DFB-Elf in der Einzelkritik:Hofmann hätte der Held werden können

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Verpasste das zweite Tor und den möglichen Siegtreffer: Jonas Hofmann. (Foto: Anna Szilagyi/AP)

Der Flügelspieler passt, als er schießen sollte. Timo Werner tut instinktiv das Falsche - und Nico Schlotterbeck zeigt eine hervorragende Unschuldsmiene. Die DFB-Elf in der Einzelkritik.

Von Philipp Selldorf, Budapest

Vier Unentschieden hintereinander, das gab es in der Geschichte der deutschen Fußball-Nationalmannschaft noch nie. Folgende Akteure waren am 1:1 gegen Ungarn in Budapest beteiligt:

Manuel Neuer

(Foto: Alexander Hassenstein/Getty Images)

Die vorsichtige Anfrage eines Reporters, ob denn nicht mal ein Wechsel im Tor denkbar wäre mit einer wohlwollenden Berücksichtigung des Europacup-Helden Kevin Trapp, wurde von Hansi Flick als geradezu abstruses Gedankenspiel zurückgewiesen. Mit ein paar Weltklasse-Paraden hatte Neuer zuletzt wieder angezeigt, dass er nach wie vor auf der Höhe seines Könnens anzutreffen ist, das erste Eingreifen in Budapest taugt allerdings nicht als Zeugnis seiner Einmaligkeit: Wie der Rest der deutschen Deckung ließ er sich überraschen und wehrte Sallais Kopfball nicht optimal ab - nach vorn statt zur Seite. Prompt schlug es ein in seinem Tor. Ketzerische Fragen beantwortete Neuer dann jedoch angemessen mit einer unbeirrten Vorstellung und starken Paraden. Vor der Pause rettete er im Stil von Wladislaw Tretjak das Remis - wie der große Eishockeytorwart stoppte er das Spielgerät mit dem blitzschnell exponierten Schlittschuh.

Thilo Kehrer

(Foto: Laszlo Szirtesi/Getty Images)

Ein Lieblingsschüler des Bundestrainers. Übernahm auf rechts den Posten von Lukas Klostermann, und wie so oft ließ sich nicht auf Anhieb sagen, welche Argumente außer seiner Vielseitigkeit für Kehrer gesprochen hatten. Hielt seine Position und konzentrierte sich auf die Deckungsarbeit und erfüllte somit seinen Kernauftrag. Im konstruktiven Pass-Spiel zurückhaltend und auch nicht immer zuverlässig. Mit seinem Rückpass auf Neuer in der 72. Minute hätte er beinahe seine Nebenrolle verlassen - die Ungarn ließen ihn gnädig entkommen.

Niklas Süle

(Foto: Matthias Koch/Imago)

Erprobte die Belastbarkeit des Verhältnisses zu seinem künftigen Vereinskollegen Schlotterbeck, indem er ihm einen tödlichen Pass schickte - diesmal allerdings in der vergifteten Variante (36.). Das blieb zwar der einzige drastische Aussetzer, dennoch war der Moment nicht ganz untypisch für den Auftritt. Wirkte manchmal unkonzentriert, sogar ein wenig abwesend. Mitverantwortlich für die teilweise drastischen Lücken in der deutschen Deckung, zumal in der Schlussphase der Partie.

Nico Schlotterbeck

(Foto: Marton Monus/Reuters)

Erwarb einen wertvollen Scorerpunkt, als er Jonas Hofmann beim Ausgleichstreffer assistierte. Stellte damit eine seiner Stärken unter Beweis, das Bewusstsein für die offensiven Möglichkeiten. Fiel auch sonst durch Angriffslust und sein allseits geschätztes Draufgängertum auf. Der eine oder andere Fehlpass in der Vorwärtsbewegung gehört gleichwohl ebenfalls zu seinem Standardprogramm. Hervorragende Unschuldsmiene nach dem taktischen Foul infolge von Süles Fehlpass, die gelbe Karte konnte er damit allerdings nicht aufhalten.

David Raum

(Foto: Alex Grimm/Getty Images)

Machte immer wieder dort weiter, wo er gegen England aufgehört hatte. Als Ein-Mann-Vorwärts-Unternehmen auf der linken Seite unterwegs, suchte die gegnerische Grundlinie und jede Gelegenheit zum Flankenball. Defensiv zunächst allerdings mehr gefordert, als ihm in seinem Offensiv-Drang lieb war.

Joshua Kimmich

(Foto: Marton Monus/Reuters)

Als Raum- und Spielordner in der Zentrale kam er seinen Aufgaben pflichtbewusst und meistens versiert nach. Mit diesen Aufgaben war er allerdings hinreichend beschäftigt, seine weiteren Kompetenzen als maßgebende Größe in der Mitte des Geschehens konnte er selten verwirklichen, sein Einfluss auf die Spielgestaltung hielt sich daher in Grenzen.

