Sieben Kurven der Formel 1:Zhou Guanyu dankt seinem Lebensretter

Sieben Kurven der Formel 1: Kaum zu glauben, aber Zhou Guanyu übersteht seinen Unfall in Silverstone unverletzt.

Kaum zu glauben, aber Zhou Guanyu übersteht seinen Unfall in Silverstone unverletzt.

(Foto: Molly Darlington/Reuters)

Der Chinese überschlägt sich, fliegt in den Fangzaun - will aber bald wieder starten. Auch Mick Schumacher kann sein Glück nicht so richtig fassen. Die Höhepunkte des Formel-1-Wochenendes.

Von Elmar Brümmer, Silverstone

Zhou Guanyu

Es ist das große Bangen und es dauert eine knappe halbe Stunde lang. Nur wer in der Startkurve von Silverstone auf der Tribüne sitzt, bekommt gleich mit, dass der Chinese im Alfa Romeo sein Cockpit verlassen kann. Zuvor hatte er sich nach dem Startunfall auf dem Asphalt überschlagen, schlitterte kopfüber durchs Kiesbett, machte eine Rolle seitwärts, wurde angehoben und in Richtung der Fans seitlich über die Sicherheitsbarrieren in den Fangzaun geschleudert - doch der hielt. Erst als klar wird, dass der 23-Jährige keine Schramme hat und das Streckenhospital verlassen kann, gibt es auch Fernsehbilder für den Rest der Welt. Das zweite Unfallopfer, der Thailänder Alex Albon, muss noch zur Beobachtung ins Krankenhaus geflogen werden.

Nach dem vielleicht spektakulärsten Crash der vergangenen Jahre ist Formel-1-Debütant Zhou zwar heftig durchgeschüttelt, aber äußerlich kühl. Er bedankt sich beim Titan-Cockpitbügel "Halo" für die Lebensrettung: "Das habe ich den Funktionären der Formel 1 und des Automobilweltverbandes zu verdanken." Der Rennfahrer aus Shanghai lobt auch die Schweizer Ingenieure dafür, dass das Auto nicht zerbrochen ist. In jedem Fall will er am kommenden Wochenende in Österreich wieder an den Start gehen: "Ich bin heißer denn je darauf, auf die Strecke zurückzukehren und das zu tun, was ich liebe. Ich bin fit!"

George Russell

Sieben Kurven der Formel 1: George Russell (2.v.l) hält an der Unfallstelle, um sich nach dem Gesundheitszustand von Guanyu Zhou zu erkundigen.

George Russell (2.v.l) hält an der Unfallstelle, um sich nach dem Gesundheitszustand von Guanyu Zhou zu erkundigen.

(Foto: Matt Dunham/dpa)

So, wie die Siegesserie von Red Bull Racing gerissen ist, schafft es der Mercedes-Pilot erstmals nach neun Rennen nicht unter die ersten fünf, und das ausgerechnet beim Heimspiel in Silverstone. George Russell darf nach dem frühen Abbruch überhaupt nicht mehr ins Rennen zurückkehren, was aber nichts damit zu tun hat, dass er indirekt mit verantwortlich ist für den dramatischen Crash von Zhou, nachdem sein Silberpfeil vom Franzosen Pierre Gasly in den Alfa Romeo geschoben wurde.

Der Sprecher der Fahrergewerkschaft hatte zwar nur einen Platten am Auto davongetragen, aber er hatte an der Unfallstelle gehalten, um aus dem Cockpit zu springen, durch das Kiesbett zu sprinten und nach dem Kollegen zu sehen. Als er wieder zurückkehrte, hatten Streckenposten trotz seiner anderslautenden Bitte den Mercedes schon auf einen Transporter geladen. Wer aber einmal fremde Hilfe in Anspruch genommen hat, darf nicht mehr mitmachen. Der deutsche Renndelegierte Jo Bauer ließ sich trotz der Umstände nicht erweichen.

Sebastian Vettel

Sieben Kurven der Formel 1: Hatte am Sonntag Geburtstag: Sebastian Vettel.

