Musikalisches Experiment:Im Kopf geht der Klang spazieren

Musikalisches Experiment: Experiment der Wahrnehmung: Teilnehmer des Kopfhörerkonzerts.

Experiment der Wahrnehmung: Teilnehmer des Kopfhörerkonzerts.

(Foto: Roman Job)

Die Münchner Philharmoniker geben ein Kopfhörerkonzert im Brainlab in Riem - Motto: "Das unmögliche Hören".

Von Egbert Tholl, München

Das Hauptquartier von Brainlab, der Highend-Software-Firma von Stefan Vilsmeier, avanciert zum Nucleus des musikalischen Experiments. Vor drei Wochen war die Staatsoper hier zu Gast, nun kamen die Münchner Philharmoniker nach Riem, um dort etwas zu machen, was man in normalen Konzerten nicht macht. Und was als Experiment der Wahrnehmung, also dessen, was im Hirn passiert, sehr gut zu dem passt, was Brainlab macht. Vilsmeiers Credo: Die Lösung eines Problems ist immer da, man muss sie nur entdecken.

Nun geht es beim "unmöglichen Hören" weniger um die Lösung eines Problems als um eine neue Art des Hörens. Das funktioniert so: Vier Schlagzeuger der Philharmoniker - Sebastian Förschl, Jörg Hannabach, Mathias Lachenmayr und Michael Leopold - spielen im Brainlab-Atrium Stücke von Steve Reich, John Cage und Marc Schmolling, zwischen ihnen steht ein Stellvertreter jedes einzelnen Zuhörenden, der erklärt, wenn man einen Kopfhörer aufsetzt, man die Musik durch seine Ohren hören werde. Man könnte vielleicht auch einfach ein - das lernt man an diesem Abend - binaurales Mikrofon da hinstellen, aber das wäre neurologisch betrachtet vermutlich unterkomplex. Außerdem wandert dieses lebende Ohr herum, so dass sich die Räumlichkeit im Kopfhörer permanent verändert.

Das Konzert ist Vorgriff auf das 360-Grad-Festival

Zunächst aber, und das ist allein schon Anlass einer tollen Verwirrung im Kopf, sieht man das Foyer, später auch den Saal der Isarphilharmonie in einem Video. Beide sind vollkommen leer, aber was man hört, ist der Klang eines randvollen Foyers mit Gesprächsfetzen und Gläserklirren, sind sich einspielende Musiker, die visuell nicht da sind, nur akustisch. Dazu spricht die Musikwissenschaftlerin Magdalena Zorn auf empathisch naive Art übers Hören, sinngemäß: Man hört, was man sieht. Oder auch nicht.

Nach einer leicht esoterischen Improvisation mit Klangschalen und einer Salatschleuder nimmt man die Kopfhörer zwischenzeitlich wieder ab und hört die "Ecursions" von Marc Schmolling, für diesen Anlass geschrieben. Musik für zwei Marimbafone und zwei Vibrafone, Musik für den Raum, entstanden im Lockdown. Schmolling selbst sagt dazu, die Stücke seien so etwas wie Kopfausflüge in der strengen Corona-Zeit gewesen, man könnte auch sagen, sie drücken diese Zeit in der repetitiven Wiederkehr des Immergleichen aus.

Schließlich aber, nicht erst bei der fabelhaften "Third Construction" von Cage, geht das Kopfhören-Konzept von Julian Kämper und Felix Kruis voll auf. Steve Reichs "Music for Pieces of Wood" ist ein ganz zartes Geflecht aus verschiedenen Rhythmen, zwischen denen man sich nun bewegt, während man sitzt. Im Kopf geht der Klang spazieren, kommt einem nah, entfernt sich, dreht links und rechts herum, ein hochspannendes Raumerlebnis.

Das Konzert ist Vorgriff auf das 360-Grad-Festival am kommenden Wochenende, an dem die Philharmoniker endlich das nachholen können, womit sie die Isarphilharmonie eröffnen wollten: Latenight-Konzerte im Foyer, Diskussion, Aktionen überall auf dem Gelände, Begegnungen, Tanz, große Musik. Also alles, was möglich ist.

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