Eishockey in den USA:Ein Deutscher stemmt den NHL-Pokal

NHL Playoffs 2022: Nico Sturm mit dem Stanley Cup

Mitte März von den Minnesota Wild gekommen, nun Stanley-Cup-Sieger: Nico Sturm nach Colorados 2:1 gegen Tampa Bay Lightning im sechsten Spiel der NHL-Finals.

(Foto: Christian Petersen/AFP)

21 Jahre nach dem letzten Titel gewinnt Colorado Avalanche den Stanley Cup gegen Tampa Bay Lightning. Angreifer Nico Sturm aus Augsburg schafft es damit in einen illustren Kreis.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Natürlich gab es auch nach diesen Stanley-Cup-Finals wieder diese wunderbare Tradition zu bestaunen. Beim Eishockey wird gekämpft und bisweilen auch geprügelt - doch wenn es vorbei ist, geben sich alle Beteiligten die Hand. In diesem Jahr war das ein besonderer Moment, weil die Spieler von Tampa Bay Lightning nach zwei Meisterschaften in Serie wussten, wie sich nun die fühlen, gegen die sie gerade verloren hatten. Es waren freundschaftliche, fast heitere Handschläge, als würden die einen die anderen in diesem Zirkel der Stanley-Cup-Gewinner begrüßen.

Der heißt Colorado Avalanche, und deshalb schwang bei den Begegnungen auf dem Eis auch sehr viel Respekt mit. Colorado hat inklusive Playoffs die meisten Siege (72) in der Geschichte der nordamerikanischen Profiliga NHL geschafft, in den K.-o.-Runden verloren sie insgesamt nur vier Partien und erzielten insgesamt 30 Tore mehr als ihre Gegner - kein Verein schaffte eine bessere Quote als plus sechs. Das beste Team hat den Titel gewonnen, 21 Jahre nach dem letzten Stanley-Cup-Sieg des Vereins und nur fünf Jahre, nachdem die Avalanche die schlechteste Bilanz der Liga hatte.

Colorados Angreifer Nico Sturm ist nun der fünfte Deutsche, der in der NHL triumphieren konnte. Vor dem 27 Jahre alten Augsburger war das Uwe Krupp, Dennis Seidenberg, Tom Kühnhackl und Philipp Grubauer gelungen. Sturm war erst Mitte März von den Minnesota Wild zu seinem neuen Team gewechselt. "Ich will der Mannschaft in Colorado helfen, den Stanley Cup zu gewinnen. Über alles andere mache ich mir nach der Saison Gedanken", hatte er betont. Nun konnte Sturm den fast 90 Zentimeter hohen und knapp 16 Kilogramm schweren Pokal in die Höhe stemmen - mit einem breiten Grinsen wie seine Teamkollegen.

"Es ist etwas, von dem man sein Leben lang träumt", sagte Avalanche-Manager Joe Sakic danach, der genau weiß, wovon er redet: Er kam 1987 zu diesem Verein, der damals noch Quebec Nordiques hieß. In der Saison nach dem Umzug nach Colorado (1995/96) gewann er als Spieler den Titel - den entscheidenden Treffer damals schoss Uwe Krupp - und fünf Jahre später noch einen. 2009 beendete er seine aktive Karriere, nach zwei Jahren Auszeit begann er, im Management des Vereins zu arbeiten. Sakic ist also Avalanche, und er ist deshalb auch mit dieser schlimmen sportphilosophischen Frage vertraut: Was tut mehr weh - oft zu verlieren oder dem Triumph nahe zu sein und dann zu verlieren?

Auch nach einer Saison mit der schlechtesten Bilanz der Liga blieben sie in Colorado relativ gelassen

In der Zeit der Titelgewinne damals gab es nämlich auch bittere Niederlagen: jeweils im Entscheidungsspiel gegen die Dallas Stars (1999, 2000) und die Detroit Red Wings (2002, mit Uwe Krupp) oder auch das sechsmalige Scheitern trotz bester Bilanz der Western Conference (1997-2000, 2002-03) noch vor der Finalserie - was bei den Fans der Rivalen für den Spott sorgte, dass man sich um Colorado wahrlich keine Sorgen machen müsse; die fänden schon einen Weg, es irgendwie zu vermasseln.

Man musste sich dann 15 Jahre lang wirklich kaum Sorgen machen als Gegner, nach nur zwei Playoff-Teilnahmen in neun Jahren folgte 2017 diese Saison mit der schlechtesten Bilanz der Liga. Der Trainer damals: Jared Bednar, der zu Saisonbeginn Vereinslegende Patrick Roy (bei den Titeln 1996 und 2001 der Torwart) abgelöst hatte. Bester Torschütze damals: Mikko Rantanen. Bester Punktesammler: Nathan MacKinnon. Der harte Hund mit den meisten Strafminuten: Gabriel Landeskog.

Eishockey in den USA: Einst Trainer des Teams mit der schlechtesten Bilanz der Liga, nun Trainer des Teams mit der besten Bilanz: Colorados Coach Jared Bednar.

Einst Trainer des Teams mit der schlechtesten Bilanz der Liga, nun Trainer des Teams mit der besten Bilanz: Colorados Coach Jared Bednar.

