgends mehr gibt. Die Aufgabe, solche Unikate für die Nachwelt zu erhalten, unterscheidet das Stadtarchiv von einer Bibliothek, deren Bücher oft in größeren Auflagen erschienen sind.

Viele der Archivalien wie Protokolle der Stadtratssitzungen oder Melde- und Personenstandsregister zu Geburten, Hochzeiten und Tod werden platzsparend gebunden in Bänden aufbewahrt. Wobei schon der grüne, rote oder schwarze Einband den ersten Hinweis auf den Inhalt gibt. Was in fünf nicht ganz klassenzimmergroßen Magazinräumen am Theresianumweg 1 im ehemaligen Graf-Rasso-Gymnasium lagert, ist zugleich das kulturelle Erbe und Gedächtnis der Kreisstadt.

Ortsgedächtnis: SZ-Serie, Folge 2: Volle Regale: Im Archiv befinden sich die Protokollbände zu den Stadtratssitzungen.

Volle Regale: Im Archiv befinden sich die Protokollbände zu den Stadtratssitzungen.

(Foto: Günther Reger)

Großzügige Ausstattung

Schon allein die Masse der Archivalien und der Benutzerraum mit fünf Arbeitsplätzen beeindrucken ebenso wie die Ordnung im Magazin. Das erfordert Disziplin, sonst wäre nichts mehr auffindbar und die Einrichtung nutzlos. Noch etwas ist angesichts der großzügigen Ausstattung der vor neun Jahren bezogenen und auf Zuwachs des Bestands ausgerichteten Räume offensichtlich: Die Verantwortlichen im Rathaus knausern nicht, wenn es darum geht, zu dokumentieren, was die Fürstenfeldbrucker beschäftigt und wie sich die noch junge Stadt entwickelt. Das spricht für einen gesunden Bürgerstolz.

Ortsgedächtnis: SZ-Serie, Folge 2: Platz für Besucher: An diesem Tisch können ausgeliehene Dokumente gelesen werden.

Platz für Besucher: An diesem Tisch können ausgeliehene Dokumente gelesen werden.

(Foto: Günther Reger)

Wie wichtig das Stadtarchiv ist, weiß niemand besser als Neumeier. Was weggeworfen wird, "hat es nie gegeben", stellt er fest. Im Rathaus blieben sogar Schülerlisten mit Zeugnissen aus dem 19. Jahrhundert erhalten. Diese können im Archiv eingesehen werden, weil für diese personenbezogenen Akten die Sperrfrist von 90 Jahren nach der Geburt und von 10 Jahren nach dem Tod abgelaufen ist.

Klare Prinzipien

Neumeier ist Historiker. In seiner Doktorarbeit befasste er sich mit der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte von München um 1900. Geht es um seine Arbeit, hat der 62-Jährige klare Prinzipien und strenge Maßstäbe. Für ihn zeichnet sich ein Archiv dadurch aus, "dass man Unterlagen geordnet ablegen, recherchieren, finden, vorlegen und wieder an die richtige auffindbare Stelle ablegen kann". Gemessen an diesem Anspruch, verfügt zwar jede Gemeinde im Landkreis über einen Raum mit alten Unterlagen. Das muss aber noch nicht heißen, dass sich darin auch ein Archiv befindet, das solchen Ansprüchen genügt.

Ortsgedächtnis: SZ-Serie, Folge 2: Juristischer Inhalt: In den Kartons werden Akten der Klosterrichter von Fürstenfeld aufbewahrt.

Juristischer Inhalt: In den Kartons werden Akten der Klosterrichter von Fürstenfeld aufbewahrt.

(Foto: Günther Reger)

Wie die Suche nach Akten abläuft, demonstriert er am Beispiel der Suchbegriffe "Amperbad" und "Sechzigerjahre". Minuten später liegt als Fundbeispiel das Protokoll einer Diskussion am 8. August 1967 im Stadtrat zur Rechtslage und Berechtigung einer Parkwächterin vor, von motorisierten Gästen des Amperbads eine Gebühr in Höhe von 30 Pfennigen zu erheben. 20 Pfennige flossen damals in die Tasche der Wächterin, 10 Pfennige führte sie an die Stadt ab. Bei Besucheranfragen stößt Neumeier immer wieder auf Unterlagen zu Sachverhalten, von denen er nicht geglaubt hätte, dazu etwas zu besitzen. So fand er zu seiner Überraschung jede Menge Material, als ein auswärtiger Anrufer Archivalien zur Fahrradgeschichte in Bayern von 1890 bis 1914 suchte.

