Filmproduktion:"In Deutschland traut man sich bisher viel zu wenig"

Filmproduktion: Sandra (rechts) und Natalie Hölzel entscheiden alles gemeinsam. Sie wollen mit ihrer "Elfenholz Film"-Produktion noch hoch hinaus.

Sandra (rechts) und Natalie Hölzel entscheiden alles gemeinsam. Sie wollen mit ihrer "Elfenholz Film"-Produktion noch hoch hinaus.

(Foto: Florian Peljak)

Natalie und Sandra Hölzel haben mit ihrer "Elfenholz Film"-Produktion den wichtigsten deutschen Nachwuchspreis gewonnen. Die Schwestern haben große Ziele - zum Beispiel Horrorfilme mit weiblichem Blick drehen.

Von Martina Scherf

Ebenholz und Elfenbein, schwarz und weiß, beides edel und wertvoll. Die Synthese ergibt - Elfenholz Film. Bei der Namensfindung für ihre Firma erwiesen Natalie und Sandra Hölzel ein gutes Händchen. Und auch mit den Filmen, die sie bisher produziert haben, sind sie auf der Erfolgsspur. Vor Kurzem gewannen sie für das Kinodebüt den wichtigsten deutschen Nachwuchspreis. "Windstill" (Drehbuch und Regie: Nancy Camaldo) handelt von einem Schwestern-Drama. Der Film wird im Herbst in der ARD laufen. Von Drama kann bei den beiden Hölzel-Schwestern privat hingegen keine Rede sein. Sie sind offensichtlich ein Herz und eine Seele, und das mag einen Teil ihres Erfolges ausmachen.

Sandra, 36, schwarzer Pferdeschwanz, pinkfarbenes Shirt, und Natalie, 33, blonder Pferdeschwanz, weißes Shirt, sitzen in ihrem Büro im Schwabinger Kreativquartier und sprudeln geradezu vor Selbstbewusstsein und Ideen. Im Regal steht der Preis der Verwertungsgesellschaft Film (VGF) in Form eines kantigen Kunststoffteils. Er ist mit 60 000 Euro dotiert, und er wird die beiden sicher weiter bekannt machen. "Eine der spannendsten cineastischen Neuentdeckungen des Jungen Deutschen Kinos", hieß es seitens der Jury. Gewürdigt wurde die "herausragende produzentische Leistung".

Gedreht wurde in München und Südtirol, wo Regisseurin Nancy Camaldo herstammt. Es ist ein stiller Film, mit langen Einstellungen. Zwei Schwestern haben nach dem plötzlichen Tod der Eltern den Kontakt verloren. Ihre Sprachlosigkeit tut beim Zusehen fast weh. Sie sind gefangen in ihren Rollen und vom Leben überfordert, die eine mit Studium und Kind, die andere mit dem elterlichen Hof und dem Traum von der Schriftstellerei. Am Ende finden sie doch zueinander und zu ihrem Glück. Wie, das bleibt offen.

"Es gibt ja viele Familien, in denen sowas passiert", sagt Natalie Hölzel. "Dass man sich nichts mehr zu sagen hat, nicht rauskommt aus seiner Routine", sagt Sandra Hölzel. Die beiden leben das Gegenteil. Sie sind ständig im Austausch. Immer wieder kommt es während des Gesprächs vor, dass eine einen Satz beginnt, und die andere ihn weiterführt. Es ist, also würden sie in jedem Moment das Gleiche denken. "Das ist auch meistens so", sagt Sandra und lacht. "Wir haben schon als Kinder zusammen Pläne geschmiedet. Damals war der Traum halt noch ein Reiterhof."

Zu Hause wurde immer leidenschaftlich über Filme diskutiert

Die Leidenschaft für den Film begann früh. Der Großvater hatte ein Kino am Schliersee, ein Großonkel war Schauspieler. Aufgewachsen sind sie in Bayreuth. Der Vater war "filmdamisch", sagt Natalie auf Bairisch, ein Cineast, der ihnen Hitchcock und Stanley Kubrick nahebrachte, Dramen, Thriller und Komödien, "Star Wars" und "Der Schuh des Manitu". Und immer wurde zu Hause leidenschaftlich diskutiert. Natalie Hölzel war dann früh klar, dass sie selbst Filme machen will. Sie studierte Produktion und Medienwirtschaft an der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film (HFF). Ihre Schwester nahm den Umweg über die Betriebswirtschaft, verbrachte einige Jahre in der Hotellerie, in China, Australien, Kanada. Aber nebenbei half sie Natalie beim Marketing, bei den Pitching-Mappen, was eben gerade gebraucht wurde. "Irgendwann wurde es so viel, dass ich beschloss, mit einzusteigen." 2016 gründeten sie Elfenholz Film. In der Freizeit schauen sie dieselben Filme, sie wohnen sogar im gleichen Haus, "aber in getrennten Wohnungen".

