Ökologie und Agrarwirtschaft:Wenn Essen zu teuer wird

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Der Bauernverband fordert, dass Landwirte die Produktionskapazitäten in Deutschland ausweiten dürfen. (Foto: Jens Büttner/dpa)

Der Bauernverband und Landwirtschaftsminister Özdemir sind sich einig: Die Politik sollte etwas gegen steigende Lebensmittelpreise tun. Doch ihre Lösungswege unterscheiden sich.

Von Jens Schneider, München

Der Anstieg hat längst begonnen. Jeder kann ihn beim Einkauf spüren, nicht nur beim Preis von Butter, der in den vergangenen Monaten besonders auffällig in die Höhe gegangen ist. Aber das ist offenbar erst der Anfang. Die Bürger müssen sich für die kommenden Monate auf deutlich höhere Lebensmittelpreise einstellen, und in der Bundesregierung wird darüber nachgedacht, wie die Last beim Kauf von Lebensmitteln gerade für Menschen mit niedrigen Einkommen verringert werden könnte. Zum Herbst und Winter dieses Jahres rechnet Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) mit einer weiteren starken Teuerung.

Schon im April lagen die Erzeugerpreise bei landwirtschaftlichen Produkten um 39,9 Prozent höher als 2021. Wie das Statistische Bundesamt am Dienstag mitteilte, war dies der höchste Preisanstieg gegenüber einem Vorjahresmonat seit Beginn der Erhebung im Jahr 1961. "Die Lebensmittelpreise werden meines Erachtens noch weiter ansteigen", sagte der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, zum Auftakt des Bauerntags in Lübeck. Der Bundeslandwirtschaftsminister sprach an, dass die gestiegenen Lebensmittel- und Energiepreise "vielen Bürgerinnen und Bürgern, die jeden Cent umdrehen müssen, große Sorgen" bereiteten.

So wurde beim Bauerntag schnell deutlich, wie sehr der Krieg in der Ukraine den Alltag nicht nur der Landwirte, sondern aller Bürger weiter verändern könnte, weil wichtige Rohstoffe und das Getreide knapp werden. Der Bauernverband leitet daraus die Forderung ab, dass sich die Landwirtschaftspolitik ändern müsse. In seiner Auftaktrede forderte der Verbandspräsident, dass angesichts weltweit knapper Getreidemengen die Produktionskapazitäten in Deutschland ausgeweitet werden. Russlands Präsident Wladimir Putin setze Lebensmittel als Waffe ein. "Dieses Schwert muss stumpfer werden, und wir können es stumpfer machen." So könnten mit einer vorübergehenden Nutzung zusätzlicher Flächen 1,4 Millionen Tonnen Weizen mehr erzeugt werden. Er erwarte von der Politik, dass sie dieses Instrument nutze.

Zwar betonte Rukwied, dass er sich nicht für eine Kehrtwende in der Agrarpolitik ausspreche. Grundsätzlich müsse am Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit und Klimaschutz festgehalten werden. Aber der Bauernverband will, so Rukwied, angesichts der Knappheit "nachjustieren". Konkret würde das zumindest eine Teilabkehr bedeuten, indem von der EU vorgesehene Brachflächen für die Bewirtschaftung freigegeben werden. "Da müssen manche auch ein Stückchen über ein Hindernis springen", sagte er an die Politik gerichtet.

Mit Blick auf die weitere Preisentwicklung rechnete Rukwied vor, wie stark die Belastung der Landwirte sei. So habe sich der Düngemittelpreis vervierfacht, der Preis für Futtermittel verdoppelt. Es herrsche bezüglich der weiteren Entwicklung eine große Unsicherheit. "Wir leben ein Stück weit im Blindflug."

Der Bundeslandwirtschaftsminister sprach am Nachmittag vor dem Bauernverband und warb für eine nachhaltig orientierte Agrarpolitik. Es gehe um Pragmatismus und die Bereitschaft, gute Lösungen zu finden, sagte er. Manche machten sich vielleicht schon Sorgen, weil er als neuer Landwirtschaftsminister Vegetarier ist. Er könne die Landwirte beruhigen: "Wenn ich meine Politik nach meinen persönlichen Ernährungsgewohnheiten orientieren würde, dann würde mir meine argentinische Frau mit dem Steak eins überbraten." Sein Ziel sei es, dass die Landwirtschaft weniger krisenanfällig werde.

Özdemir warnte aber davor, wegen der aktuellen Krise den klimafreundlichen Umbau der Landwirtschaft in Frage zu stellen. "Wer diesen barbarischen Krieg und seine Folgen für die Welternährung jetzt so begreift, dass wir Landwirtschaft nach altem Muster betreiben", der leiste den Kindern und Enkelkindern "einen Bärendienst". Er hat angesichts der Ukraine-Krise ermöglicht, dass in diesem Jahr ausnahmsweise Gras und Pflanzen von bestimmten "ökologischen Vorrangflächen" als Futter genutzt werden dürfen. Er wandte sich aber gegen Forderungen, auf Brachflächen wieder alles machen zu können und dort etwa Getreide anzubauen. Er wolle diese "wertvollen Artenvielfaltsflächen" erhalten und lehne eine "Hochertragslandwirtschaft" mit Düngern dort ab.

Mit Blick auf die Preisentwicklung hat Özdemir bereits vor dem Bauerntag vorgeschlagen, die Mehrwertsteuer auf Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte zu streichen. "Dass das aktuelle Mehrwertsteuersystem einmal grundsätzlich auf den Prüfstand gehört, darüber kann es nicht ernsthaft Streit geben", erklärte der Grünen-Politiker in der Rheinischen Post. "Logik, Einfachheit und Nachhaltigkeit sind dabei die Stichworte. Da landet man dann schnell bei meinem Vorschlag."

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