Raumnot in München:Wie Kunstschaffende sich selbst helfen

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Bei der Arbeit: Nicole Frenzel. (Foto: Stephan Rumpf)

Künstler haben es in München schwer, Räume zum Arbeiten zu finden. Vor zehn Jahren haben die "Kunstwohnwerke" ein Haus umgebaut, um das zu ändern. Was die Mitglieder seitdem gelernt haben und welche Zukunftsvisionen sie motivieren.

Von Lea Kramer

Der Eingangsbereich besticht durch eine dunkle Holzvertäfelung. Kabel hängen von der Decke, ein eingepacktes Bild lehnt an der Wand. An einer Scheibe steht in goldenen Buchstaben noch ein alter Schriftzug: "Henrik Kuszner Röcke Hosen Blusen GmbH". Die gleichnamige Textilfabrik an der Streitfeldstraße ist bereits vor Jahren aufgegeben worden. Selbst wenn es auf den ersten Blick so aussieht: Dies ist keine weitere Geschichte über Leerstand inmitten der Stadt, sondern über ein außergewöhnliches Genossenschaftsprojekt.

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Alles hat vor zehn Jahren begonnen. Zu einer Zeit, als sich noch kein großer Immobilienentwickler für den Münchner Osten interessierte, haben Kunstschaffende ein brach liegendes Industriegrundstück in einem Gewerbegebiet in Berg am Laim fürs Wohnen und Arbeiten nutzbar gemacht und die Gebäude im Erbbaurecht gekauft. Im Jahr des Geburtstags hätten die Genossinnen und Genossen von der Streifeldstraße gerne einen weiteren Meilenstein für ihre Kooperative gesetzt, doch das Vorhaben, das sie sich ausgedacht hatten, ist überraschend gescheitert - wenn auch nicht begraben.

Stand Pate für ein Neubau-Konzept: Monika Reinharts Wohn-Atelier. (Foto: Stephan Rumpf)
Mitglied der ersten Stunde: David John Flynn. (Foto: Stephan Rumpf)
Hat ein Wohn-Atelier: Eva Kiss. (Foto: Stephan Rumpf)
Hat sich eingerichtet: Tobias Koch mit seinem Hörbuch-Verlag. (Foto: Stephan Rumpf)

Schlichte Arbeitsplätze, Regale an der Wand, eine große Fensterfront. Kein kreatives Chaos, eher Funktionalität. Das Büro der Kunstwohnwerke eG im Vordergebäude des Areals gleicht mehr dem Innern einer Behörde als dem, was sich Außenstehende unter einem Atelierhaus vorstellen mögen. Das mag vor allem an der schmucklosen Stahlbeton-Skelettbauweise des Siebzigerjahre-Baus liegen und daran, dass sein Zweck ursprünglich ein ganz anderer war. Da wären zum einen die Verwaltungsräume, zum anderen die Fabrikhalle mit dem tragfähigem Boden für schwere Nähmaschinen. Auch das Treppenhaus mit den dunkel ummantelten Lastenaufzügen ist nahezu originalgetreu.

Vorstandsmitglied Uwe Oldenburg hat anfangs selbst die Romantik vermisst. (Foto: Stephan Rumpf)

"Anfangs war es für mich schon ein Problem, wie es hier aussieht. Es entspricht nicht der Romantik der Künstler", sagt Uwe Oldenburg. Der Bildende Künstler ist Mitglied des Vorstands der Genossenschaft, die sich zum Ziel gesetzt hat, bezahlbare Räume zu schaffen, in den Münchner Künstlerinnen und Künstler dauerhaft arbeiten können. "Es entsteht ein großer Druck, wenn man von Zwischennutzung zu Zwischennutzung geht", sagt er. Er selbst hat früher an der Dachauer Straße gearbeitet - dort, wo bald eine neues Stadtviertel mit dem Namen Kreativquartier entstehen wird und bereits seit zwei Jahrzehnten Künstlerinnen und Kreative über ihren Ideen tüfteln. Sie tun und taten das stets mit befristeten Mietverträgen. Wenig Planungssicherheit, steigende Preise: Das war ausschlaggebend für eine Handvoll Kunstschaffende, sich 2007 zu den Kunstwohnwerken zusammenzuschließen und auf Häusersuche im Stadtgebiet zu gehen. "Zu dem Zeitpunkt, als wir uns die Kleiderfabrik angeschaut haben, war hier nicht viel - keine zeitgenössische Kunst", sagt Oldenburg und zeigt in Richtung Streitfeldstraße, "Kollegen und Freunde fragten damals: 'Was wollt ihr in der Fremde?'".