Hatte am Sonntag Geburtstag: Sebastian Vettel.

(Foto: Mark Thompson/Getty Images)

Zwei Punkte vom vorletzten Startplatz aus, das ist ein schönes Geburtstagsgeschenk, das der Rennverlauf und der eigene Kampfgeist Sebastian Vettel gemacht haben. Der Heppenheimer ist am Sonntag 35 geworden, seine Kinder hatten ihm eigens einen Helm bemalt. Aber den größten Auftritt hat der Hesse nicht im, sondern vor dem Rennen. Vor der Rekordkulisse von 140 000 Zuschauern fuhr der Aston-Martin-Pilot den 30 Jahre alten Weltmeisterwagen von Nigel Mansell, einen Williams-Renault. Es waren keine Runden fürs eigene Ego, die der Renn-Nostalgiker da zur Mittagszeit drehte, sondern welche für ein gesteigertes Klimabewusstsein.

Die C0₂-Neutralität der Formel 1 bis 2030 und die "E-Fuels" von 2026, das dauert dem Familienvater zu lange. Deshalb hat er Mansells als "Rote Fünf" bekanntes Auto, dass er vor ein paar Jahren für mehr als drei Millionen Euro erworben hatte, mit einem in Belgien hergestellten Biokraftstoff betanken lassen, Literpreis 5,95 Euro. Der 68 Jahre alte Mansell guckte persönlich vorbei, auch die Formel-1-Chefs klatschen Beifall für den Aktivisten Vettel, der erstmals eine große Plattform für den guten Zweck bekommen hat.

Lewis Hamilton

Sieben Kurven der Formel 1: Lag erstmals in dieser Saison in Führung, am Ende wurde es ein Platz auf dem Podium für Lewis Hamilton.

Lag erstmals in dieser Saison in Führung, am Ende wurde es ein Platz auf dem Podium für Lewis Hamilton.

(Foto: Clive Rose/Getty Images)

Gespürt hatten sie es, sagen wollten sie es nicht. Aber aus dem hüpfenden Silberpfeil ist durch eine Generalüberholung wieder ein Rennwagen geworden, der auf dem Sprung ist. Mit etwas mehr Glück in der Qualifikation und im Rennen hätte Hamilton tatsächlich seinen neunten Silverstone-Sieg und damit einen weiteren Rekord einfahren können. Zur Rennmitte lag er erstmals in dieser Saison in Führung. Auf den chaotischen und spannenden letzten zehn Runden drohte er ganz leer auszugehen, doch aufgeben, das war noch nie sein Ding - dazu hätte es nicht mal seines Kumpels Tom Cruise alias Maverick in der Box bedurft.

Die roten, blauen und silbernen Autos wechselten die Positionen im Sekundentakt, am Ende konnte Hamilton Charles Leclerc noch hinter sich lassen und das Podium erklimmen, wo er den kollektiven Rausch zelebrierte: "Das war die größte Show auf Erden, so was ist nur möglich in Silverstone." Aber auch das: Sieben Klimaaktivisten hatten sich als Streckenposten verkleidet und wollten nach dem Abbruch die Piste stürmen, wurden aber von der Polizei überwältigt. Hamilton billigt zwar deren Recht zu protestieren, aber nicht die Methode - die alle in Gefahr hätte bringen können.

Carlos Sainz Junior

Sieben Kurven der Formel 1: Endlich ein Sieg für Carlos Sainz Junior.

Endlich ein Sieg für Carlos Sainz Junior.

(Foto: Justin Tallis/AFP)

Einhundertfünfzig Rennen. Eine stolze Zahl, aber sie reicht nur zu Platz 42 in der ewigen Bestenliste der Königsklasse, einen Rang hinter Max Verstappen. Einhundertfünfzig Grand Prix ohne Sieg, das war eine bittere Statistik, doch an diesem Wochenende hat der Ferrari-Pilot den Fluch besiegt, sogar doppelt. Am Samstag die erste Pole-Position, am Sonntag der Premierensieg. Dabei hatte er den ersten Start gegen Verstappen noch verloren, zeigte nach dem zweiten Nerven, musste zur Rennmitte den Teamkollegen Charles Leclerc passieren lassen. Erst auf den letzten zehn Runden fand der 27 Jahre alte Madrilene sein Glück - mit den besten Reifen konnte er allen davonfahren.

