Traditionsveranstaltung in Bad Tölz:Froh walzen in der Morgensonne

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Auf der Terrasse des Kurhauses drehen sich die Paare beim Tölzer Kocherlball. 2022 fand das Tanzvergnügen erstmals nach der Corona-Pause wieder statt. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Nach zweijähriger Zwangspause findet am Tölzer Kurhaus wieder ein "Kocherlball" statt. Etwa 100 Tanzbegeisterte amüsieren sich bei Polka und Galopp, und Einheimische wie Touristen hoffen auf eine Fortsetzung des Spektakels.

Von Claudia Koestler, Bad Tölz

Der Elefant im Raum, um eine aus dem angelsächsischen Sprachraum stammende Metapher zu bemühen, ist natürlich die Uhrzeit: Wenn der Wecker gegen 4.30 Uhr morgens schallt, tut das weh, Punkt. Doch für solch gnadenloses Frühaufstehen gibt es einen guten Grund: Es ist wieder Kocherlball in Bad Tölz. Und Kaffee hin oder her, es sind Anblick und Atmosphäre am Kurhaus, die eine kurze Nacht schnell vergessen machen: Um sechs Uhr morgens ist dort der Himmel längst hellblau, die Vögel zwitschern, erste Sonnenstrahlen tauchen die Welt in ein sanft-goldenes Licht. Die perfekte Kulisse für Menschen in Trachtengwand oder feiner Sommerkleidung, die sich zu einer musikalischen Mischung aus bürgerlichem Festprogramm und ländlichen Stücken auf der Terrasse drehen.

Hand in Hand im Wiegeschritt. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Es ist diese Kombination aus Tanz, Musik, Kleidung und frischem Sommermorgen, die diesen Ball von anderen Festivitäten unterscheidet. Schließlich hatten früher die "Kocherl", also das Küchenpersonal, die Dienstmägde und Diener nur in aller Herrgottsfrühe Zeit, Freizeitvergnügungen nachzugehen. Weil sie wieder arbeiten mussten, wenn ihre Herrschaften aus der Kirche kamen, tanzte das Personal eben frühmorgens in den Tag. In München wurde ein solcher Ball schon 1989 wiederbelebt und lockte bis zur Pandemie jährlich Zehntausende unter den Chinesischen Turm. Um den 100. Geburtstag des Kurhauses gebührend zu feiern, griff 2014 auch die Stadt Bad Tölz die Tradition auf und etablierte sie daraufhin ebenfalls als jährliches Ereignis. Zwar drehen und walzen hier weniger Menschen als in München - es kommen im Schnitt etwa einhundert. Aber dafür werde Volkstanz hier noch von vielen Teilnehmenden real gelebt, was die Atmosphäre "entspannt und frohgemut" mache, beschreibt Tanzmeister Philipp Korda.

"Entspannt und frohgemut", so beschreibt Tanzmeister Philipp Korda die besondere Atmosphäre beim Tölzer Kocherlball. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Doch auch der Tölzer Kocherlball kam mit der Pandemie zum Stillstand. Nach zwei Jahren Zwangspause nun also der Neustart am Sonntag, und hierzu ließen sich die Tanzbegeisterten aus der Region nicht zweimal bitten: Schon vor Beginn sind zahlreiche Paare, Familien und Gruppen eingetroffen. Viele von ihnen tragen Tracht, die wenigsten ein historisches Kocherlgwand - im Unterschied zu vorangegangenen Bällen. Der zweite Bürgermeister Michael Lindmair trägt dafür Magistratsrock, andere sind optisch weder der klassischen Brauchtumsfraktion zuzuordnen noch irgendwelchen Ständen. Auffallend aber ist das durchmischte Alter: Von Jugendlichen bis Senioren ist alles vertreten. Die 15-jährige Tölzerin Elisabeth Hintermair etwa freut sich, "zwischendurch auch mal wieder boarische Musik zu hören". Auch wenn die Teenagerin gerne Pop und Rock höre, so sei es für sie eben "die Mischung, die's macht."

