Parlament:Chefs im Maschinenraum des Bundestags

Parlament: "Generalsekretär des Fraktionsvorsitzenden": Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei (rechts), und sein Chef Friedrich Merz.

"Generalsekretär des Fraktionsvorsitzenden": Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei (rechts), und sein Chef Friedrich Merz.

(Foto: Kay Nietfeld/picture alliance/dpa)

Strippenzieher, Hirtenhund, Einpeitscher - die Jobbeschreibungen für die Parlamentarischen Geschäftsführer sind vielfältig. Nur in einem sind sie wirklich alle gleich.

Von Boris Herrmann und Robert Roßmann, Berlin

An diesem Dienstag, um 11.30 Uhr, hat sie wieder getagt, die wahrscheinlich wichtigste unter den weitgehend unbekannten Zusammenkünften im Deutschen Bundestag: die sogenannte "I-PGF-Runde". Die Abkürzung PGF steht für Parlamentarische Geschäftsführer, das I für interfraktionell. In diesem Kreis werden die wesentlichen Entscheidungen zum Ablauf der Sitzungswoche getroffen. Was kommt auf die Tagesordnung? Und vor allem wann? Wer kann welche Aktuellen Stunden beantragen? All das und noch vieles mehr handeln die Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer der im Bundestag vertretenen Fraktionen immer dienstags aus. Sie regeln, was im Parlament diskutiert und in welchem Umfang debattiert wird.

Diesen Mittwoch beispielsweise um 13 Uhr: Befragung des Bundeskanzlers (65 Min.). Am Donnerstag um 22.20 Uhr: Hopfengesetz (26 Min.). Am Freitag um 9.45 Uhr: Bundeswehreinsatz in Bosnien-Herzegowina (39 Min.). "Als PGF kannst du massiv Einfluss nehmen, ohne in der ersten Reihe rumzuturnen", sagt Jan Korte, der diesen Job seit fünf Jahren für die Linksfraktion macht. Und das offenbar so gerne, dass er bislang allen Versuchungen widerstand, sich um einen Vorturner-Posten als Partei- oder Fraktionsvorsitzender zu bemühen.

"In der Politik ist nicht alles Kunst, manches ist auch Handwerk."

Ohnehin fällt auf, dass der PGF ein recht zufriedener Politiker-Typ ist. Egal mit wem man spricht, ob mit Johannes Fechner von der SPD, mit Till Steffen von den Grünen oder mit Thorsten Frei von der CDU, sie alle haben offenbar Gefallen gefunden an ihrer oft unterschätzten Rolle als Manager der Demokratie. "Mir macht das großen Spaß, ich kann im Maschinenraum viel bewegen", sagt Fechner. "Mir wurde vorher gesagt, dass das eine einflussreiche Rolle ist, man damit aber nicht die größte Sendezeit in der 'Tagesschau' bekommt", sagt Steffen. "In der Politik ist nicht alles Kunst, manches ist auch Handwerk", sagt Frei.

Bevor Frei 2013 erstmals in den Bundestag gewählt wurde, war er Oberbürgermeister von Donaueschingen im Schwarzwald. Als OB muss man sich um alles kümmern, und Frei sagt, diese "Allzuständigkeit" habe er als PGF jetzt im Grundsatz auch wieder. Über die Schreibtische der Parlamentarischen Geschäftsführer wandert praktisch alles, was wichtig ist, um den Betrieb am Laufen zu halten: die Rednerlisten, die kleinen Anfragen, die Raumvergabe oder auch die Frage, mit welchem Messengerdienst die Abgeordneten untereinander kommunizieren. Das breite Aufgabengebiet der PGFs kontrastiert aber mit ihrer Wahrnehmung in der breiten Öffentlichkeit. Johannes Fechner erzählt, er werde von Bürgern regelmäßig gefragt, was so ein Parlamentarischer Geschäftsführer eigentlich mache. In einer Studie des Politikwissenschaftlers Sönke Petersen steht, die PGFs gehörten "zu den mächtigsten, zugleich aber auch unbekanntesten Akteuren der deutschen Politik".

