Documenta: Roth hatte Beirat vorgeschlagen:Beratungsresistent

Documenta: Roth hatte Beirat vorgeschlagen: Kulturstaatsministerin Claudia Roth und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei der Eröffnung der Documenta am 18. Juni. Links: Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle, unten rechts: Documenta-Generaldirektorin Sabine Schormann.

Kulturstaatsministerin Claudia Roth und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei der Eröffnung der Documenta am 18. Juni. Links: Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle, unten rechts: Documenta-Generaldirektorin Sabine Schormann.

(Foto: Rüdiger Wölk/Imago)

Claudia Roth hatte der Documenta im Januar einen Expertenbeirat empfohlen. Doch Kassels Bürgermeister verwahrte sich gegen "Zensur".

Von Jörg Häntzschel

Als kurz nach der Eröffnung der Documenta auf dem Großbild "People's Justice" antisemitische Karikaturen entdeckt wurden, ließen Rufe nach personellen Konsequenzen nicht auf sich warten. Außer dem Rücktritt der Generaldirektorin der Ausstellung, Sabine Schormann, wurde - unter anderem von der Jüdischen Allgemeinen - auch der von Kulturstaatsministerin Claudia Roth gefordert. Sie sei verantwortlich für das Debakel, da sie im Januar, als die Debatte um die BDS-Nähe einiger Mitglieder des Kuratorenkollektivs Ruangrupa anhob, versprochen habe, es werde auf der Documenta keinen Antisemitismus geben.

"Einen Eingriff in die künstlerische Freiheit darf und wird es mit mir nicht geben", so Kassels OB

Wie jetzt bekannt wurde, hatte es Roth allerdings nicht bei Versprechen belassen. Wie der Spiegel berichtet, schlug sie im Januar vor, der Documenta-Leitung einen international besetzten Beirat zur Seite zu stellen, der die Kuratoren und Verantwortlichen in Sachen Antisemitismus beraten sollte. "Der mediale Druck auf die Documenta und alle, die politisch für sie Verantwortung tragen, ist sehr groß", schrieb Roths Amtschef Andreas Görgen in einer Mail. "Forderungen nach Ausladungen von Künstlerinnen oder Künstlern werden erhoben und voraussichtlich, wenn wir nicht schnell und umsichtig handeln und dem nachgehen, mit immer mehr Nachdruck erhoben und die Documenta gefährden." Görgen hatte bereits eine Liste von Experten aus der Antisemitismusforschung als potenzielle Mitglieder dieses Beirats zusammengestellt. Darunter waren Raphael Gross, der Direktor des Deutschen Historischen Museums, Meron Mendel, Chef der Bildungsstätte Anne Frank, und Edna Harel-Fisher, Forscherin am Israel Democracy Institute und ehemalige Beraterin der israelischen Regierung in Fragen von Meinungsfreiheit.

Der Kasseler Bürgermeister und Aufsichtsratsvorsitzende der Documenta, Christian Geselle (SPD), wies den Vorstoß aber weit von sich: "Einen Eingriff in die künstlerische Freiheit darf und wird es mit mir nicht geben - auch nicht durch Überprüfung oder gar Beschlüsse in den Gremien der Gesellschaft", schrieb Geselle damals in einer Pressemitteilung. "Und schon gar nicht wird man als Aufsichtsrat Beschlüsse zu künstlerischen Arbeiten fassen, da dies einer Zensur gleichkäme." Trotz der bereits scharfen öffentlichen Debatte und trotz der Warnungen aus dem Haus von Claudia Roth war Geselle und Schormann offenbar nicht bewusst, welche Fallstricke drohten, wenn ein kaum in deutschen Antisemitismusdebatten gebrieftes indonesisches Kuratorenkollektiv Carte blanche für Deutschlands größte Kunstausstellung erhalte.

Dass sich Roth mit ihrem Vorstoß nicht durchsetzen konnte, lag vor allem daran, dass sich der Bund, der bis dahin mit zwei Mitgliedern im Aufsichtsrat vertreten war (Hessen und Kassel stellen je fünf), 2018 aus dem Gremium zurückzog. Seitdem ist er an der Documenta nur noch als Förderer beteiligt. Er kommt mit einem Beitrag von 3,5 Millionen für etwa acht Prozent des Gesamtbudgets auf.

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