Personal für Schwimmbäder:"Eigentlich stehe ich immer mit einem Bein im Gefängnis"

Personal für Schwimmbäder: Schwimmmeister Sante Ciavarella hat im Haarer Freibad alles im Blick.

Schwimmmeister Sante Ciavarella hat im Haarer Freibad alles im Blick.

(Foto: CLAUS SCHUNK)

Bademeister werden in Deutschland gerade händeringend gesucht. Wie ist es, in diesem Beruf zu arbeiten? Zu Besuch bei jenen, die sich nicht den geringsten Fehler erlauben dürfen.

Von Lydia Wünsch, Haar

Glitzerndes Wasser, kreischende Kinder, aufgeschürfte Knie. Das Haarer Freibad ist ein Ort, an dem sich etwas rührt. Und mitten in dem Durcheinander Bäderleiter Sante Ciavarella. Braungebrannt, mit einem scheinbar entspannten Lächeln auf den Lippen, den Blick auf die Becken geheftet. "Denn Ertrinken ist ein leiser Tod", sagt er. Wer einen Herzinfarkt oder Kreislaufzusammenbruch im Wasser erleidet, hat nicht mehr die Kraft zum Schreien. Um Leben zu retten, sind aber Sekunden entscheidend. Darum sorgen Ciavarellas aufmerksame Augen für einen unbeschwerten Badesommer. Doch neben ihm fehlten bis vor kurzem Rettungsschwimmer.

Das Freibad konnte Ciavarella deswegen morgens erst um 10 Uhr statt wie sonst um 7 Uhr öffnen und die Hallenbäder musste er zeitweise ganz schließen. Seit Anfang Juni hat sich das Problem gelöst, alle drei Bäder haben wieder regulär geöffnet. "Mit zehn neuen Rettungsschwimmern, plus fünf in Ausbildung, sind wir neben den acht Festangestellten wieder gut aufgestellt", sagt der Bäder-Leiter.

Eine von ihnen ist Anastasiia Zhmailova. Ende März musste die 30-jährige Ukrainerin aus ihrer Heimatstadt Charkiw flüchten, seit Anfang Juni arbeitet sie im Haarer Freibad. Für den Job ist sie als ehemalige Schwimmmeisterin der ukrainischen Staatsmannschaft bestens gerüstet. Nicht nur das: Sie kann jetzt wieder ihren Traum leben, nah am Wasser zu sein. Eine Verletzung hatte sie mit 16 Jahren gezwungen, mit dem professionellen Schwimmen aufzuhören. So hatte die Flucht aus ihrem Heimatland zumindest etwas Gutes. "Dieser Beruf macht meine Seele glücklich", sagt Zhmailova.

Personal für Schwimmbäder: Der Job am Wasser macht Anastasiia Zhmailova aus Charkiw glücklich.

Der Job am Wasser macht Anastasiia Zhmailova aus Charkiw glücklich.

(Foto: Claus Schunk)

Doch so wie sie sehen das offenbar derzeit nicht viele. Mindestens 2500 ausgebildete Fachkräfte für Bäderbetriebe (so die offizielle Bezeichnung) fehlen laut dem Bundesverband Deutscher Schwimmmeister. Tendenz steigend. Die Situation ist laut dessen Präsident Peter Harzheim so ernst, dass viele Schwimmbäder in ganz Deutschland reduzierte Öffnungszeiten haben oder trotz sommerlicher Temperaturen gar nicht erst aufmachen können.

Fehler sind in dem Beruf als Schwimmmeister nicht erlaubt

Die Arbeit scheint aktuell nicht sonderlich beliebt zu sein. Sante Ciavarella vermutet mehrere Gründe. "In diesem Beruf trägt man sehr viel Verantwortung. Und die will eben nicht jeder auf sich nehmen." Immerhin gehe es um nichts Geringeres als das Leben von Menschen. "Eigentlich stehe ich als Leiter eines Bäderbetriebes immer mit einem Bein im Gefängnis", sagt er. Machen er oder seine Mitarbeiter auch nur den geringsten Fehler, kann ihm das angelastet werden. Mal ganz davon abgesehen, dass kaum ein Mensch sich für den Tod eines anderen verantwortlich fühlen möchte. "Sollte dir ein Mensch unter deinen Händen wegsterben, dann bleibt das ein Leben lang in dir drin", ist sich Ciavarella sicher.

Was also so entspannt aussieht, wenn die braungebrannten Rettungsschwimmer die Becken auf und ab schlendern, hat in Wahrheit System. Ein Kollege an der Rutsche, ein anderer an den Sprungbrettern, einer am 50-Meter-Becken. "Prävention ist das Allerwichtigste", sagt Ciavarella. Je besser sein Personal sich positioniert, je eher sie Gefahrensituationen erkennen, desto seltener müssen Rettungsaktionen gestartet werden.

Personal für Schwimmbäder: Akrobatischer Sprung vom Drei-Meter-Brett im Haarer Freibad.

Akrobatischer Sprung vom Drei-Meter-Brett im Haarer Freibad.

