Selbsthilfetag:Münchens Selbsthilfegruppen stellen sich vor

Selbsthilfetag: Wichtige Vernetzungsarbeit: Klaus Grothe-Bortlik (rechts), Geschäftsführer des Selbsthilfezentrums, im Gespräch mit Yusir Alshorofey (links) und Luma Afandy.

Wichtige Vernetzungsarbeit: Klaus Grothe-Bortlik (rechts), Geschäftsführer des Selbsthilfezentrums, im Gespräch mit Yusir Alshorofey (links) und Luma Afandy.

(Foto: Florian Peljak)

Im Selbsthilfezentrum zeigt sich oft schneller als irgendwo sonst, wohin sich die Gesellschaft entwickelt - und mit welchen Verletzungen das für einzelne verbunden sein kann. Nun sind die 60 Gruppen endlich wieder öffentlich wahrnehmbar.

Von Andrea Schlaier

An der Westendstraße 68 wohnen die stillen Seismografen der Stadt. An kaum einer anderen Stelle treten gesellschaftliche Entwicklungen so gebündelt zu Tage wie im Selbsthilfezentrum München (SHZ) mit Sitz im Westend: Angehörige von Verschwörungstheoretikern formieren sich hier zur Gruppe, Hinterbliebene von an Corona Verstorbenen, uigurische Kulturschaffende oder Menschen, die an oft seltenen oder immer häufiger auftretenden Krankheiten beziehungsweise Abhängigkeiten leiden, seien es Fatigue-Syndrom oder Medien-Sucht. Am Samstag, 9. Juli, werden viele von ihnen laut und sichtbar: Auf dem Marienplatz präsentieren sich 60 dieser Initiativen zwischen 10.30 und 16.30 Uhr beim Münchner Selbsthilfetag.

Endlich, sagt der Geschäftsführer des Zentrums, Klaus Grothe-Bortlik, bei der Vorstellung des Programms im eigenen Haus, werde man wieder öffentlich und zentral wahrnehmbar. Pandemiebedingt kann der Selbsthilfetag nun erst wieder nach dreijähriger Zwangspause stattfinden. Im Zentrum selbst, wo sich regelmäßig 260 Gruppen treffen, fiel im März 2020 von einem Tag auf den andern die Tür ins Schloss. Und blieb sehr lange zu. Erst seit zwei Monaten sind die Beschränkungen wieder aufgehoben. "Wir haben auch viele ältere Leute in den Gruppen, für die war das eine Überforderung, Kontakte zu halten", erzählt Grothe-Bortlik. Kreise lösten sich auf. Aber es bildeten sich auch neue. Nicht nur, weil Corona auf vielgestaltige Weise ein neues Thema setzte.

Vergangenes Jahr zählten die Helfer mehr als 2000 Beratungen und Vermittlungen

"Wir sind hier die Kontaktstelle für Menschen, die ein Anliegen haben", sagt Mirjam Unverdorben-Beil, Projektleiterin des Selbsthilfetages. Beratung gebe man nicht nur inhaltlich, sondern auch was die Gründung einer Gruppe angehe, Öffentlichkeitsarbeit oder finanzielle Förderung (www.shz.muenchen.de). Vergangenes Jahr zählten die Helfer mehr als 2000 Beratungen und Vermittlungen im gesamten Themen-Portfolio, in dem neben Gesundheit, Umwelt, Migration vor allem auch psychische Erkrankungen und Lebenskrisen einen zentralen Platz ausmachen und mit 41 Prozent 2021 am stärksten nachgefragt waren.

Die freiwilligen Zusammenschlüsse, die selbstorganisiert agieren, das betont Unverdorben-Beil, seien aber ausschließlich "eine Ergänzung professioneller und medizinischer Hilfe". Ersetzen könne man die nicht. Zuschüsse gibt es für die Arbeit des SHZ sowohl von den Krankenkassen als auch der Landeshaupstadt. Schirmherrin des Selbsthilfetages ist diesmal Bürgermeisterin Katrin Habenschaden (Grüne).

Selbsthilfetag: Die Musiker Mohamad Hammami (Percussion) und Aghiad Alsagher an der Oud, der orientalischen Laute, stehen für die reiche arabische Kultur.

Die Musiker Mohamad Hammami (Percussion) und Aghiad Alsagher an der Oud, der orientalischen Laute, stehen für die reiche arabische Kultur.

(Foto: Florian Peljak)

Auch Gestaltungslust und Kunst taugen bestens, Menschen in Krisensituationen Halt und Inhalt zu geben. Yusir Alshorofey und Luma Afandy erzählen bei der Vorstellung des Programms davon. In ihrer Gruppe "Kreativ und selbstbewusst" treffen sich seit 2014 vor allem Frauen, die aus der ganzen Welt nach München gekommen sind. Mit Handarbeit und Gesang haben sie sich "aus dem Alltag, aus Krankheit, Depression und Einsamkeit" befreit. Afandy, die in Bagdad an der Akademie Kunst studiert hat, spricht von "Handarbeit als Ruhe für die Seele".

Neben ihr sitzt Aghiad Alsagher. Er hat in Damaskus, Regensburg und München Violine studiert. Mit Mohamad Hammami an der Percussion wird er am Ende der Pressekonferenz eine berühmte ägyptische Volksweise spielen. "Naoua" heißt der Chor der beiden, "mit dem wir zeigen wollen, dass wir eine reiche arabische Kultur haben". Die Mitglieder kommen aus ganz unterschiedlichen arabischen Ländern. Selbstbewusste Kunst der sich selbst Helfenden wird am 9. Juli auf dem Marienplatz ebenfalls reichlich zu sehen und zu hören sein (www.muenchner-selbsthilfetag.de).

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