Vielleicht kursieren auch deshalb so viele bunte Metaphern, um diesen Job zu beschreiben, selbst unter jenen, die ihn ausführen. Till Steffen sagt: "Wir sind Seismograf für die Entwicklung in der Fraktion - und manchmal auch der Kummerkasten." Johannes Fechner beschreibt sich als "Parlamentsmaschinist", Thorsten Frei als "so etwas wie der Generalsekretär des Fraktionsvorsitzenden". Stabschef, Strippenzieher, Hirtenhund, Prügelknabe, Chefdirigent - die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

In einer Sendung des Parlamentsfernsehens aus der Reihe "Was macht eigentlich ...?", die 2007 aufgenommen wurde, wird der damalige PGF der SPD gefragt, ob der Begriff "Graue Eminenz" eine zutreffende Stellenbeschreibung sei. "Ich glaube nicht", sagt Olaf Scholz.

Ein Karrieresprungbrett scheint dieser Posten jedenfalls zu sein. Neben dem heutigen Bundeskanzler haben unter anderem auch Wolfgang Schäuble und Joschka Fischer als Parlamentarische Geschäftsführer ihr politisches Handwerk erlernt, bevor sie sich der höheren Staatskunst widmen durften.

Charakteristisch für den PGF ist, dass er sowohl nach außen als auch nach innen wirkt. Im Ältestenrat und in der I-PGF-Runde geht es nicht zuletzt um die diplomatischen Beziehungen zur politischen Konkurrenz. Da kann es schon mal hoch hergehen, wenn über die Feinheiten der Tagesordnung oder die Maskenpflicht im Plenum gestritten wird, zumal auch die AfD mit am Tisch sitzt. "Gibt natürlich immer Trouble mit den Nazis", sagt der Linken-Politiker Korte ganz undiplomatisch. Grundsätzlich existiert aber schon so etwas wie eine interfraktionelle PGF-Identität, ähnlich wie bei den Haushaltspolitikern im Bundestag. "Es bringt nichts, gegenüber den anderen Fraktionen unfair zu spielen - das bekommt man dann in der nächsten Sitzungswoche zurück", sagt Thorsten Frei. Im Hintergrund verstehen sich die politischen Konkurrenten oft deutlich besser, als sie es vor laufenden Kameras zugeben würden. Und die verschworene Gruppe der PGFs basiert auf ihrer gemeinsamen Sorge, die eigenen Leute könnten aus der Reihe tanzen.

Auf Freis Visitenkarte steht: "(Chief Whip) of the CDU/CSU". Die Kollegen in angelsächsischen Parlamenten werden als "Whips" bezeichnet, in Anlehnung an die Einpeitscher bei der Fuchsjagd. Der SPD-Mann Fechner findet das Bild des "Einpeitschers" zwar zu aggressiv. Fest steht aber, dass auch die PGFs im Bundestag vor allem daran gemessen werden, ob es ihnen gelingt, Geschlossenheit und Präsenz im Plenum zu organisieren.

Wer anders als die Fraktion abstimmen will, muss sich vorher melden

Bei namentlichen Abstimmungen stehen sie dann oft mit einer hochgehobenen Stimmkarte an der Urne und zeigen damit an, wie ihre Fraktion bei dem jeweiligen Punkt abstimmen soll. Theoretisch unterliegen die Abgeordneten nur ihrem Gewissen. In der Praxis haben sie sich rechtzeitig im jeweiligen PGF-Büro zu melden, wenn sie planen, abweichend zur Fraktionsposition abzustimmen - bei der Union zum Beispiel bis spätestens 17 Uhr am Vortag. Dann werden Einzelgespräche geführt, sanfter Druck wird ausgeübt, die PGFs sind da eher Einflüsterer als Einpeitscher. "Eine parlamentarische Demokratie funktioniert nicht, wenn jeder nur für sich abstimmt", sagt Frei. Manchmal kann die Lösung auch sein, dass jemand nicht erscheint. "Ich habe noch nicht erlebt, dass einem sein Nein so wichtig war, dass er sich ins Plenum gesetzt hat und dann mit der Opposition die Hand gehoben hat", sagt der Sozialdemokrat Fechner.

Zuletzt hatten er und sein grüner Kollege Steffen vor der namentlichen Abstimmung zum 100-Milliarden-Aufrüstungspaket der Ampelkoalition alle Hände voll zu tun. "Vor der Abstimmung über das Sondervermögen fanden wir, dass eine zweistellige Zahl an Abweichlern kein so gutes Signal wäre. Wir sind dann, glaube ich, bei fünf gelandet", sagt Steffen. An solchen Tagen kann ein PGF mit seiner Handwerkskunst zufrieden sein.

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