Fachkräftemangel:Staat a.D.

Fachkräftemangel: Bleibt doch einiges liegen gerade. Je nach Studie fehlen 300 000 bis zu einer Million Menschen für die Arbeit am Gemeinwesen.

Bleibt doch einiges liegen gerade. Je nach Studie fehlen 300 000 bis zu einer Million Menschen für die Arbeit am Gemeinwesen.

(Foto: Bernd Weißbrod/dpa)

In Bund, Ländern und Gemeinden fehlen Hunderttausende Mitarbeiter - bei der Polizei, an Gerichten, in Krankenhäusern, Kitas, Schulen und Verwaltung. Das hat Folgen für die Demokratie, aber auch für das Gras am Straßenrand.

Von Rainer Stadler

Der Klimawandel hat Christian Raehse gerade noch gefehlt. Raehse ist 40 und leitet seit neun Jahren den Bauhof der Kleinstadt Ebern in Unterfranken. Er sagt, weil es weniger regnet, trockneten die Pflanzen auf den Friedhöfen, Spielplätzen im Sommer zunehmend aus. Deshalb sei nun einer seiner 34 Mitarbeiter mit Gießen beschäftigt, fünf bis sechs Wochen pro Jahr. Das Problem: Raehse hat eigentlich gar keinen Mitarbeiter, den er fünf bis sechs Wochen pro Jahr fürs Gießen abstellen kann.

In der Gemeinde Ebern leben zwar nur 7300 Menschen, aber das Gebiet umfasst 15 Friedhöfe, 34 Spielplätze, ein Wasserwerk, eine Kläranlage und ein Freibad. Um die Pflege und Instandhaltung dieser Anlagen sollen sich Raehse und sein Team kümmern. Das ist jede Menge Arbeit. Zudem werden regelmäßig die Vorschriften verschärft. Für die Leute vom Bauhof heißt das: Die Spielplätze müssen sie nun einmal pro Woche kontrollieren statt alle sechs Wochen wie früher. 600 Bäume sind einmal jährlich zu inspizieren, ob sie womöglich den Verkehr beeinträchtigen. Raehse wird mittlerweile auch öfter von der Gemeinde auf kleinere Baustellen gerufen, um ein städtisches Gebäude neu zu verputzen oder das Dach zu sanieren. Die Gemeinde tut sich nämlich schwer, für solche kleinen Arbeiten Handwerker zu finden.

Christian Raehse kennt das Problem. Als er einen Gärtner für seinen Bauhof suchte, haben sich drei Bewerber gemeldet. Zwei davon waren Quereinsteiger. Die Stelle eines Technikers musste er zweimal ausschreiben, bevor sich überhaupt jemand rührte. Für die Schreinerei hat er bis heute keinen Azubi. Immer wieder muss Raehse deshalb wichtige Dinge aufschieben. Und sich anschließend das Gemurre im Ort anhören, wenn im Winter die Straßen nicht sofort geräumt sind und im Frühjahr das Gras am Straßenrand kniehoch wuchert.

Deutschlandweit spüren Bürgerinnen und Bürger, dass Personal fehlt in Bund, Ländern und Gemeinden. Menschen, die das Land am Laufen halten. Nicht immer wird der Mangel so sichtbar wie an den Flughäfen im Sommer, wenn sich vor dem Sicherheitscheck Endlos-Schlangen bilden. Er offenbart sich im Unterrichtsausfall an den Schulen, wochenlangen Wartezeiten auf einen Termin im Bürgeramt oder jahrelangen Verzögerungen bei öffentlichen Bauprojekten.

Der Beamtenbund sieht die öffentliche Daseinsfürsorge bröckeln

Oder in der stetig steigenden Zahl von Tatverdächtigen, die aus der Untersuchungshaft entlassen werden, weil deren Strafverfahren zu lang dauern. Vergangenes Jahr waren es 66 Fälle, was für Sven Rebehn, dem Geschäftsführer des Deutschen Richterbunds, "erneut ein Schlaglicht auf die hohe Arbeitsbelastung der Strafjustiz" wirft. Und natürlich auf den Personalmangel bei Richtern und Staatsanwälten.

Ulrich Silberbach, der Chef des Deutschen Beamtenbunds (DBB), sieht die öffentliche Daseinsfürsorge am Bröckeln. Das sei "nicht zuletzt auch für das Vertrauen der Menschen in unseren Staat und sogar die Demokratie verheerend". Die Zahlen zeigen das im Moment noch nicht, der DBB selbst hat in seinem aktuellen "Monitor öffentlicher Dienst" ermittelt, dass während der Corona-Jahre 2020 und 2021 das Vertrauen der Deutschen in den Staat zugenommen hat. Aber das kann sich schnell ändern.