(Foto: Sebastian Gabriel)
Personal für Schwimmbäder: Das Freibad in Haar ist für viele in der Gemeinde und der Umgebung im Sommer der schönste Ort.

Das Freibad in Haar ist für viele in der Gemeinde und der Umgebung im Sommer der schönste Ort.

(Foto: Gemeinde Haar)

Kommt es dennoch zum Worst-Case-Szenario, ist das ein enormer Stress für alle Beteiligten, auch wenn solche Situationen während der Ausbildung trainiert werden. Dann heißt es: Schockstarre überwinden und funktionieren. Vergangenes Jahr ging ein Fünfjähriger unter und die Rettungsschwimmer mussten ihn wiederbeleben. Zum Glück hat der Junge alles gut überstanden, "aber hinterher, wenn die Anspannung abfällt, zittern meine Mitarbeiter", so Ciavarella. Bisher ist unter seiner Aufsicht noch immer alles gut gegangen. Dennoch: Eine Garantie gibt es nie. "Wenn ich nach rechts schaue, kann ich nicht gleichzeitig nach links schauen." Die Rettungsschwimmer sind präsent, aber sie können nicht überall gleichzeitig sein.

Nur weil derzeit genug Personal da ist, kann Ciavarella einen Moment lang durchatmen und sich in der Nachmittagshitze im Aufenthaltsraum neben seinem Büro Zeit für das Interview nehmen. Trotzdem bleibt das Walkie-Talkie immer an. "Seit 22 Jahren bin ich in Deutschland und seither mache ich nichts anderes", sagt der gebürtige Italiener. In seiner Heimatregion Apulien hat er als 16-Jähriger in den langen italienischen Sommerferien die Ausbildung zum Bagnino absolviert - dem italienischen Rettungsschwimmer. In Deutschland muss man dafür 18 Jahre alt sein, dann kann man die vier- bis sechswöchige Ausbildung und Prüfung bei der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) oder der Wasserwacht machen.

Während der Corona-Pandemie haben viele gekündigt, jetzt fehlen allerorten Aufpasser

Natürlich seien die Bedingungen am Meer weitaus schwieriger gewesen als im Schwimmbad, sagt der Bäderchef. Unübersichtliche Strömungen, Wellengang und Wetterlage können das Mittelmeer zu einer Todesfalle werden lassen. Dreimal musste Ciavarella als Bagnino einem Menschen das Leben retten. Als er Jahre später nach Deutschland kam, wusste er, was Verantwortung heißt. Und als die Gemeinde wieder einmal Rettungsschwimmer suchte, kam Ciavarella zur rechten Zeit. 2020 - während der Pandemie - hat er schließlich die Leitung übernommen.

Neben der hohen Verantwortung ist Ciavarella zufolge auch die körperliche Belastung ein Grund, warum wenige Menschen sich für diesen Beruf begeistern. Der Rettungsschwimmer ist dabei nur ein Teil der Ausbildung. Was man dafür können muss, ist allerdings Hochleistungssport: Unter zwölf Minuten mit Jeanshose und Jacke schwimmen, bis zu fünf Meter tief tauchen, 35 Meter Streckentauchen - das kann selbst Menschen, die sich sonst wie Fische im Wasser fühlen, in die Knie zwingen.

Personal für Schwimmbäder: Die Ausbildung zum Rettungsschwimmer ist schwer, der Job erfordert Verantwortung.

Die Ausbildung zum Rettungsschwimmer ist schwer, der Job erfordert Verantwortung.

(Foto: privat/BRK Kreisverband Ebersberg)

Während Corona waren zudem viele Bäder geschlossen, was zu Kurzarbeit und Kündigungen führte. Viele Bademeister haben sich in dieser Zeit beruflich umorientiert und jetzt keine Lust mehr, zurückzukommen. "Vielleicht ist der neue Job besser bezahlt, vielleicht haben sie weniger Verantwortung und weniger Stress", mutmaßt Ciavarella. Denn Bademeister, wie man die Facharbeiter umgangssprachlich nennt, arbeiten dann, wenn andere Urlaub haben, an Feiertagen, an Wochenenden, in Schichtarbeit, sechs und manchmal sogar zwölf Tage am Stück. Der Arbeitsbeginn etwa in Haar ist um 6.30 Uhr in der Früh. "Solange du keine Familie hast, kannst du das noch machen, doch selbst dann sind viele nicht bereit, das auf sich zu nehmen", ist Ciavarellas Erfahrung.

Er selbst lebt mit seiner Familie in Haar und seine beiden Kinder verbringen ihre Freizeit bei Papa im Freibad. Mit zehn und 13 Jahren seien sie bereits zu guten Schwimmern herangewachsen. Ob sie den Beruf später auch einmal ausüben wollen, weiß Ciavarella nicht, aber wenn ja, wird er sie nicht davon abhalten. "Es ist trotzdem ein wunderschöner Job. Man ist so viel mit Menschen zusammen und ich habe viele Haarer Kinder aufwachsen sehen." Auch das hat er am Blick, wenn er am Beckenrand steht.

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