Über Stoffe entscheiden sie immer gemeinsam. Es sind ungewöhnliche Filme über Menschen in Grenzsituationen. Der Kurzfilm "Haut", (Buch und Regie ebenfalls Nancy Camaldo) wurde auf mehrere Festivals eingeladen. Er handelt von einer jungen Frau, deren Gesicht durch einen Autounfall entstellt ist. Sie führt ein normales Leben, bis sie ihre überbesorgte Mutter besucht und von deren Ängstlichkeit erschüttert wird. "Zu Zweit allein" (Buch und Regie: Sabine Koder), ein tragikomisches Beziehungsdrama, lief im vergangenen Jahr auf dem Münchner Filmfest. Gerade wurde der zweite Langfilm fertig, wieder von Sabine Koder, "Bis es mich gibt". Ein depressiver Entertainer will darin die Bühnen der Welt erobern. Er hat nur ein Problem: Niemand kennt ihn. Seine Schwester organisiert ein Filmteam, doch dann tun sich Abgründe hinter der Fassade auf.

"Die männliche Perspektive haben wir jetzt lange genug gesehen"

Sandra und Natalie Hölzel arbeiten überwiegend mit Frauen zusammen. Sie wollen Filme aus einer weiblichen Perspektive erzählen. "Die männliche Perspektive haben wir jetzt lange genug gesehen", sagt Sandra. Die Branche sei immer noch sehr konservativ. "An der Filmhochschule ist die Hälfte der Studierenden weiblich. Wo bleiben die alle?", fragt Natalie. Frauen werde weniger zugetraut, am Set 40 oder 50 Leute auf Trab zu halten, "dabei können die das genauso gut, man muss nur Nancy mal zusehen, wie kompetent sie ihr Team führt".

Immerhin steigt der Frauenanteil langsam. Nach einer Erhebung der Filmförderungsanstalt (FFA) waren 2020 bei 24 Prozent der Filmprojekte Frauen als Produzentinnen allein verantwortlich, bei weiteren 47 Prozent mitverantwortlich. Ein Drittel der geförderten Filme entstand unter weiblicher Regie oder Ko-Regie. Und auch auf der Leinwand sind Frauen heute mehr sichtbar als noch vor ein paar Jahren, aber, sagt Sandra Hölzel, "immer noch oft in klassischen Rollen: die glückliche junge Mutter, die attraktive Geliebte, die Assistentin des Chefs".

"Es braucht mehr weibliche Vorbilder", sagen die Schwestern und schauen sich über den weißen Tisch hinweg an, als wollten sie sagen: solche, wie wir es sind. In der Tat wollen sie auch als Unternehmerinnen einiges anders machen. Sie zitieren eine Studie unter mehr als 6000 Filmschaffenden vor und hinter der Kamera, die im vergangenen Jahr veröffentlicht wurde. Die Hälfte der Befragten gab an, in den letzten zwei Jahren Diskriminierung erlebt zu haben, beim Vorsprechen, am Set oder beim abendlichen Bier.

Da fallen dann Äußerungen wie "die ist schwanger, die kannst du vergessen". Oder "den Stress hältst du in deiner Situation sowieso nicht mehr aus". Es betreffe aber auch Männer, etwa mit Sätzen wie: "Mit deinem Aussehen wirst du eh nur als Gauner besetzt." Homosexuelle Männer berichten, ihre Agentur habe ihnen geraten, sich nicht öffentlich als schwul zu erkennen zu geben, sonst bekämen sie viele Rollen nicht. Dunkelhäutige Menschen seien in Nebenrollen zu sehen, doch kaum in Hauptrollen. Und fast 90 Prozent der Befragten stimmten zu, dass arabische Menschen im Film stets klischeehaft dargestellt werden.

Sandra und Natalie Hölzel wollen eine neue Unternehmenskultur, etwa Kinderbetreuung am Set. Und wer bei Elfenholz Film einen Vertrag unterschreibt, verpflichtet sich zu einem Anti-Diskriminierungs-Codex. "Wenn etwas erstmal schriftlich fixiert ist, dann ist jeder aufmerksamer und man redet leichter über Konflikte." Regelmäßiges Feedback ist ihnen wichtig, "nur so können wir uns weiter entwickeln". Und sie haben ja noch viel vor.

Ein neuer Film ist in Planung. Sie wollen sich ins Horror-Thriller-Genre vorwagen, denn auch dort, sagen sie, fehlt es an weiblichen Perspektiven. Sie schwärmen von Filmen wie "Mare of Easttown", einer Miniserie auf Sky mit einer weiblichen Polizistin (Kate Winslet), "Don't look up", einer schwarzen Komödie um einen drohenden Kometeneinschlag, oder "Get out", der Oskar-gekrönte Film von Jordan Peele über einen jungen Afroamerikaner, der in der Familie seiner weißen Freundin auf dunkle Geheimnisse stößt.

"Wir wollen Filme machen, die wir selbst gerne sehen"

"Thriller mit Message", sagen die beiden, "das ist ein starkes Genre, damit kann man sich abheben." Sie wollen gerne international arbeiten. "Schau mal, was aus Korea kommt", sagt Sandra, "Parasite" oder "Squid Game" - in Deutschland traut man sich bisher viel zu wenig". Sie sind fest überzeugt, bald ein größeres Publikum zu finden. Natalie kann sich durchaus vorstellen, auch eigene Stoffe zu entwickeln. Wobei, Wachstum um jeden Preis ist nicht ihr Ziel. "Wir wollen Filme machen, die wir selbst gerne sehen."

Jetzt werden sie erstmal Tage auf dem Münchner Filmfest verbringen. Und nächtelang mit Freunden diskutieren. "Es kam dabei aber noch nie vor, dass eine von uns von einem Film begeistert war und die andere mochte ihn gar nicht", sagen sie wie aus einem Mund.

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