"Die Toten Hosen" in München:Dezent spektakulär

"Die Toten Hosen" in München: Kurz vor seinem 60. Geburtstag: Sänger Campino begeistert noch immer die Massen.

Kurz vor seinem 60. Geburtstag: Sänger Campino begeistert noch immer die Massen.

(Foto: Robert Haas)

Campino gibt mit seiner Noch-immer-Punkband, einer der dienstältesten Gruppen der deutschen Musikszene, im Olympiastadion ein umjubeltes Konzert - mulmige Gefühle hin oder her.

Von Ralf Dombrowski, München

Wenn es so einfach wäre! Aber da ist dieser Fernsehturm, angestrahlt in blau und gelb. Man sieht ihn den ganzen Abend über, kann ihn nur vom vorderen Wellenbrecher aus ausblenden, wenn der Bühnenaufbau im Olympiastadion den Panoramablick auf das Ganze überdeckt. Er ist ein Erinnerungsanker der Wirklichkeit, der den Budenzauber überragt. Und die Musiker aller drei Bands wissen um die Eigenartigkeit der Situation, einerseits aus Leibeskräften zu feiern, während auf der anderen Seite das diffuse Gefühl nur mühsam von Bier, Merchandise und Musik kompensiert wird, dass da etwas den Bach runtergeht.

Das Ansagenmantra des Abends ist daher auch die Dankbarkeit, die Verbrüderung, das Wiederauferstehen aus dem konsumzivilisatorischen Restriktionsraum in sonderbaren Zeiten. Endlich wieder da sein! Wieder feiern dürfen! Hier mit euch, im friedlichen München, wo doch andernorts die Welt gerade havariert! Und wo doch so viele Diskurse eigentlich im Wege sind, um unbeschwert mal bei sich und im rauschhaften Kreis Gleichgesinnter verweilen zu können. Da ist etwa die Frage der Nachhaltigkeit, die einem Mega-Energie-Event wie einer Stadiontournee entgegen steht und über korrekte Partner abgemildert wird, die sich mit ihrem Engagement für sauberes Wasser oder die Aufnahme von Flüchtlingen einsetzen. Ein schönes Aufreger-Thema ist auch das Männerbundhafte alternder Rockmusik, so gar nicht opportun im Sinne vielfältiger Gleichstellungen der Gegenwart.

"Die Toten Hosen" in München: Pathos, Saufen, Freundschaft, Fußball: Das bewährte testosterone Quartett der Wohlfühloptionen - auch davon lebte das Konzert im Olympiastadion.

Pathos, Saufen, Freundschaft, Fußball: Das bewährte testosterone Quartett der Wohlfühloptionen - auch davon lebte das Konzert im Olympiastadion.

(Foto: Robert Haas)

Doch wenn man den ganzen Fächer der Gegenargumente öffnet, dann merkt man, wie souverän Die Toten Hosen im Umgang mit den Ansprüchen geworden sind, die an sie als eine der dienstältesten Bands der deutschen Rockmusik herangetragen werden. Sie sind in die Rolle des Widersprüchlichen hineingewachsen und haben es geschafft, sich darin weitgehend ironiefrei einzurichten. Als sie als Düsseldorfer Bubencombo mit den ersten acht flegelhaften Liedern und struwweligem Outfit auf die Bühne stiegen, war Punk eigentlich schon durch. Sie behaupteten ihn trotzdem. Alkohol galt noch als Kulturgut, die Hosen schrieben als Antwort alberne Trinkhymnen auf Gruselschnäpse des Wirtschaftswunders.

Als sich in Burglengenfeld das Anti-Atomkraft-Gewissen auf der Bühne versammelte, waren sie zusammen mit der Biermösl Blosn letztlich die einzigen echten, linkspolitischen getränkten Punks des WAAnsinns-Festivals. Sie legten sich mit Uli Hoeneß an, als jener noch der Doge des heimischen Fußballs war, und unterstützten Fortuna Düsseldorf mit Konzertspenden, lange bevor der Underdog-Flirt im St. Pauli-Gewand en vogue wurde. Die Toten Hosen haben also ziemlich vieles richtig gemacht, ohne ihr Gesicht an Business und Marketing zu verlieren, und deshalb können sie ernten, ohne an das Renteneinstiegsalter des domestizierten Punks denken zu müssen.

Der Sound ist ausgezeichnet, die Show dezent spektakulär

Ihr Programm nimmt all die Phasen auf, "Alle sagen das" trifft auf "Bonnie & Clyde", "Altes Fieber" auf "Steh auf, wenn du am Boden bist", "Alles aus Liebe" auf "Hier kommt Alex", das vor den beiden Zugabenblöcken zahlreiche Bierbecher zum Fliegen bringt. Campino schafft es, mit den Mythen zu kokettieren, gönnt sich vier Tage vor seinem runden Geburtstag ein letztes Mal das "Wort zum Sonntag" in der Originalversion, bevor er das Visionsalter im Lied auf 70 hochschrauben muss. Die ganze Band, im Videovorspann auf Breitwand unchained als reitende Cowboygang eingeführt, umgibt sich mit der Aura des zwar ein wenig lauten und mit kleinen Fluchten wie dem Totenkopf auf dem E-Bass spielenden, aber durch und durch integren Männerclubs aus der Mitte der rockenden Gesellschaft.

Der Sound ist, wenn die Gitarrenbretter es erlauben, ausgezeichnet, die Show dezent spektakulär mit viel Video im Musikerrücken, ein wenig Pyrotechnik und satten zwei Stunden Song-Marathon kompakt arrangierter Stücke. Es wird viel gesungen, viel gegrölt und im Publikum umarmt. Am Ende dann im zweiten Zugabenblock noch einmal Pathos, Saufen, Freundschaft, Fußball, das bewährte testosterone Quartett der Wohlfühloptionen. Das hatte viel Potenzial, um sich treiben zu lassen.

"Die Toten Hosen" in München: "Alles aus Liebe": Campino legt sich mächtig ins Zeug, um sein Publikum mit alten Hits und neuen Songs zu beglücken.

"Alles aus Liebe": Campino legt sich mächtig ins Zeug, um sein Publikum mit alten Hits und neuen Songs zu beglücken.

(Foto: Robert Haas)

Und doch spielen eigentlich Feine Sahne Fischfilet, die zusammen mit den Partyrockern Donots den Toten Hosen sekundieren, den Song, der das schwelende Gefühl der Ohnmacht in Musik packt, das seit mindestens zwei Jahren ganz hinten, unten lauert. Er hat jüngere und bei aller Sympathie für die kathartische Dröhnung in anderen Liedern der Band deutlich nüchternere Vibes, die zur den Farben des Olympiaturms passen. Als letztes Stück, bevor die Roadies die Bühne für die Düsseldorfer optimierten, singen Feine Sahne Fischfilet "Komplett im Arsch".

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