Bundesfinanzen:Wie Lindner das Kabinett von seinem Haushaltsentwurf überzeugte

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Zehn pro Finger: Finanzminister Lindner will im kommenden Jahr 50 Milliarden Euro weniger ausgeben als in diesem. (Foto: Michele Tantussi/Reuters)

Die Ministerkollegen haben das Zahlenwerk von Finanzminister Lindner verabschiedet. Der lobt die Einsicht - doch die Konflikte brechen gerade erst auf.

Von Henrike Roßbach, Berlin

Bei diesem Haushalt ist alles anders. Zum Beispiel, dass der Bundesfinanzminister zu früh kommt. Normalerweise hinkt Christian Lindner seinem ambitionierten Zeitplan eher ein paar Minuten hinterher. An diesem Freitag aber, nachdem das Kabinett seinem Entwurf für den Haushalt 2023 zugestimmt hat, steht er schon im Foyer der Bundespressekonferenz, als er noch gar nicht dran ist. Der FDP-Chef hat ja auch schon etwas länger warten müssen auf diesen ersten eigenen Haushaltsentwurf; eigentlich hätte das Kabinett schon vor eineinhalb Wochen zustimmen sollen.

Oben im Saal versucht Lindner dann gar nicht erst, die Haushaltsverhandlungen als einen Plausch unter Freunden darzustellen. Es lägen "intensive Wochen" hinter ihnen, sagt er. Neben unzähligen Gesprächen auf der Arbeitsebene habe es 16 Gespräche von Minister zu Minister gegeben. "Sie ahnen", sagt er, "dass da Überzeugungsarbeit geleistet werden musste." Allein sieben Ressortchefs musste er erklären, dass sie nicht mehr, sondern weniger Mittel bekommen würden als zuvor.

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Das alles habe "sehr viel Arbeit gemacht", sagt Lindner. Zufrieden klingt er trotzdem, als er aufzählt, was alles drin sei in seinem Entwurf. Die Regierung werde ihrem Anspruch gerecht, die Schuldenbremse wieder einzuhalten. Durch "Konsolidierung" würden 50 Milliarden Euro weniger ausgegeben als dieses Jahr, die Neuverschuldung sinke von 140 Milliarden Euro auf unter zehn Milliarden - plus gut sieben Milliarden an Darlehen für die Krankenversicherung und den Internationalen Währungsfonds, die aber für die Schuldengrenze nicht mitzählen.

"Nein" sagte Lindner ziemlich oft

Außerdem sei man "reaktionsbereit" in der Krise: schwimmende Flüssiggasterminals, höhere Gaskosten, ein Fünf-Milliarden-Euro-Puffer für krisenbedingte Mehrausgaben und gut neun Milliarden Euro für Mindereinnahmen wegen weiterer Entlastungen - alles schon drin, laut Lindner. Und dazu noch: "Rekordinvestitionen", zum Beispiel in Bildung. Zwei Milliarden Euro für die Förderung von Kitakindern etwa seien ihnen sogar diese Woche noch gelungen.

Knapp zwei Stunden vor Lindners Auftritt hat der haushaltspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dennis Rohde, erklärt: "Der Haushaltsentwurf der Bundesregierung steht symbolisch für die bisherige Arbeit der Ampelkoalition." Das allerdings ist in einer Weise richtig, die Rohde vermutlich eher nicht im Sinn hatte. Denn die zähen Verhandlungen im Vorfeld des Haushaltsbeschlusses stehen symbolisch auch für die immer deutlicher zutage tretenden Differenzen in der Ampel.

In den ersten Monaten konnte das Bündnis so manche Brüche noch mit Geld kitten: erst mit der Verschiebung von 60 Milliarden Euro in den Energie- und Klimafonds, dann mit einem Ergänzungshaushalt, um Entlastungen im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg zu organisieren. Die Schuldenbremse? Ausgesetzt. Jetzt aber fällt Geld zur Beziehungspflege aus. Im Umkehrschluss heißt das: Lindner sagte zwar vielleicht nicht "Nö" - wie kürzlich der Kanzler, als er nach Energiespartipps gefragt wurde. Aber "Nein" sagte Lindner ziemlich oft.

Zwischenzeitlich summierten sich die Extrawünsche seiner Kabinettskollegen auf bis zu 100 Milliarden Euro bis Ende 2026 - plus gut 70 Milliarden Zusatzforderungen für den Energie- und Klimafonds. Lindner und sein Haushaltsstaatssekretär Werner Gatzer, der am Freitag mit ihm in der Bundespressekonferenz sitzt, haben die Wünsche dann nach und nach eingedampft. Erst auf Arbeits-, dann auf Chefebene, und wo ein Gespräch nicht reichte, wurden eben mehrere geführt. Zäh blieb es aber bis zum Schluss. Und der Wirtschaftsplan für den Energie- und Klimafonds hat es noch nicht mal ins Kabinett geschafft. Im Herbst droht derweil die nächste harte Auseinandersetzung. Nämlich darüber, ob und in welchem Umfang der Staat die Inflation in der Einkommensteuer berücksichtigen soll.

Jetzt aber sind erst einmal die Haushälter des Bundestags dran. Die finale Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses soll Mitte November über die Bühne gehen. Bis dahin könnte jedoch die Weltlage, von Corona bis Ukraine, Lindners Zahlenwerk längst wieder in Schieflage gebracht haben - auch wenn er findet, er habe einen "krisenfesten" Entwurf vorgelegt. Die Opposition ätzt schon jetzt, die Einhaltung der Schuldenbremse sei eine "große Märchenstunde". So sieht es zumindest der finanz- und haushaltspolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe, Sebastian Brehm, der am Freitag von einem "Haushalt der frisierten Zahlen" sprach.

Lindner dagegen gibt sich fürs Erste galant. Über seine Kabinettskollegen und die jetzt hinter ihm liegenden Verhandlungen sagt er, er sei "dankbar, dass alle ein Einsehen in die neuen finanziellen Realitäten hatten". Der Haushalt sei ein Beitrag zur Inflationsbekämpfung, und zusätzliche Schulden könne man sich ohnehin "schlicht nicht leisten", angesichts von 30 Milliarden Euro Zinskosten allein im nächsten Jahr. Auf die Frage, wie viel echte Einsicht ihm begegnet sei in den Haushaltsgesprächen und wie viel zähneknirschendes "Na gut", antwortet er: "Ach, es liegt ja jetzt ein Ergebnis vor. Warum zurückschauen?" Dann muss er weiter.

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Kommentar von Henrike Roßbach, Berlin

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