Südamerika:Die leise Hoffnung

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Die Neuen: die künftige Vizepräsidentin Kolumbiens, Francia Márquez, und der künftige Präsident Gustavo Petro nach ihrem historischen Wahlsieg. (Foto: Luisa Gonzalez/Reuters)

Der Subkontinent wählt neuerdings links - und die Wahlsieger trennt vieles von den Dogmatikern früherer Zeiten.

Kommentar von Christoph Gurk

Vor rund zwei Wochen postete Eduardo Bolsonaro ein Bild bei Twitter. Der 37-Jährige hat dort mehr als zwei Millionen Follower, was einerseits daran liegt, dass er einer der Söhne des rechten brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro ist, andererseits aber auch daran, dass Eduardo Bolsonaro sehr genau weiß, was seine Follower von ihm erwarten: Hau-drauf-Tweets.

Und so stellte er eben dieses Bild ins Netz: Es zeigt Südamerika, rechts Brasilien, groß und gelb eingefärbt wie die Nationalflagge, daneben bunt die Nachbarn, mit kleinen Sternchen für die Hauptstädte, dazu aber noch mehreren kommunistischen Hammer-und-Sichel-Symbolen, die über Argentinien schweben, ebenso wie über Chile, Bolivien, Peru, Venezuela und auch Kolumbien.

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Tatsächlich hatte dort nur wenige Stunden vorher Gustavo Petro die Wahlen gewonnen, als erster dezidiert linker Staatschef in der Geschichte seines Landes. Sein Sieg kam nur wenige Monate nach dem Amtsantritt von Gabriel Boric in Chile, einem jungen und tätowierten ehemaligen Studentenführer, und etwa ein Jahr nach der Regierungsübernahme des ehemaligen Dorfschullehrers und Gewerkschafters Pedro Castillo in Peru. Südamerika ist in den vergangenen Jahren wieder nach links gerückt, ein Trend, der sich im Oktober noch weiter fortsetzen könnte, wenn Wahlen sind in Brasilien.

Manche erfüllt das mit großer Sorge, andere wiederum mit großen Hoffnungen. Am Ende aber machen es sich beide Seiten vor allem eins: viel zu einfach. Denn die Wahrheit liegt, so wie immer, in der Mitte.

Rechte Panikmache

Dazu muss man natürlich erst einmal sagen, dass die Ängste und vor allem die Panikmache unbegründet sind. Auch wenn es der Sohn des rechten brasilianischen Präsidenten gerne so darstellen will, sind die neuen linken Regierungen in Südamerika weit davon entfernt, kommunistisch zu sein. Dazu sind sie - von Venezuela einmal abgesehen - auch noch demokratisch gewählt, in fairen und freien Wahlen, international anerkannt. Allein das gibt schon Grund zur Hoffnung.

Gleichzeitig aber ist "links" heute eben auch ein weiter Begriff und bedeutet nicht einen Rückfall in die Zeiten Che Guevaras und der Guerillabewegungen von einst. Natürlich gibt es Grundpositionen, welche die neuen linken Staatschefs teilen, dazu aber eben auch enorme Unterschiede: Chiles Präsident Boric ist für Abtreibung, Perus Staatsoberhaupt Castillo dagegen. In Kolumbien wurde die neue Regierung auch ins Amt gewählt, weil sie versprochen hat, für mehr Umweltschutz zu sorgen. In Argentinien dagegen setzt man relativ rücksichtslos auf die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen. Es gibt also nicht "die" neue südamerikanische Linke, und man wird sehen müssen, wie sehr die Regierungen in Zukunft wirklich zusammenarbeiten werden.

Das ist einer der bedeutenden Unterschiede zum letzten großen Linksrutsch in der Region. Damals, Anfang der Nullerjahre, gab es schon einmal eine ganze Reihe linker Regierungen in Südamerika. Viele von ihnen sind bis heute legendär, auch, weil die Menschen sie mit goldenen Zeiten assoziieren. Angetrieben von der gestiegenen Nachfrage Chinas nach Rohstoffen, explodierten in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends die Weltmarktpreise für Soja, Weizen, Mais, Fleisch, Metalle, Gas und Öl. Die Länder Südamerikas hatten von alldem viel zu bieten, auf einmal schwemmte es das Geld nur so in die Kassen. Teile verschwanden in den Taschen korrupter Politiker, viel wurde aber auch in Sozialprogramme gesteckt, in Schulen, neue Krankenhäuser oder Wohnungen. Viele träumten darum von einer neuen, strahlenden Zukunft.

Doch diese kam nie. Als die Rohstoffpreise wieder zu fallen begannen, stiegen Inflation und Armut. War die Situation schon schwierig vor der Pandemie, ist sie heute katastrophal. Millionen Menschen haben nichts zu essen oder kein Dach über dem Kopf, auch darum haben so viele in den vergangenen Jahren linke Regierungen gewählt: Sie erhoffen sich mehr soziale Gerechtigkeit, vor allem aber auch Hilfe. Doch auch wenn die Regierungen durchaus guten Willens sind, sind ihre Möglichkeiten anders als früher extrem begrenzt. Ein Rohstoffboom wie in den Nullerjahren ist nicht in Sicht, statt goldener erwarten die neuen linken Regierungen in Südamerika extrem harte Jahre.

Allein schon deshalb sollte man vorsichtig sein mit Heilsversprechungen. Denn diese werden am Ende mit großer Wahrscheinlichkeit enttäuscht, und die Frage ist, was dann kommt. Populistische Anti-Politiker scharen in der Region schon jetzt immer mehr Anhänger um sich, Männer wie Jair Bolsonaro, aber auch Anarcho-Kapitalisten wie der Argentinier Javier Milei, der die Zentralbank abschaffen will, ebenso wie Waffenbeschränkungen und das Recht auf Abtreibung. Je mehr sich die linke Regierung in Argentinien zerlegt, desto mehr steigen seine Chancen bei den Wahlen nächstes Jahr. Auf den Linksrutsch, so die Gefahr, könnte dann eine Welle der Anti-Politiker folgen. Und das wäre wirklich ein Grund zur Sorge.

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