Salzgitter:Tod durch Ersticken

Salzgitter: Kerzen, Blumen, ein Engelchen: Gedenken an das getötete Mädchen in Salzgitter.

Kerzen, Blumen, ein Engelchen: Gedenken an das getötete Mädchen in Salzgitter.

(Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Der gewaltsame Tod einer 15-Jährigen erschüttert Salzgitter. Tatverdächtig sind zwei Jugendliche. Doch während der eine in Untersuchungshaft sitzt, darf gegen den anderen nicht einmal ermittelt werden.

Von Peter Burghardt, Hamburg

Staatsanwalt Christian Wolters hat einiges erlebt im Amt, bekannt wurde er vor allem wegen der Causa Madeleine McCann. Das Mädchen aus England verschwand 2007 aus einer Ferienanlage im Süden Portugals, die Braunschweiger Staatsanwaltschaft verdächtigt seit einiger Zeit einen derzeit wegen anderer Taten inhaftierten Deutschen. Sprecher Wolters erinnert sich auch an jenes Braunschweiger Familiendrama, als ein Zwölfjähriger offenbar im Streit um Schulnoten 2004 seine Eltern erschoss. Nun ist seine Behörde mit einem Kriminalfall befasst, der ebenfalls Minderjährige betrifft und das nahegelegene Salzgitter erschüttert.

Im dortigen Ortsteil Fredenberg wurde seit dem vergangenen Sonntag eine Schülerin vermisst. Sie war 15 Jahre alt und zuletzt ganz in der Nähe der Schule gesehen worden. Die Polizei suchte mit Drohnen, Hunden und auch auf Fahrrädern. Am Dienstag fanden die Beamten die Leiche im Gebüsch eines begrünten Geländes, die Obduktion ergab einen Tod durch Sauerstoffmangel, also Ersticken. Bereits in der Nacht zum Dienstag waren in den Wohnungen ihrer Familien zwei Mitschüler festgenommen worden, der eine 13 und der andere 14 Jahre alt.

Spontan sei das nicht gewesen, meint der Staatsanwalt

Wie üblich gilt die Unschuldsvermutung, auch wenn die Ermittler keine Zweifel hegen, dass die beiden Teenager das Mädchen getötet haben. "Heimtückisch und aus niederen Beweggründen", so Wolters, das Opfer sei arglos und wehrlos gewesen, so wird das juristisch genannt. Es geht nicht um Totschlag, es geht um Mord. Offenbar hatte sich da eine Feindschaft in Hass verwandelt, mit fürchterlichem Ende. Spontan sei das nicht gewesen, meint der Staatsanwalt. Einzelheiten sind unklar, bei ersten Befragungen sollen die zwei Verdächtigen geschwiegen haben. Mit aktenkundigen Gewalttaten war vorher keiner der beiden aufgefallen. Sie wohnen im selben Viertel wie ihr Opfer, gingen auf dieselbe Schule.

Der 14-Jährige kam angesichts des dringenden Tatverdachts in Untersuchungshaft. Der 13-Jährige dagegen wurde nach kurzem Zwangsaufenthalt wieder auf freien Fuß gesetzt, er ist in diesem Alter noch nicht strafmündig. Gegen ihn darf nicht einmal ermittelt werden, auch wenn er in den Ermittlungen gegen den Älteren automatisch vorkommen wird. "Wir gehen von gemeinschaftlicher Begehung aus", so Wolters. Der 13-Jährige wird anders als der einige Monate ältere 14-Jährige vor kein Jugendgericht gestellt werden, falls Anklage erhoben wird, was wahrscheinlich ist.

Dem 14-Jährigen könnte im Falle einer Verurteilung wegen Mordes eine Jugendstrafe von bis zu zehn Jahren Jugendgefängnis bevorstehen, im besonderen Fall laut Wolters sogar von bis zu 15 Jahren. Ausschlaggebend ist einzig und allein das Geburtsdatum, die Strafmündigkeit beginnt mit 14. Es kann letztlich von wenigen Tagen abhängen, ob ein sehr junger Mensch, der einen Mord begangen hat, in eine Haftanstalt muss oder straffrei bleibt.

Jugendamt oder Zwangsunterbringung in einer psychiatrischen Einrichtung?

Staatsanwalt Wolters ahnt, dass das unbefriedigend klingt, wenn es um tödliche Gewalt geht. Aber die Rechtsnormen bestehen aus guten Gründen, dahinter steht auch immer der Gedanke von Erziehung und Resozialisierung. Für den 13-Jährigen, der schnell wieder aus dem Polizeigewahrsam entlassen werden musste, ist das Jugendamt zuständig. "Nicht unsere Baustelle", sagt Wolters. Das Jugendamt kann Kinder oder Jugendliche in Obhut nehmen, wenn das sogenannte Kindeswohl gefährdet ist. Hier allerdings liegt die Sache anders, hier wurde ein junger Mensch mutmaßlich von zwei anderen jungen Menschen umgebracht.

"Ein bisschen verzwickt" nennt ein Sprecher der Stadt Salzgitter die Lage am Donnerstag. Das Jugendamt hat beim Familiengericht die Unterbringung des 13-Jährigen in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie beantragt, für so eine Zwangsmaßnahme bräuchte es einen gerichtlichen Beschluss. Ein psychiatrisches Gutachten sollte helfen. Es handle sich nicht nur "um eine Tragödie, die fassungslos macht", so der städtische Jugenddezernent Dirk Härdrich, "sondern um einen ausgesprochen komplexen Fall, bei dem es die eine einfache Lösung nicht gibt."

Man weiß nicht viel über die Tote, für ihre Angehörigen ist es jedenfalls eine Katastrophe und für Salzgitter ein Schock. Seit Jahren hatte es dort keinen Mord gegeben. Nahe dem Tatort wurden Blumen abgelegt und Grabkerzen abgestellt. Sie trauere und habe Angst, sagte eine Frau, die nicht aus Deutschland stammt, dem NDR. Auch in ihrer Heimat sei so etwas passiert, "ich dachte, in Deutschland ist Frieden". Sie sei sehr traurig, "sie war sehr jung", sagte eine andere Frau.

Das Mitgefühl gelte der Familie, den Freundinnen und Freunden des Opfers

Oberbürgermeister Frank Klingebiel von der CDU verurteilt in der Salzgitter Zeitung "dieses grausame und kaltblütige Verbrechen aufs Schärfste". Das Mitgefühl gelte der Familie, den Freundinnen und Freunden des Opfers. Klingebiel ist ein ruhiger, freundlicher Politiker, der Besucher auch mal auf das Rathausdach bittet, um auf die weit verzweigte, viele Kilometer lange Stadt hinabzuschauen.

100 000 Einwohner hat Salzgitter und ein Stahlwerk, das gerade mit einem Umsatz von 13 Milliarden Euro rechnet. Fredenberg mit seinen Wohnblöcken gilt als sozial schwieriges Quartier, ist aber auch eine interessante Gegend. Wenn man dort vor ein paar Jahren herumfuhr und herumging, dann stieß man auf viele Projekte, die das Zusammenleben verbessern. Jetzt wollen die Staatsanwälte in Braunschweig und die Menschen in Salzgitter wissen, ob wirklich diese zwei Teenager zusammen eine 15-Jährige aus ihrer Schule und der Nachbarschaft ermordet haben - und wenn ja, warum.

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