Italien:Fußballprofi wird Bürgermeister

Italien: Markenzeichen Wuschelkopf: Damiano Tommasi ist praktizierender Katholik, Vater von sechs Kindern - und nun Bürgermeister von Verona.

Markenzeichen Wuschelkopf: Damiano Tommasi ist praktizierender Katholik, Vater von sechs Kindern - und nun Bürgermeister von Verona.

(Foto: Imago/R4924_italyphotopress/Imago/Italy Photo Press)

Er war italienischer Internationaler, ein Mann mit Prinzipien und Vista: Wie Damiano Tommasi die harte Rechte in ihrer Hochburg Verona geschlagen hat - fast aus dem Nichts.

Von Oliver Meiler

"Tor in Verona!" Wenn Sportler einer neuen Betätigung nachgehen, neigen die Medien gerne dazu, Bilder aus dem alten Leben rüberzuretten. Beim früheren italienischen Fußballprofi Damiano Tommasi, der am Sonntag spektakulär zum neuen Bürgermeister von Verona gewählt wurde, beinahe aus dem Nichts, ist das auch so. Seine Bürgerliste trug den Namen "Rete!", das ist ein Wortspiel: Rete steht im Italienischen für Tor und für Netz.

Tommasi, 48 Jahre alt, 25 Länderspiele für Italien, war der Star dieser kleinen Runde von Gemeindewahlen. Alle Italiener kennen ihn. Er spielte damals im Mittelfeld, ein Mann mit Gespür fürs Geschehen auf dem ganzen Rasen - mit Vista, sagen die Fußballer. Und auch das gab natürlich eine schöne Metapher her. Ist Vista nicht eine Vorstufe zur Vision?

Tommasi war schon immer ein politischer Kopf, müsste man ihn ideologisch verorten: ein linker Christdemokrat, ein praktizierender Katholik mit sozialer Ader. Und Vater von sechs Kindern. Als junger Fußballer weigerte er sich, den obligatorischen Militärdienst zu absolvieren, weil er keine Waffe tragen wollte. Es war eine Premiere im Calcio. Die Caritas schickte ihn für den Zivildienst zu "Tele Pace", einem katholischen Nischensender.

Als er nicht spielen konnte, reduzierte er freiwillig sein Gehalt

In Rom, wo er lange spielte, nannten sie ihn "Anima candida", treue Seele, weil er in der Umkleide der Associazione Sportiva immer um Harmonie bedacht war. Als Tommasi mit dem Sport aufhörte, wurde er Präsident der nationalen Spielergewerkschaft. Auch das passte gut, obschon er sich da für die Interessen von Superverdienern stark machte. Selber war er bescheidener: Einmal, nach einer Knöchelverletzung, verringerte er sich sein Salär freiwillig auf 1470 Euro pro Monat, den Mindestlohn. "Ich sagte zum Verein: 'Spiele ich nicht, verliert ihr fast kein Geld. Spiele ich, gewinnen beide.'" Wieder diese Vista fürs Ganze.

Und so war niemand wirklich verwundert, als Tommasi vor einem halben Jahr bekannt gab, dass er Bürgermeister von Verona werden wolle. Er kommt aus Negrar im Valpolicella, das liegt vor den Toren der Stadt. Chancen räumte man ihm aber nicht ein, zumal als Novize. Verona ist traditionell eine Hochburg der Rechten und der extremen Rechten, die sich da den katholischen Identitären nahe fühlen. Seit zwanzig Jahren ist es der Linken nicht mehr gelungen, Wahlen in Verona zu gewinnen. Der Bischof der Stadt riet öffentlich davon ab, Tommasi zu wählen, man muss sich das mal vorstellen.

Im Wahlkampf ging er zu Fuß durch alle Viertel - und hörte zu

Der führte einen Wahlkampf, wie man ihn in Italien noch nicht erlebt hat: Postpolitisch, schreiben die Zeitungen. Postpopulistisch trifft es vielleicht besser. In den Straßen von Verona hingen fast keine Plakate mit seinem markanten Wuschelkopf, obschon der sein Werbekapital war. Tommasi hielt keine Reden auf der Piazza, gab nicht den Tribun, brüllte nie. Er verwahrte sich auch dagegen, dass die Parteien aus dem linken Lager, die seine Kandidatur unterstützten, sich mit ihren Symbolen auf seine Seite schlugen. Stattdessen sammelte er viele junge, motivierte Menschen um sich, man erkannte sie an ihren gelben T-Shirts. Und er ging zu Fuß durch alle Viertel der Stadt, jeden Tag wählte er ein anderes aus, verweilte, hörte den Menschen zu, redete mit ihnen über Arbeit, Umwelt, Jugend, Zukunft, eins zu eins. In den Arbeitervierteln der Peripherie, wo sie zuletzt Lega wählten, empfing man ihn mit Wohlwollen, wie es sich die alte Linke für sich wünschen würde.

Die Rechte dagegen spaltete sich: Bürgerliche gegen Haudrauf. Der bisherige Bürgermeister, Postfaschist Federico Sboarina, versuchte immer wieder, Tommasi zu provozieren. Doch der lächelte alles weg. "Wir haben auch stilistisch gewonnen", sagte er nach dem Wahltriumph. Und so gilt Damiano Tommasi nun natürlich bereits als großer Hoffnungsträger einer neuartigen Linken - jenseits der Provinz, prädestiniert für die nationale Topliga. Es ist eben wie im echten Fußball: Ein Tor im Finale, und die Glorie ist garantiert.

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