Solche kurios erscheinenden Erfolge sind kein Hexenwerk, sondern der Archivierungssoftware "Faust" zu verdanken. Bei Eingabe des entsprechenden Suchworts am PC spuckt dieser mit Signatur aus, welche Inhalte es dazu in welchen Akten gibt. Diese Akten werden vorgelegt oder gegen Gebühr kopiert und an den Interessenten verschickt. Selbst im Magazin stöbern, darf niemand. Dafür können die vorgelegten Unterlagen fotografiert werden. Das schont die Archivalien.

Ortsgedächtnis: SZ-Serie, Folge 2: Dokument der Entnazifizierung: Karteikarte mit dem Ergebnis eines Spruchkammerverfahrens.

Dokument der Entnazifizierung: Karteikarte mit dem Ergebnis eines Spruchkammerverfahrens.

(Foto: Günther Reger)

Unterlagen zur NS-Zeit

Am meisten nachgefragt sind Unterlagen zum Nationalsozialismus. Aus dieser Zeit gibt es im Magazin unter anderem 6000 bis 7000 Karteikarten mit dem Ergebnis des Spruchkammerverfahrens für jeden nach dem Zweiten Weltkrieg in der Kreisstadt Gemeldeten. Für den Metzgermeister Franz Schindler, der in der Augsburger Straße wohnte, endete im Januar 1947 die Entnazifizierung mit dem Urteil, "vom Gesetz nicht betroffen". Daher blieben dem 59 Jahre alten Fürstenfeldbrucker Sühnemaßnahmen erspart.

Solche Recherchen sind möglich, wenn Dokumente vorher ausgewählt - also bewertet und als aufbewahrenswert befunden -, geordnet, inhaltlich erfasst und in der Archivsoftware verzeichnet wurden. Daraus ergibt sich, was einen Archivar qualifiziert: ein großes Interesse an Geschichte, und zwar sowohl der lokalen als auch der bayerischen und deutschen, die Fähigkeit Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden und alle Schriftarten zu entziffern sowie auf die Anliegen von Benutzern einzugehen. In Fürstenfeldbruck wenden sich bis zu 400 Personen im Jahr ans Archiv. Zudem hält Neumeier es für wichtig, dass ein Archivar historisch-politische Bildungsarbeit leistet, und zwar unabhängig und kritisch.

Bildungsarbeit als Aufgabe

Den Anspruch an Bildungsarbeit setzt Neumeier als Autor und Referent um. So verfasste er unter anderem das 2021 erschienene Buch "Fürstenfeldbruck 1945 bis 1990. Von der Kleinstadt zum Mittelzentrum". Nun steht als nächstes die Ortsgeschichte von 1871 bis 1933 an. Eine Dokumentation über die NS-Zeit und die Diskussion über Straßennamen habe einige Fürstenfeldbrucker zum Umdenken angeregt, berichtet er. Eine Zusatzausbildung zum Archivar machte Neumeier, weil er als Historiker keine passende Stelle fand. Nun als Historiker in Verbindung mit der Leitung eines Archivs forschen und schreiben zu können, empfindet er als "berufliche Erfüllung".

Ortsgedächtnis: SZ-Serie, Folge 2: Auch Zeitungen kommen ins Archiv: die Ausgabe der Fürstenfeldbrucker SZ vom 4. August 1977.

Auch Zeitungen kommen ins Archiv: die Ausgabe der Fürstenfeldbrucker SZ vom 4. August 1977.

(Foto: Günther Reger)

So auskunftsfreudig der Archivar ist, die Frage nach den interessantesten Unterlagen lässt er unbeantwortet. Die Dinge, die er anderen zugänglich macht, zum Beispiel auch mal dem Haus der Bayerischen Geschichte oder Museen, sind für ihn letztlich die Grundlage für private oder wissenschaftliche Forschungen und Recherchen. Daraus entstehen Bücher, Aufsätze, Vorträge, Ausstellungen oder Doktorarbeiten. Daher kann für bestimmte Menschen etwas hochinteressant und brisant sein, was andere für banal halten.

Ansprechpartner des Stadtarchivs am Theresianumweg 1 (Rückgebäude) ist Gerhard Neumeier. Der Eingang befindet sich am Niederbronnerplatz. Telefonisch ist das Archiv zu erreichen unter 08141/535 99 73. Öffnungszeiten: Montag bis Mittwoch jeweils von 9 bis 12 Uhr und von 14 bis 16 Uhr sowie nach Vereinbarung.

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