Alte Industriebrachen werden zu hippen Büros

Wer sich heute in der Nachbarschaft der Textilfabrik umsieht, dem drängt sich eine andere Frage auf: Wer kommt noch hierher? Am Ende der Streitfeldstraße wird demnächst die sogenannte Macherei eröffnet. Ein neues Gewerbegebiet auf dem Areal der früheren Pharma-Firma Temmler. Neben dem Hinterhof der Kunstwohnwerke klafft ein tiefes Loch. Der Architektur- und Lifestyleverlag Callwey baut dort seine Firmenzentrale neu. Ein paar Häuser weiter ist anstelle der Fabrikhallen der Hydraulik-Fabrik Hawe ein weiterer neuer Büroblock entstanden. Und es werden immer mehr: das "The Run" und die "Streitfeldlofts" an der Neumarkter Straße oder die möblierten Wohnungen auf Zeit an der Levelingstraße. Berg am Laim ist kein ungeliebtes Vietrel mehr, das alte Industriegebiet unweit vom Leuchtenbergring wandelt sich rasant zum Büro- und Dienstleistungsstandort.

Mittendrin, da leben und arbeiten die Kunstschaffenden, "die ersten Gentrifizierer, wie unser Architekt letztens sagte", erzählt Oldenburg, während er die Stufen zu einer der wenigen Atelier-Wohnungen im Gebäude hinaufgeht. Dort öffnet Monika Reinhart die Tür. Ihre Arbeits-Wohn-Kombination reicht über die gesamte Breite des Bauwerks. Rechts die große, lichtdurchflutete Wohnküche, an der Wand ein Hochbett mit integriertem Bücherregal. Links ein ähnlich großer Arbeitsraum. Großformatige Leinwände hängen dort an der Wand, fein ist darauf Farbschicht über Farbschicht angebracht. Pastelltöne gehen ineinander über, darunter scheinen dunklere Nuancen durch. "Ich bereite gerade Ausstellungen vor, deshalb habe ich nicht alle Bilder hier ", sagt sie.

Bezahlbare Ateliers sind auch in neuen Stadtteilen selten eingepreist

Mindestens einen Genossenschaftsanteil muss jedes Mitglied kaufen, wenn es im 3000 Quadratmeter großen Atelierhaus Streitfeld wohnen oder arbeiten will. Hinzu kommen eine Nutzungseinlage von 330 Euro pro genutztem Quadratmeter sowie eine monatliche Miete von 6,80 Euro pro Quadratmeter, exklusive Neben- und Betriebskosten. Die Stadt hat ein Förderatelier in dem Komplex gemietet, der Kunstverein Genius Loci unterhält drei weitere Studios für junge Künstler und Künstlerinnen und betreibt einen Ausstellungsraum, das Metropoltheater probiert auf einer Bühne im Kreativhaus. Nach zehn Jahren in Betrieb ist die Nachfrage ungebrochen. "Wir haben 160 Mitglieder, aber hier sind nur 45 untergebracht", sagt Stefan Schneider. Der Musiker ist ebenfalls Teil des Vorstands von Kunstwohnwerke. Er unterrichtet und probt gemeinsam mit seinem Sohn in einem schallisolierten Raum im Hintergebäude. In der Satzung der Genossenschaft sei festgeschrieben, dass sie zum Ziel habe, weitere Arbeitsplätze zu schaffen, sagt er.