Wie die Schritte sind, zeigt Tanzmeister Philipp Korda mit verschiedenen Damen, wie hier Antonia Weninger. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Pünktlich um sechs Uhr ruft Tanzmeister Korda "geh' ma, geh' ma", und in wenigen Augenblicken füllt sich die Tanzfläche. Korda ist "relativ kurzfristig" eingesprungen. Viel Zeit für eine ausgeklügelte Choreographie der vierstündigen Veranstaltung bleibt da nicht, er hält sich an den Ablauf, den die Musicanti Bavaresi vorgelegt haben. Doch schon als die ersten Takte des "Tölzer Schützenmarschs" erklingen, zeigt sich, wie ausgeschlafen die Musiker sind. Frisch und pointiert spielen sie und locken die bunte Menge von Tänzerinnen und Tänzern mühelos aufs Parkett. Unter der Führung von Korda drehen sie sich, formieren Zug und Gegenzug, Viererketten und Achterreihen und sind schnell bereit für mehr: "Fächer-Polonaise", "Wiener Spezialitätenmarsch", "Glückliche Herzen", die schnelle Polka "Vergnügungszug" oder den Annetten-Walzer.

Sich endlich wieder mit Gleichgesinnten treffen, und das bei Kaffee und Kuchen (v.l.): Jutta Büttner, Franz Ruhdorfer, Gabriele Hofbauer, Leonhard Fichtmeier und Annamaria Gottbrecht. (Foto: Harry Wolfsbauer)

"So ein schöner Tag, besser geht's ned", sagt Jutta Büttner aus Schäftlarn. Dass da schon der nächste Tanz lockt und sie vom Tisch fegt: kein Problem. Den Kaffee hält ein Thermosbecher warm, bis sie vom Parkett zurück ist. Eine tolle Gelegenheit sei das, endlich wieder Gleichgesinnte zu treffen, sagt Büttner. Zum Beispiel Bekannte aus Waakirchen und Reichersbeuern, die mit ihr am Tisch sitzen, einen riesigen, selbstgebackenen Kuchen aus dem Picknickkorb holen und großzügig verteilen. Auch das ist eine Besonderheit, denn die Terrasse des Kurparks fungiert während der Veranstaltung als Biergarten: Getränke gibt es am und im Kurhaus zu kaufen, jeder kann aber sein Frühstück selbst mitbringen. Wer das vergessen hat oder zu beschwerlich findet: Weißwürscht' und Butterbrezen gibt es auch zu erwerben. Büttner findet es "großzügig von der Stadt, keinen Eintritt zu verlangen". Das allerdings ist Programm, denn möglichst viele sollen angelockt werden und sich einreihen können. Um das zu erleichtern, herrscht den Vormittag über "Damenwahl".

Die Musicanti Bavaresi spielten vorzügliche Tanzmusik. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Tanzwillige Touristen werden also einfach integriert, aber auch Zaungäste sind willkommen. Unter den Arkaden sitzt Carla Engelskerken aus Essen und beobachtet das Treiben. "Schön", bringt es die Urlauberin auf den Punkt. Viele Jahre komme sie nun schon nach Bad Tölz, sieht aber nicht alles mit der rosaroten Brille. "Bayern darf sich nicht nur auf die Berge verlassen", sagt sie und spricht an, dass ihr touristische Angebote in der Region fehlten. Insbesondere das Alpamare vermisse sie, und dass es am wunderschönen Kurhaus keinen regulären Café-Betrieb gebe. "Das ist eine wirtschaftliche Entscheidung des Pächters", erklärt Kurdirektorin Brita Hohenreiter. Einerseits sei in der Gastronomie Personal schwer zu kriegen, andererseits habe der Pächter vor Jahren einen Café-Betrieb versucht, doch sei der nicht rentabel gewesen. Mit der Neuauflage des Kocherlballs aber zeigt sie sich sehr zufrieden - wie auch die stellvertretende Kurdirektorin Susanne Frey-Allgeier. Dass die Veranstaltung eine touristische Attraktion ist, bestätigt dann auch Raphael Lorenz aus Euskirchen, der zufällig auf dem Weg zum Frühstück angelockt wurde: "Das bleibt mir im Gedächtnis."

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