Sichtlich überwältigt stammelte Sainz nach dem Triumph nur ein erleichtertes "Vamos" ins Bordmikrofon, und Scuderia-Teamchef Mattia Binotto gratulierte mit einem schlanken "Bravo, Carlos!" Wohlwissend, dass seinem zweiten Mann damit eine gewaltige mentale Last genommen wurde - und dass er ob der Rennstalltaktik heftige Diskussionen mit Ferrari-Titelhoffnung Leclerc bekommt.

Mick Schumacher

Sieben Kurven der Formel 1: Zum ersten Mal in den Punkten: Mick Schumacher.

Zum ersten Mal in den Punkten: Mick Schumacher.

(Foto: Clive Rose/Getty Images)

Das falsch montierte und schiefstehende Lenkrad aus der Qualifikation und der daraus resultierende vorletzte Startplatz sind vergessen, auch all die bösen Worte der vergangenen Wochen innerhalb des Teams. In seinen 30 Rennen mit Haas-Ferrari hat es viel Pech, Pleiten, und Pannen gegeben - und jetzt mit dem achten Platz die ersten Punkte, und gleich vier davon. Fassen kann es der 23-Jährige nach der Zieldurchfahrt noch nicht so richtig, fast kommen ihm die Tränen, kein Wunder nach dem ganzen Chaos und dem vorletzten Startplatz. Gefasster sagt er hinterher: "Hat ja auch lang genug gedauert."

Da hat schon längst der knorrige Teamchef Günther Steiner Abbitte geleistet ("fantastischer Job"), und Mutter Corinna sich zugeschaltet ("mega gemacht, Schatz"). Am meisten dürfte ihn das Duell zum Schluss um Platz sieben gegen Weltmeister Max Verstappen gefreut haben. Anders als kürzlich in Miami, als er dem Punktedebüt schon nahe war, kalkulierte er das Risiko diesmal richtig. Schumacher setzte den Niederländer zwar gewaltig unter Druck, aber er übertrieb es nicht. Was ihm ein weiteres Lob von Steiner einbrachte: "Jetzt geht's aufwärts."

Max Verstappen

Sieben Kurven der Formel 1: Nicht wirklich glücklich mit seinem Auto: der WM-Führende Max Verstappen.

Nicht wirklich glücklich mit seinem Auto: der WM-Führende Max Verstappen.

(Foto: Mark Thompson/Getty Images)

Mal fühlt es sich für den WM-Spitzenreiter an, als habe er einen Platten. Dann wieder, als fahre er auf Eis. Er streitet sich mit den Red-Bull-Ingenieuren darüber, dass an seinem Auto "hundertprozentig" nichts mehr stimme. Die wollen ihn aber weitertreiben, sprechen zwar von Beschädigungen am Unterboden, aber keinen strukturellen Risiken. Das kann man in den rasend schnellen Kurvenkombinationen glauben oder auch nicht. Pikanterweise stammt der Schnitt durchs Karbon von Teilen der Schwester-Autos von Alpha Tauri, über die Verstappen gefahren war.

Verstappen aber ist keiner, der leicht aufgibt. Er tut, was er kann, auch wenn das nicht viel ist. Sein Red-Bull-Kollege Sergio Pérez hingegen fährt dank der richtigen Reifenwahl von ganz hinten noch fast ganz vorn vor, er selbst muss froh sein, sich in den Punkten zu halten. Aber viel an Boden in der WM kostet ihn das schlechte Ergebnis nach sechs Siegen in acht Rennen nicht, immer noch hat er 34 Punkte auf den Nächstbesten in der Gesamtwertung, und der ist "Checo" Pérez. Der Mexikaner formuliert in beider Namen: "Das war ein Rennen, in dem es nur darauf ankam, nicht aufzugeben."

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