Neuperlachiade:Ein Münchner Stadtteil erinnert an die Olympischen Spiele

Neuperlachiade: Interview mit Double: Bei den "Neuperlacher Spielen(n)" wird auch an Star-Schwimmer Mark Spitz erinnert.

Interview mit Double: Bei den "Neuperlacher Spielen(n)" wird auch an Star-Schwimmer Mark Spitz erinnert.

(Foto: Robert Haas)

Eine Woche lang steht in Neuperlach die Erinnerung an Olympia 1972 im Mittelpunkt eines Programms mit 80 Veranstaltungen. Der Stadtteil will sich in all seiner Vielfalt präsentieren.

Von Patrik Stäbler

Der historische Sprung über 1,90 Meter, die jubelnde 16-Jährige auf der Weichbodenmatte, drumherum das tosende Münchner Olympiastadion - diesen denkwürdigen Moment der deutschen Sportgeschichte verpasst Peter Hilkes. Ausgerechnet er, der passionierte Leichtathletik-Fan. Doch an jenem 4. September vor bald 50 Jahren feiert seine Mutter Geburtstag, die Familie sitzt am Kaffeetisch. Immerhin: Im Hintergrund läuft der Fernseher. Just als sich Ulrike Meyfarth - auf ihrer Brust der Bundesadler, darunter die Startnummer 168 - für ihren Versuch bereit macht, wird Peter Hilkes in die Küche geschickt. Neuen Kaffee holen. Von dort hört er plötzlich Jubel und Geschrei. Doch als er zurück ins Wohnzimmer eilt, ist Ulrike Meyfarths Gold-Sprung, der wie kein anderes Sportereignis für Olympia 1972 in München steht, bereits Geschichte.

An seine Enttäuschung vor dem Fernseher muss Peter Hilkes dieser Tage öfter denken, da vielerorts in der Stadt an die Sommerspiele vor einem halben Jahrhundert erinnert wird. Jene Szene mit der leeren Kaffeekanne schildert der 66-Jährige auch im Interview mit Iris Krause und Mark Haas vom freien Ensemble Bühnenwerk.

Die beiden haben für ihr Projekt "Neuperlacher Spiele(n)" mit gut einem Dutzend Zeitzeuginnen und Zeitzeugen gesprochen, vorwiegend aus dem Stadtteil im Münchner Südosten. Die Interviews bilden die Grundlage für eine multimediale Theateraufführung, bei der die Erinnerungen als Videoschnipsel über zwei Leinwände flimmern - während parallel dazu auf einer Open-Air-Bühne junge Darstellerinnen und Darsteller der Europäischen Schule München (ESM) das Geschilderte szenisch ergänzen.

"Es geht uns bei dem Stück nicht darum, die Geschichte der Olympischen Spiele in München mit allen wichtigen Wettkämpfen und Ereignissen nachzuerzählen", sagt Iris Krause. Vielmehr wolle man durch die Augen der Zeitzeugen einen "hoch subjektiven Blick" auf ein Ereignis werfen, das München geprägt hat wie kaum etwas anderes. Knapp drei Monate lang haben sich Krause, Haas und zwei Handvoll Schülerinnen und Schüler der ESM mit dem Thema auseinandergesetzt. Sie führten nicht nur Interviews mit Zeitzeugen, sondern besuchten auch die Originalschauplätze im Olympiapark und spürten dem Zeitgeist der Siebzigerjahre nach. "Einige Jugendliche haben zum Beispiel die damaligen Werbesprüche recherchiert", erzählt Iris Krause. "Eine andere Gruppe hat sich die Jugendsprache dieser Zeit vorgenommen - von dufte bis urinös."

Neuperlachiade: Gruß der Jugend: Aufnahmen der Eröffnungsfeier von 1972 werden gezeigt, Jugendliche spielen die Szene dann nach.

Gruß der Jugend: Aufnahmen der Eröffnungsfeier von 1972 werden gezeigt, Jugendliche spielen die Szene dann nach.

