Kletterer Yannick Flohé:Einbeinig in die Weltspitze

Kletterer Yannick Flohé: Yannick Flohé schaffte es als erster Deutscher in diesem Jahr auf das Treppchen eines Kletter-Weltcups.

Yannick Flohé schaffte es als erster Deutscher in diesem Jahr auf das Treppchen eines Kletter-Weltcups.

(Foto: Marcel Kusch/dpa)

Yannick Flohé ist derzeit der beste deutsche Kletterer, bei seinem Weltcup-Sieg in Brixen lässt er im Bouldern die globale Konkurrenz hinter sich. Dabei startete das Jahr für ihn mit einem Absturz am Fels.

Von Nadine Regel

Das Jahr 2022 begann für Yannick Flohé mit einem Fußbruch. Am Neujahrstag kletterte er an Granitblöcken im Tessin, eine Aufgabe war, einen der riesigen Felsen über eine überhängende Wand zu bezwingen. 8c+ nennen Kletterer diese Schwierigkeit, die so weit oben auf der Skala ist, dass Flohé der erste Deutsche war, der die Route "Off the Wagon low" schaffte. Einen Tag später wurde ihm dann "Poisen the Well" - es gilt die Regel, dass der Erstkletterer einer Route den Namen aussuchen darf - zum Verhängnis. Flohé stürzte ab und brach sich den Fuß.

Seit er fünf Jahre alt ist, klettert er an der bis zu vier Meter hohen Wand

Doch so dramatisch, wie sich das anhört, war es gar nicht. "Das ist die angenehmste Verletzung, die man beim Klettern haben kann", sagt Flohé. "Weil man einfach weiter trainieren kann". Nach dem Motto: Zwei Hände und einen Fuß hat man ja noch. Und nun, ein halbes Jahr, später stand er das erste Mal in seiner Karriere ganz oben auf einem Weltcup-Treppchen. In Brixen holte der 23-Jährige aus Essen eine Goldmedaille - er ist erst der dritte deutsche Athlet, dem das gelang und der erste in diesem Jahr, der sich im internationalen Feld gegen die dominierenden Japaner durchgesetzt hat. An diesem Donnerstag hat er in Innsbruck die nächste Chance.

Drei Monate dauerte es nach seinem Sturz, bis er wieder einen Kletterschuh tragen konnte. "Bei einer Bänderverletzung hätte ich länger nicht klettern können", sagt Flohé, der für die Sektion Aachen des Deutschen Alpenvereins (DAV) an den Start geht, am Telefon. Er sitzt im Zug nach Innsbruck, der Empfang ist wie gewohnt schlecht. Flohé trainierte einbeinig weiter - startete erst später in das reine Wettkampftraining und hatte zwei Monate mehr Zeit, um sich auf das Training von Finger- und Maximalkraft zu spezialisieren.

Flohé ist der derzeit beste Boulderer Deutschlands. Seitdem er fünf Jahre alt ist, klettert der Nordrhein-Westfale an der bis zu vier Meter hohen Wand. Er stammt aus einer Klettererfamilie, auch seine jüngere Schwester Luisa ist Wettkampfkletterin. Nebenher studiert er Bauingenieurwesen. "Ich will mir ein zweites Standbein aufbauen", sagt er und fügt dann hinzu: "Es macht auch auf Dauer dumm, wenn man nichts anderes nebenher macht".

Viele steile Routen, viel Kraft: Der Kurs in Brixen kam Flohé entgegen

Obwohl er sich aktuell um seine Kletterkarriere keine Sorgen machen muss. 2019 belegte er bei der Boulder-WM in Hachiōji in Japan den dritten Platz, eine lang ersehnte Medaille im deutschen Klettersport. Zudem gewann er die Gesamtwertung in der ehemaligen Olympischen Kombination bei der WM in Moskau im vergangenen Jahr. Flohé ist ein Allrounder, dem sowohl das Bouldern als auch das Leadklettern (mit Seil) liegen. Die Vielseitigkeit ist eine gute Voraussetzung für die Teilnahme bei Olympia 2024 in Paris. Darauf konzentriert sich Flohé nun. Die Qualifikation startet nächstes Jahr.

Kraft ist dabei eine seiner großen Stärken, doch die allein bringt noch keinen Durchbruch. Der Kopf muss mitspielen. Seine Fußverletzung habe ihm auch bei seiner mentalen Einstellung geholfen. "Ich bin mit null Erwartungen in diese Wettkampfsaison gestartet", sagt Flohé. Dennoch kletterte er bereits im Mai beim ersten Weltcup in Salt Lake City ins Finale. "Das hat mir gezeigt, dass es in dieser Saison möglich ist", sagt er. In Brixen gewann er nicht nur den Wettbewerb, sondern dominierte auch die Qualifikation und das Halbfinale, aus denen er jeweils als Sieger hervorging.

In die Karten hat ihm auch gespielt, dass ihm der Routen-Stil gelegen hat. "Eher klassisch", so beschreibt er das, was ihm die Routenschrauber in Brixen präsentierten. Viele große Griffe, steile Routen, an denen er seine Maximalkraft ausspielen konnte, dafür weniger Platten und dynamische Sprünge. Das ist für ihn auch das Faszinierende am Bouldern - es werde nie langweilig. "Es gibt keinen anderen Sport, bei dem der Wettbewerb so verschieden sein kann", sagt er. Die Routenbauer spielten da eine große Rolle, weil sie den Stil bestimmten.

Sein Training findet meistens in Köln statt, dort gibt es neben München einen weiteren Kaderstützpunkt des DAV. "50 Prozent trainiere ich allein, 50 Prozent mit meiner Trainerin", sagt er. Friederike Kops ist Bundestrainerin, aus ihrer Schmiede stammt auch Hannah Meul, die in Brixen Silber bei den Frauen errang und damit ebenfalls eine wichtige Leistung für die Deutschen schaffte. Denn die Kletterinnen überzeugten auf Spitzenniveau bislang kaum.

Yannick Flohé bescheinigt dem Kader insgesamt "ein riesiges Potenzial". Wie er die nahe Zukunft für sich sieht? "Dieses Jahr mache ich noch den Lead-Weltcup mit und die EM in München", sagt er. Den Rest des Jahres wolle er sich der Uni und dem Klettern am Fels widmen - ohne Fußbruch.

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