(Foto: Bruce Bennett/AFP)

Trainer jetzt beim Titel: Jared Bednar. Bester Torschütze: Nate MacKinnon (45). Bester Punktesammler : Mikko Rantanen (117). Harter Hund mit den meisten Strafminuten: Gabriel Landeskog (84). "Es waren damals schon unglaublich gute Spieler da; die waren aber noch jung", sagt Sakic. Deshalb blieben sie nach dieser erfolglosen Saison relativ gelassen in Colorado, sie hofften: Da könnte was wachsen, und wenn wir das ordentlich pflegen, dann könnte da was draus werden. Es wurde was, Avalanche schaffte es wieder regelmäßig in die Playoffs - und kassierte abermals bittere Niederlagen, im Entscheidungsspiel gegen die San Jose Sharks 2019 oder in der vergangenen Saison gegen die Vegas Golden Knights trotz der besten Bilanz der gesamten Liga.

Also: Was ist schlimmer, oft zu verlieren - oder dafür bekannt zu sein, dem Triumph so nahe zu sein und es immer wieder zu vermasseln?

"Wer weiß, was für Opfer nötig sind, um überhaupt so weit zu kommen, der weiß, wie es sich anfühlt, am Ende nicht zu gewinnen", sagte MacKinnon nach dem 2:1 im sechsten Finalspiel gegen Tampa Bay. Er spielte damit darauf an, dass unter NHL-Spielern nur ein komplett abgetrennter Körperteil als Grund fürs Fehlen gilt, zum anderen die Amerikaner den Stanley Cup aufgrund von Verletzungen und anderen Unabwägbarkeiten (in den vergangenen 20 Jahren haben nur zwei Vereine den Titel gewonnen, die nach der regulären Saison die beste Bilanz hatten) den Stanley Cup für die am schwierigsten zu erreichende Trophäe im Vereinssport weltweit halten. "Jetzt weiß ich endlich, wie es sich anfühlt, zu gewinnen", sagte MacKinnon.

Nico Sturm ist in den Playoffs zum Stammspieler aufgestiegen

Das führt zu dieser Finalserie gegen Tampa Bay. Die Mannschaft hatte es nach einer durchwachsenen regulären Saison ins Finale geschafft. Lightning ist bekannt dafür, es trotz Problemen immer wieder hinzukriegen - und spielte wiederum gegen jenen Verein, der bekannt dafür ist, es immer wieder irgendwie zu vermasseln.

Colorado gewann die erste Partie nach Verlängerung, die zweite 7:0. Es lief, wie viele Experten es prognostiziert hatten. Als Colorado nach einem Schwächespiel die vierte Begegnung nach Verlängerung gewann und 3:1 führte in der Best-of-seven-Serie, da war klar: Das Ding ist gelaufen. Dann aber gewann Tampa Bay überzeugend in Colorado und hatte bei dieser sechsten Partie am Sonntagabend Heimrecht. Plötzlich hieß es: Die werden doch nicht schon wieder, und Colorado wird doch nicht ...?

Eishockey in den USA: Am Sonntag knapp sechs Minuten auf dem Eis - und nun im Stanley Cup verewigt: Nico Sturm (rechts).

Am Sonntag knapp sechs Minuten auf dem Eis - und nun im Stanley Cup verewigt: Nico Sturm (rechts).

(Foto: Mike Carlson/AFP)

Nein, weil Colorado es ganz einfach nicht vermasselte und selbst nach 0:1-Rückstand am Sonntag gelassen blieb. Das Team verteidigte herausragend, ließ im letzten Abschnitt nur vier Schüsse aufs eigene Tor zu; Defensivspieler Cale Makar wurde zum wertvollsten Akteur dieser Finalserie gewählt. "Wir haben lauter Krieger in diesem Team", sagte MacKinnon, er meinte damit freilich auch den deutschen Angreifer Nico Sturm, der in den Playoffs in den Stammkader aufstieg, am Sonntag knapp sechs Minuten auf dem Eis stand und nun seinen Namen in den Cup graviert kriegt.

Es gibt noch eine wunderbare Tradition in der NHL: Der Sieger darf den Cup, der seit 1893 verliehen wird, ein Jahr lang behalten und damit so ziemlich alles tun, was er will. Der Stanley Cup verbrachte deshalb bereits eine Nacht lang auf dem zugefrorenen Rideau Canal, die Hypothek auf den Madison Square wurde darin verbrannt, bei einer Siegesfeier wurde er ins Lagerfeuer geschmissen. Es wurden drei Kinder darin getauft, Hunde und Pferde aßen daraus, vor allem wurde er immer wieder beschädigt bei wilden Feiereien.

Irgendwas passiert immer, Colorado machte am Sonntag gleich weiter mit dieser Tradition: Als Nicolas Aube-Kubel zum Siegerfoto eilte, rutschte er aus und knallte mit dem Cup aufs Eis - der hatte sogleich eine sichtbare Beule. Schien aber keinen zu stören, vor allem nicht jene, die es so oft vermasselt hatten und nun endlich wissen, wie sich das anfühlt, mit diesem Stanley Cup zu feiern.

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