(Foto: Robert Haas)

Derweil erarbeitete das Bühnenwerk-Duo ein Drehbuch für eine Mixtur aus Dokumentarfilm und Theaterstück, das chronologisch aufgebaut ist und schlaglichtartig verschiedene Ereignisse rund um die Spiele in München beleuchtet - mittels einer Verzahnung von Interviewsequenzen und szenischen Darstellungen. So sind zu Beginn beispielsweise Aufnahmen der Eröffnungsfeier auf der Leinwand zu sehen, ehe im nächsten Augenblick die jungen Darstellerinnen und Darsteller auf der Bühne den "Gruß der Jugend" darbieten - mit Blumensträußen und -bögen in der Hand, so wie vor fünfzig Jahren die 3000 Jugendlichen im Olympiastadion.

In einer anderen Szene geht es um den US-Schwimmer und siebenmaligen Goldgewinner Mark Spitz, den der frühere ESM-Schüler Alexander Neugebauer verkörpert - inklusive künstlichem Schnauzer und Stars-and-Stripes-Badehose, die Iris Krause eigens in England bestellt und mit Sternen zum Aufbügeln versehen hat.

Nebst Eröffnungs- und Schlussfeier sowie den Erfolgen von Meyfarth, Spitz und Co. greift das Theaterstück auch Skurrilitäten auf - etwa wenn der Zeitzeuge Josef Schröttle klagt, dass er wegen Olympia seinen Führerschein erst mit einigen Wochen Verspätung habe machen können. Der Grund: Während der Spiele durften in München keine Fahrschulautos verkehren - aus Angst vor Verkehrsbehinderungen. Neben solch heiteren Episoden darf aber natürlich auch das alles überschattende Ereignis nicht fehlen: der Anschlag auf die israelische Olympiamannschaft. Dieser wird zum einen mittels Nachrichtenbeiträgen jener Zeit erzählt, die die Jugendlichen im Chor vortragen. Zum anderen berichtet eine Zeitzeugin, die wenige Stunden vor dem Attentat noch im Olympischen Dorf weilte, wie sie jene furchtbaren Stunden miterlebt hat.

Neuperlachiade: Sport steht im Mittelpunkt - auch bei der Reminiszenz an Bodenturnerinnen von 1972.

Sport steht im Mittelpunkt - auch bei der Reminiszenz an Bodenturnerinnen von 1972.

(Foto: Robert Haas)

Insgesamt dauert die filmisch-theatrale Dokumentation "Neuperlacher Spiele(n)" circa eine Stunde. Von Donnerstag an wird sie im Rahmen der Neuperlacher Spiele an vier Abenden auf dem Gelände des SVN München zu sehen sein. Peter Hilkes jedenfalls will bei der Premiere zugegen sein und sie keinesfalls verpassen - anders als seinerzeit den Meyfarth'schen Gold-Sprung.

In der Woche von 23. bis 30. Juni steht der Stadtteil Neuperlach ganz im Zeichen der Erinnerung an Olympia 1972 in München. Hintergrund ist das Projekt Neuperlacher Spiele, das federführend der Verein Kulturbunt Neuperlach organisiert und das mehr als 80 Konzerte, Aufführungen, Sportkurse, Mitmachangebote und sonstige Veranstaltungen umfasst. Zentrale Spielstätte ist das Vereinsgelände des SVN München an der Bert-Brecht-Allee, wo auf der mobilen Bühne "HoodMove16" unter anderem Liedermacher Roland Hefter, die Old Perlach Roof Stompers sowie die Rapper David P. und Großes K aus Neuperlach auftreten. Tagsüber finden dort Turniere, Sportvorführungen und Schnuppertrainings statt.

Darüber hinaus erstrecken sich die Neuperlacher Spiele über den kompletten Stadtteil. Im Kulturhaus Neuperlach gibt es beispielsweise Lesungen und ein Kinderkonzert der Münchner Kammerspiele, die Glyptotheke der MGS lädt zu Workshops und Rundgängen ein, im Ostpark veranstaltet das städtische Referat für Bildung und Sport ein täglich wechselndes Sportangebot, und im Skatepark Im Gefilde macht der Spielbus der Spiellandschaft Stadt Station. Mit ihrer Fülle verschiedener Veranstaltungen verstehen sich die Neuperlacher Spiele als "Straßen-Neuperlachiade der moderneren Art", heißt es von Seiten der Organisatoren. Das Ziel sei es, "die komplette Palette kultureller Neuperlacher Vielfalt vor Ort unter einen Hut zu bringen". Der Eintritt zu allen Veranstaltungen ist frei. Eine Übersicht findet sich auf www.neuperlacher-spiele.de.

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