Einst eine Textilfabrik, inzwischen für Künstler ein Arbeits-Zuhause: der Komplex an der Streitfeldstraße 33. (Foto: Stephan Rumpf)

Die Mitglieder auf der Warteliste können nicht unbegrenzt vertröstet werden. Das sei auch nicht der Plan, sagt Schneider, der in Ramersdorf aufgewachsen ist und den östlichen Stadtrand noch als Einflugschneise des Flughafens Riem kennt. Kürzlich wähnten sich die Genossinnen und Genossen schon am Ziel. "Eine Ausschreibung im Kreativquartier erschien uns wie auf den Leib geschneidert", sagt er. Gemeinsam mit den Architekten Florian Wurfbaum und Jürgen Mrosko, die ihre Büros ebenfalls im Haus haben, wurde ein Konzept für ein neues "Agora-Haus" an der Heßstraße erdacht: ein Hybridgebäude zum Wohnen, Arbeiten und Begegnen. Partizipative Wohnformen für unterschiedliche Nutzergruppen, temporär oder langfristig, sollten dort genauso Platz finden wie Bereiche, wo probiert, Theater gespielt, ein Konzert veranstaltet oder gegessen werden kann. Pate für die Wohnateliers im Neubau ist übrigens Monika Reinharts Arbeits-Zuhause gestanden. Als "Modell Monika" sollte die die Verbindung von künstlerischem Arbeiten und Wohnen auf engem Raum im neuen Agora-Haus umgesetzt werden.

"Die Räume im Erdgeschoss könnten vormittags anders genutzt werden als abends, wir hatten mit der Pfennigparade sogar schon einen gewichtigen Kooperationspartner", sagt Vorsitzender Uwe Oldenburg. Hatten, denn schließlich hat es trotz Lobs der städtischen Bewertungskommission für das neuartige Betreiberkonzept nicht für den Zuschlag gereicht. Das Baufeld im Kreativquartier ging an eine andere Genossenschaft. Die Kunstwohnwerke-Pläne sollen aber nicht in der Schublade verschwinden, sondern "wir hoffen, ein anderes ähnliches Gelände oder ein Gebäude, das wir nach diesen Ideen umbauen können, zu finden", sagt Oldenburg, der seine Wartenden ungern weiter vertrösten will. Er hofft, es dauert nicht allzu lang, bis die Genossenschaft ihren nächsten Meilenstein verkünden kann.

Sein zehnjähriges Jubiläum in Berg am Laim feiert das Atelierhaus Streitfeld am Samstag, 25. Juni, und am Sonntag, 26. Juni. An beiden Tagen zwischen 13 und 19 Uhr öffnen 30 Künstler und Künstlerinnen ihre Werkstätten und zeigen ihre Arbeiten. Begleitet werden die offenen Ateliertage durch ein Rahmenprogramm aus Lesungen, Musik, Performances und Kabarett. Gleichzeitig feiert eine weitere Kulturinstitution im Viertel - der Bürgerkreis - das 40-jährige Bestehen und öffnet dafür zwischen 13 und 17 Uhr die Ausstellungsräume im Nachbarschaftstreff Baum 20 an der Baumkirchner Straße. Am Samstag, 25. Juni, gibt es zudem von 19 Uhr an im Pfarrsaal von St. Michael am Johann-Michael-Fischer-Platz 1 ein Jazzkonzert des Musikers Kilian Sladek. Für Kinder startet das traditionelle Kinderfest am Samstag ab 14 Uhr auf der Festwiese an der Sankt-Veit-Straße. Gegen 18 Uhr entzündet der Maibaumverein dort ein Johannifeuer. Am Sonntag, 26. Juni, wird nachmittags die Bühne im Behrpark von der Theatergruppe Artanos, den Blechmusikern von BlechMucer sowie der Acoustic-Band Tenderly Strung bespielt. Der Eintritt ist frei.

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