Leon Goretzka

(Foto: Anna Szilagyi/AP)

Hatte angeblich wegen seiner Herzchen-Geste beim Münchner EM-Treffen mit Ungarn kein herzliches Willkommen in der ungarischen Fankurve zu erwarten. Dies erwies sich aber als Ente der Regenbogenpresse. Goretzka konnte das recht sein. Weniger recht musste es ihm sein, dass die Partie auch sonst relativ wenig Notiz von ihm nahm. Versuchte fleißig mitzuspielen, lief eifrig zwischen den Strafräumen umher, nahm aber keine prägende Bedeutung an. Folgerichtig, dass er das Feld für Ilkay Gündogan räumen musste.

Jonas Hofmann

Traf wie auch schon gegen England: der Gladbacher Jonas Hofmann. (Foto: Marton Monus/Reuters)

Seine Wiederberufung zeugt von seinem gestiegenen Stellenwert in der Nationalelf. Schon gegen England der gefährlichste deutsche Angreifer, und auch diesmal war er der Mann des goldenen Tores. Versteht es, sich mit seinen geschickten Laufwegen im entscheidenden Moment Platz zu verschaffen, bei seinem Ausgleichstreffer half ihm allerdings der ungarische Torwart Gulasci durch fehlgeleitetes Timing. Hofmann hätte der Held des Abends werden können, wenn er den Alleingang in der 72. Minute mit einem Torschuss abgeschlossen hätte - stattdessen spielte er selbstlos zu Werner rüber und vergab damit die beste deutsche Möglichkeit in der Partie.

Kai Havertz

(Foto: Alex Grimm/Getty Images)

Auf dem Posten von Thomas Müller in einer Schlüsselrolle, wo ihn allerdings eine disziplinierte, bestens sortierte ungarische Deckung in Empfang nahm. An seinem 23. Geburtstag bereiteten ihm die Gastgeber, pardon für die platte Analogie, keinerlei Geschenke, Havertz musste sich in jede Szene hart hineinarbeiten, es war alles andere als eine fröhliche Partie für ihn. Wie in den Einsätzen zuvor mochte man ihm für seinen Auftritt keinen Vorwurf machen, für große Komplimente reichte es aber auch diesmal nicht. Hatte noch seinen wertvollen Augenblick, als er in der 72. Minute Hofmann freispielte, doch der verdiente Scorerpunkt blieb ihm verwehrt.

Jamal Musiala

(Foto: Laszlo Szirtesi/Getty Images)

Eigentlich sei er ja viel zu gut, um nicht immer zu spielen, pflegt Julian Nagelsmann in München Musiala zu trösten, wenn der Trainer wieder mal keinen Platz für das Spitzentalent findet. Hansi Flick kennt das Problem, diesmal beantwortete er es resolut, indem er Musiala dem formschwachen Leroy Sané vorzog. Der 19-jährige Münchner erwies sich wieder als konkurrenzfähige Lösung, er hatte seine typischen Szenen, in denen er mit dem Ball loszog und ihn nicht wieder hergab, obwohl sich eine ganze Meute gegnerischer Verteidiger auf ihn stürzte. Oft jedoch lief er sich bei diesen Solo-Vorstößen im Getümmel fest und stellte dann mit einem Zurück-auf-Los-Pass den Ursprungszustand her.

Timo Werner

(Foto: Bernadett Szabo/Reuters)

Nutznießer eines von Hansi Flick gestarteten Sonderförderprogramms, in dessen Mittelpunkt Timo Werner steht. Erhielt den bevorzugten Job als zentrale Spitze, konnte sich dort aber wieder nicht über die bekannten Vorbehalte hinwegsetzen. Sein Tempo-Vorsprung brachte keine Effekte, weil er immer wieder zu früh startete und sich dadurch bereits im Abseits befand, wenn der Ball kam. Fleißig war er aber - und durchaus ein Stress-Faktor für die ungarische Abwehr, Werner erwirtschaftete einige Ecken. Doch wenn es darauf ankam, instinktiv das Richtige zu tun, tat er oft instinktiv das Falsche - wie in der beispielhaften Szene nach Musialas Zuspiel, als er ins Dribbling ging und scheiterte, statt den gut postierten Havertz einzusetzen (54.).

Ilkay Gündogan

(Foto: Matthias Koch/Imago)

Kam in ein festgefahrenes Spiel, als er den Platz von Goretzka einnahm. Gündogan vermochte das statische Gebilde nicht mehr aufzulockern.

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