Profil:Dirk Neubauer

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Dirk Neubauer, Bürgermeister der sächsischen Kleinstadt Augustusburg, in der ARD-Talkshow hart aber fair. (Foto: Eventpress Stauffenberg/imago images/Eventpress)

Parteiloser Landratskandidat in Mittelerde und sächsischer CDU-Schreck.

Von Ulrike Nimz

"Eine Stadt mit Weitsicht", so lautet der Slogan von Augustusburg. Der Ort ist bekannt für sein hoch gelegenes Renaissanceschloss - und für einen Bürgermeister, der dieses Motto persönlich nimmt. Seit einer knappen Dekade leitet Dirk Neubauer die Geschicke der sächsischen Kleinstadt nahe Chemnitz. Meist in Jeans und Sneakern, mit einem Hang zur Rastlosigkeit: Er gründete das Portal "Mein Augustusburg", lässt Bürger per App über den Einsatz öffentlicher Gelder abstimmen. Das Projekt "Kleinstadtmenschen" stellt Einwohner und Ortsgeschichte in Onlinefilmen vor: Da erzählt der Konditor von der Faszination Baumkuchenmaschine, der Enkel des Zigarrenfabrikanten vom Frühling 1945, als die Russen das Porzellan aus dem Schloss trugen.

Auch wenn die Augustusburger Verwaltung noch nicht ganz papierfrei arbeitet - Dirk Neubauer hat die Stadt zum Vorbild in Sachen digitaler Bürgerbeteiligung gemacht und längst ein neues Ziel: Er will Landrat werden für Mittelsachsen. Der Kreis grenzt an Thüringen und Tschechien, 300 000 Einwohner. Neubauer sagt "Mittelerde", frei nach Tolkien.

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Mit 41,3 Prozent holte der parteilose Kandidat die meisten Stimmen im ersten Wahlgang. Ein Überraschungserfolg im Bundesland Sachsen, wo in der Vergangenheit stets die CDU vorn lag, viele Beobachter zunächst sogar einen Sieg der AfD prophezeiten. Wie hat er das geschafft?

Freunde nennen in Zono - den Bono aus der Zone

Neubauer, 51, Patchwork-Familie, stammt aus Halle an der Saale, hat eine Weile Sozialpädagogik studiert, an einer Tankstelle Autos gewaschen, in einer U2-Coverband gesungen. Freunde nennen ihn Zono - den "Bono aus der Zone" (nach Bono, dem Sänger von U2). In den Neunzigern berichtete Neubauer als Reporter für die Mitteldeutsche Zeitung über die Oderflut, Spargelstecher, die Plattenbauten in Halle-Neustadt. Dass er wenig für die Menschen tun konnte außer über sie zu schreiben, habe ihn betrübt, sagt er. Nach Stationen beim MDR und als Berater für Zeitungsverlage zog er nach Augustusburg, eröffnete eine Kaffeerösterei. 2013 kandidierte er als Bürgermeister und gewann.

Dirk Neubauer hat gelernt, wie man eine Geschichte gut erzählt. Wenn er von seiner Vision für den Landkreis spricht, von Eigenverantwortung und Selbstwirksamkeit, wird klar, warum die Bewohner von Mittelerde am 3. Juli einen zugezogenen Journalisten zum Landrat machen könnten.

Unterstützt wird Neubauer von Grünen, Linken und der SPD. Er war selbst einmal Sozialdemokrat, trat aus, als in Augustusburg ein erfolgreiches Modellprojekt zum Umgang mit dem Virus an der Bundesnotbremse scheiterte. Im Osten, wo ein Parteibuch kein Ausweis von Expertise, sondern zuallererst Anlass zu Misstrauen ist, habe dieser Schritt eher geholfen als geschadet, sagt Neubauer. "Ich bin Fan von repräsentativer Demokratie, aber das System repräsentiert nicht. Die Menschen haben sich ihre Skepsis ehrlich erworben."

"Unsere Demokratie stirbt."

Ein typischer Neubauer-Satz ist das. Immer wieder hat er vor politischer Agonie gewarnt, in Talkshows, in seinen Büchern. "Unsere Demokratie stirbt", lautet der erste Satz seiner neuesten Streitschrift, darin kritisiert er eine starre Verwaltung, die alles bis auf die fünfte Kommastelle ausrechne, aber zu den Menschen kaum noch Bezug habe. Als Landrat will er vor allem ansprechbar sein, Bürgerkonferenzen abhalten, dafür sorgen, dass auch am Wochenende Busse fahren, dass Daten von Behörde zu Behörde geschickt werden, nicht Menschen. "Für die Leute hier ist es sehr wichtig, dass da einer ist, der nicht aufhört, wenn es mal wieder heißt: Das geht nicht."

Dirk Neubauers Lieblingssong von U2 heißt "13 (There is a light)". Im eher finsteren Titel gibt es die lichte Zeile: "I know the world is done / But you don't have to be" - die Welt ist erledigt, aber du bist es nicht. Und vielleicht ist die Demokratie ja doch ganz lebendig in Sachsen.

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