Volkskultur:Augenschmaus

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Auch aus der Luft ein buntes Bild: die Buden im Stadtteil Cuauhtémoc. (Foto: Alfredo Estrella/AFP)

Die bunt bemalten Imbissbuden in Mexiko-Stadt sollen verschwinden. Dagegen formiert sich massiver Widerstand, denn viele halten die Stände für ein herausragendes Beispiel der Populärkultur Mexikos.

Von Christoph Gurk , Buenos Aires

Wenn es stimmt, dass das Auge mitisst, dann sind die Gaumenfreuden in Cuauhtémoc zuletzt sehr viel fader geworden. Der Bezirk, benannt nach dem letzten Aztekenherrscher, ist einer von 16 Bezirken von Mexiko-Stadt. Hier liegen Altstadt, Präsidentenpalast, Ausgrabungsstätten und dazu auch noch Hipster-Viertel wie Roma und Condesa. Kurz: Es gibt viel zu sehen in Cuauhtémoc.

Lange gehörten zum ortstypischen Straßenbild auch die traditionellen Imbissbuden, knallig bunt bemalt mit Schriftzügen. "Super Tacos!" "Ricas Tortas!" Darunter: dampfende Töpfe, lachende Schweinchen, grimmige Lucha-Libre-Wrestler. Schon beim Vorbeigehen bekam man Hunger.

Doch damit ist nun Schluss. Seit ein paar Wochen lässt die Lokalregierung die Bilder übermalen, einheitliches Grau-Weiß statt fröhlicher Farben auf jeder einzelnen der fast 1500 Buden in Cuauhtémoc.

Die Bürgermeisterin will aufräumen

Die Idee zu alldem stammt von Sandra Cuevas. Die konservative Bürgermeisterin will aufräumen in ihrem Bezirk. Schlaglöcher werden gefüllt und Lampen installiert, die Straßen sollen unverstellt sein, ordentlich und sauber. Die durchaus chaotischen Imbissstände stören bei alldem, die bunten Bilder werden darum systematisch ersetzt durch ein schlichtes Logo: "Cuauhtémoc ist dein Zuhause".

Sandra Cuevas sagt, sie handele auf Wunsch der Anwohner. Und ohnehin: Welchen Wert haben schon ein paar bunte Buden? " Das sind vielleicht lokale Bräuche, aber bestimmt keine Kunst", so Cuevas. Viele Fans und Kreative sehen das anders. Sie sagen, die bemalten Stände seien ein Ausdruck von Volkskunst, und deren Auslöschung sei ein Angriff auf die Populärkultur Mexikos.

Tatsächlich füllen die Schilder und Bilder längst Ausstellungen und Kunstbücher, Webseiten und Instagram-Accounts widmen sich dem Design der sogenannten rótulos. Die Politik hätte kein Recht zu entscheiden, was Kunst ist und was nicht, sagen Aktivisten. Längst haben sie sich organisiert, in eigenen Netzwerken und unter dem Motto: #ConLosRotulosNO - Finger weg von den Schildern und Bildern!

Dabei spielt auch eine Rolle, dass Cuauhtémoc schon seit Jahren von einem rabiaten Veränderungsprozess überrollt wird: Wo einstmals Künstlerwohnungen standen, wachsen heute Apartmentblocks in den Himmel, die Viertelkneipen schließen, stattdessen kommen Caféketten, mit Sojamilch-Latte-Macchiato, aber ohne Charme und Flair.

Die Welt wird immer gleicher

Auch anderswo leiden Städte und ihre Bewohner unter diesem Phänomen. Berlin, Boston, Bangkok, Bogotá: Die Welt wird immer gleicher. Anwohner demonstrieren, Politiker versprechen zu handeln, und in Mexiko-Stadt haben sich Künstler vor ein paar Jahren sogar eine Volksheilige gegen die Gentrifizierung ausgedacht - Santa Marí la Juaricua, mit eigenem Schrein und Prozessionen. Alles umsonst: Die Bagger und Planierraupen rollen weiter. Nun auch noch die bunten Imbissbuden: ein Trauerspiel.

Dabei ginge es auch anders. In Buenos Aires, zum Beispiel, werden Busse seit jeher mit gewundener Schrift, Ranken und stilisierten Blumen bemalt. Filete porteño heißt dieser eigene Designstil, in den 70er-Jahren befand die Stadtverwaltung dennoch, dass all die Schnörkel viel zu unübersichtlich sind, und verbot die Bemalung. Zum Glück hat man sich heute umorientiert: Der filete porteño ist mittlerweile Weltkulturerbe, und die bemalten Schilder sind ein beliebtes Mitbringsel für Touristen.

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