Wohlstand:Projekt Verzicht

Wohlstand: "Frieren für die Freiheit": Wer Verzicht verlangt, sollte die Botschaft sehr gut vermitteln können - für alle Schichten der Gesellschaft.

"Frieren für die Freiheit": Wer Verzicht verlangt, sollte die Botschaft sehr gut vermitteln können - für alle Schichten der Gesellschaft.

(Foto: Catherina Hess/Catherina Hess)

Man sollte die Bereitschaft vieler Menschen nicht überschätzen, sich wegen des Ukraine-Krieges einzuschränken. Es braucht auf jeden Fall eine Politik, die die Chancen und Belastungen ganz klar benennt.

Kommentar von Katharina Riehl

Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann drehte im Frühling nachts immer die Heizung runter, denn Finanzminister Christian Lindner stimmt die Deutschen auf einen "Wohlstandsverlust" ein, den auch der Staat nicht auffangen kann, Wirtschaftsminister Robert Habeck weiß, dass es bei der Energieversorgung bald noch "ruckeln" könnte, und der frühere Bundespräsident Joachim Gauck findet, dass wir "auch einmal frieren können für die Freiheit".

Kaum ein Tag vergeht derzeit angesichts unglaublicher Inflationszahlen und drohender Energieknappheit, angesichts von Sondervermögen für die Bundeswehr und Weizenkrise, an dem nicht irgendwo jemand zum Maßhalten und Kürzertreten aufgerufen wird. Tenor: Schnallt den Gürtel enger, liebe Leute, sonst rutscht bald die Hose.

Es sind Wochen der Verzichtsrhetorik, die nicht nur unschöne Fakten benennt und das Volk auf schlechte Zeiten einstimmt, sondern auch stets den materiellen Wohlstand gegen existenzielle Bedrohungen aufrechnet: Sommerurlaub gegen Bombenhagel, Zweitwagen gegen zerstörte Kinderkrankenhäuser. Im Kern dreht es sich immer um die Frage: Was ist euch wichtiger - euer eigenes bequemes Leben oder Frieden in Europa?

Die Krise als Chance umdeuten: eine Spezialität der Deutschen

Man kann nur staunen über die beeindruckende Hingabe, mit der die Deutschen ihre Krisen zu gesamtgesellschaftlichen Projekten umdeuten. Die Krise, die der russische Angriffskrieg auch in Westeuropa ausgelöst hat, soll irgendwie auch als Chance auf ein einfacheres (und dadurch besseres) Leben verstanden werden; schöner und schlichter, so wie die Dinge aus dem Manufactum-Katalog. Denn wer braucht schon, wenn es wieder Herbst wird, noch 22 Grad im Wohnzimmer, und ist Fahrradfahren nicht eh viel gesünder?

Die Art und Weise, in der derzeit über die wirtschaftlichen Folgen des Kriegs gesprochen wird, erinnert stark an das Frühjahr 2020, als die Corona-Pandemie dem Land seinen ersten Lockdown bescherte. Als die Hefe ausverkauft war und stündlich Fotos von selbstgebackenen Broten bei Instagram auftauchten, als der völlige Rückzug auf das eigene Zuhause und die eigene Familie plötzlich nicht nur eine epidemiologische Notwendigkeit war, sondern auch in eine Gelegenheit zur Entschleunigung umgedeutet wurde. Als das Zuhausesitzen für eine kurze Zeit sehr romantisch war und das Land noch von der Idee beseelt, dass Corona alle Deutschen gleichermaßen treffen würde. Dass ein großes "Wir" gerade eine gemeinsame Erfahrung macht.

Es stellte sich dann bekanntlich heraus, dass eben nicht alle dieselben Erfahrungen gemacht haben, weil so ein Lockdown deutlich weniger schön und schlicht war, wenn man keinen Job fürs Home-Office hatte oder plötzlich gar keinen mehr, oder eine zu kleine Wohnung, in der die Kinder sich nach kurzer Zeit die Köpfe einschlugen, oder wenn man nicht ausreichend Deutsch sprach, um ihnen bei den Hausaufgaben zu helfen.

Wenn die Erzählung von Wohlstand und Verzicht wie Hohn klingt

Was das Land gerade erlebt, ist ein ähnlich wohlfeiler Diskurs wie damals, nur unter anderen Vorzeichen. Wer die gestiegenen Treibstoff- und Lebensmittelpreise vor allem als Weckruf sieht, mal ein bisschen weniger zu fliegen, weniger Einkäufe wegzuwerfen und sich morgens kalt abzuduschen, der hat es im Leben wahrscheinlich ziemlich gut getroffen. Wohlstand wird mit großer Leidenschaft gegen das Wohlergehen aufgerechnet, im Zentrum immer die Frage: Wie viel Wohlstand braucht man eigentlich zum Glück? Und wäre nicht ein bisschen weniger für alle besser?

Natürlich ist Verzicht an vielen Stellen möglich und notwendig, und klar ist auch, dass der Kampf gegen die Klimakrise ohne einen veränderten Lebenswandel sehr vieler Menschen nicht gelingen kann. Aber für all jene, die wegen 8,1 Prozent Inflation kaum noch ihre Familie satt bekommen, kann die Erzählung von der Reduzierung, vom Verzicht auf den Überfluss nur wie Hohn klingen. Man ist da schnell bei sehr grundsätzlichen Fragen: Wie viel Wohlstand ist denn nun eigentlich angemessen? Wo genau beginnt der Überfluss, gegen den wir uns angesichts der Toten in der Ukraine nun endlich stellen sollen? Beim ersten Auto? Beim zweiten Auto? Und auch dann, wenn zwei Elternteile vom abgelegenen Dorf aus jeden frühen Morgen in die weit entfernte Arbeit fahren müssen?

Völlig unstrittig, dass Deutschland eine Debatte über Wohlstand und Verzicht führen muss, aber es muss eine sein, die alle Milieus ernst nimmt. Diejenigen, für die materieller Wohlstand nur ein abstraktes Konstrukt ist mit wenig Bezug zum eigenen Leben. Aber auch diejenigen, die nicht verstehen, warum sie ihr hart verdientes Geld nicht in ein Auto mit Allradantrieb oder einen Skiurlaub investieren sollen.

Die Politik sollte die Bereitschaft der Menschen nicht überschätzen, sich von Dingen zu lösen, die das Leben besser und angenehmer machen. Hier nur auf den eigenen Antrieb einer großen Mehrheit zu setzen, weil ja alle so schrecklich vernünftig sind, ist zu wenig. Wenn Verzicht unvermeidlich ist, muss diese Botschaft politisch gut begleitet, müssen die Chancen und Opfer offen kommuniziert werden. Es braucht eine Politik, die das ganze Dilemma auch benennt.

Es ist ja kein Wunder, dass genau in der Bewertung seiner Krisenvermittlung Wirtschaftsminister Robert Habeck (selbst ja durchaus Anhänger der Verzichtsdebatte) so viel besser abschneidet als Bundeskanzler Olaf Scholz. Der eine beschreibt regelmäßig und in minutenlangen Videobotschaften sein eigenes Ringen mit harten politischen Entscheidungen, der andere lässt die Bürgerinnen und Bürger alle paar Wochen einmal wissen, dass sie mit den Ergebnissen seines Ringens jetzt gefälligst mal klarkommen sollen.

Worte sind sehr wahrscheinlich nicht die Stelle, an der gespart werden sollte.

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