Libyen:Das Gesetz des Vakuums 

Das Feigenblatt der Demokratieförderung steht im starken Kontrast zu der Weigerung, konkrete Hilfe beim Aufbau demokratischer Strukturen zu leisten.

Von Mirco Keilberth

Es war offensichtlich, dass der aktuelle Machtkampf in Afrikas öl-und milizenreichstem Land nicht sehr viel länger friedlich bleiben würde. Mit dem Beginn des Ukraine-Krieges haben die Großmächte die strategische Lage Nordafrikas für sich wiederentdeckt. Willfährige Milizen auf beiden Seiten der ehemaligen Frontlinie warten zur Zeit nur darauf, wieder ein lukratives Angebot aus den Golfstaaten, Ägypten oder der Türkei zu erhalten.

Doch auch westliche Regierungen hatten in der Vergangenheit keine Probleme damit, ihr nationales Interesse durch Partnerschaften mit dubiosen libyschen Partnern durchzusetzen. Ziel der klammheimlichen Partnerschaft war es wohl, die lokalen Gruppen mit Know-how und Waffen im Kampf gegen die Islamisten der Region auszustatten. Und sicher wollte man auch mehr über die vor Ort ihr Unwesen treibenden Mitglieder der russischen Söldnerfirma Wagner wissen.

"Wir sind so etwas wie der Übungsplatz für Militär und Diplomatie geworden. Doch ohne konkrete Resultate", sagen die Libyer und machen für das Chaos der letzten Jahre dennoch hauptsächlich Politiker und Milizenführer im eigenen Land verantwortlich. Die Waffenlager des 2011 gestürzten Gaddafi-Regimes, Millionen aus der libyschen Staatskasse und Gold sind nach der Revolution in die Hände von Extremisten im Sahel und Maghreb gelangt. Zu erklären ist diese Nachlässigkeit der ehemaligen Anti-Gaddafi-Allianz mit dem "No Boots on the Ground"-Ansatz: Keine westlichen Soldaten sollten in Libyen zum Einsatz kommen - und dennoch gab es hinter den Kulissen jede Menge Waffen und Einflussnahme.

Die Libyer, die längst in ihren Alltag zurückgekehrt waren, wunderten sich bald über all die Bewaffneten, die zunehmend auffällig wurden. Eine dieser Gruppen griff ausgerechnet am 11. September 2012 das US-Konsulat in Bengasi an, dabei starb der in Libyen beliebte US-Botschafter Chris Stevens an einer Rauchvergiftung und mit ihm mehrere seiner Sicherheitsleute.

Doch auch ein Bombenanschlag auf die französische Botschaft in Tripolis und die gezielten Morde an Dutzenden liberalen Aktivisten hielt die internationale Gemeinschaft nicht davon ab, mit den Milizen zu kooperieren. Die neu entstandene Zivilgesellschaft wurde mit Workshops und Seminaren im benachbarten Tunis unterstützt, wohin Journalisten, Diplomaten und viele Libyer nach dem ersten Krieg um Tripolis geflohen waren.

Das Feigenblatt der Demokratieförderung in Ländern wie Libyen steht im starken Kontrast zu der Weigerung, konkrete Hilfe beim Aufbau demokratischer Strukturen zu leisten. Wer möchte, dass die libysche Küstenwache humaner vorgeht und keine Schiffe von Hilfsorganisationen auf dem Mittelmeer angreift, der muss diese auch vor Ort ausbilden und helfen, dass sie besser bezahlt und mit mehr Know-how ausgestattet wird.

Die aktuellen Proteste in Libyen und die neue Fluchtwelle von der tunesischen und libyschen Küste machen klar: Europa darf in der Region kein politisches Vakuum hinterlassen und sollte selbst Länder wie Libyen als Partner ansehen. Solange der Westen von den Vereinten Nationen sanktionierte Menschenhändler wie Abdel Rahman Al Bilad als Verhandlungspartner akzeptiert, sollte er sich nicht wundern, dass die Lage immer weiter eskaliert.

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