Je nach Studie fehlen derzeit oder in naher Zukunft zwischen 300 000 und einer Million Menschen im Gemeinwesen. Gesucht werden unter anderem laut DBB: 50 000 Polizistinnen und Polizisten, 5600 Zollbeamte, 27 000 Fachkräfte in der Steuer- und 146 000 in der Kommunalverwaltung. In manchen Bereichen scheint sich die Öffentlichkeit an diese Zahlen gewöhnt zu haben, jedenfalls bleibt der Aufschrei aus, wenn, wie diese Woche die Bertelsmann-Stiftung vorrechnet, mehr als 100 000 Fachkräfte in Kitas und Grundschulen fehlen. Auch Studien über das Fehlen Hunderttausender Pflegekräfte lösen kaum Debatten aus, obwohl die Zahl der Pflegebedürftigen in den kommenden Jahren weiter zunehmen wird. Der Personalmangel im Gemeinwesen wird sich noch verschärfen: Bis 2030 sollen 1,3 Millionen der insgesamt fünf Millionen Staatsbediensteten ausscheiden, aus Altersgründen.

Fachkräftemangel: Mehr Ganztagsbetreuung ist super. Fragt sich, woher die Kommunen das Personal dafür nehmen sollen.

Mehr Ganztagsbetreuung ist super. Fragt sich, woher die Kommunen das Personal dafür nehmen sollen.

(Foto: Patrick Seeger/dpa)

Der Verband kommunaler Unternehmen fragte bei seinen Mitgliedern nach den Ursachen für den Personalmangel. 70 Prozent gaben an, Rente und Vorruhestand seien der häufigste Grund, warum Beschäftigte ausscheiden. Ein Großteil der Belegschaften sei nun einmal älter als 55 Jahre. Zudem könnten Privatunternehmen höhere Löhne zahlen und hätten ein moderneres Image.

Wenn Mitarbeiter in Behörden und kommunalen Betrieben dauerhaft fehlen, belastet das auch die vorhandene Belegschaft. In einer Befragung des Deutschen Gewerkschaftsbundes gab fast die Hälfte der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes an, "sehr häufig oder oft wegen fehlenden Personals mehr arbeiten zu müssen". In öffentlichen Krankenhäusern lag dieser Wert gar bei knapp 80 Prozent.

Welche IT-Experten wollen in den öffentlichen Dienst?

Die Zahl der Beamtinnen und Beamten in Deutschland ist seit 1991 von 5,2 Millionen auf knapp fünf Millionen gesunken. Zum Teil lag es daran, dass hoheitliche Aufgaben wegfielen und etwa Bahn oder Post privatisiert wurden. Aber es kamen auch viele neue Aufgaben dazu. Sven Rebehn vom Richterbund etwa klagt, die Gerichte würden zunehmend von "Fließbandklagen" überhäuft. Die 24 Oberlandesgerichte seien allein 2021 mit 37 500 neuen Dieselverfahren überhäuft worden. Bei den Amtsgerichten seien im selben Zeitraum 58 000 Verfahren von Passagieren wegen verspäteter oder ausgefallener Flüge aufgelaufen. Rebehn fordert deshalb von der Ampelregierung, das Zivilprozessrecht dringend an die neue Realität der Massenverfahren anzupassen.

Zudem gab es in den vergangenen Jahren einige Reformen, die mehr Personal erfordern. Uwe Lübking, Arbeitsmarkt-Experte beim Deutschen Städte- und Gemeindebund, verweist auf den Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz. Nach seiner Ansicht mache es sich die Politik zuweilen zu leicht, wenn sie solche Ansprüche schafft und deren praktische Umsetzung auf die Kommunen abwälzt. Das Recht auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder hält er für ähnlich problematisch, zumal die Lehrerverbände sehr glaubhaft versichern, dass die Schulen schon jetzt mit ihren Aufgaben überlastet sind. Auch die Digitalisierung, für manche in der Politik der Königsweg zum schlanken, effizienten Staat, bedeute zunächst einmal mehr Arbeit, sagt Lübking. Und IT-Kräfte sind nicht nur im öffentlichen Dienst rar.

Was also hilft? Fachkräfte aus dem Ausland zu holen, sagen manche. Andere fordern, Beschäftigte nicht in die Rente oder Pension zu schicken, sondern weiter arbeiten zu lassen, wenn sie das wollen. Einig sind sich die Experten, dass sich die Kommunen mehr um den Nachwuchs kümmern müssen. Das heißt: auch auf Berufsmessen präsent zu sein und selbst mehr auszubilden. Der öffentliche Dienst sei durchaus attraktiv für den Nachwuchs, der sich nach Work-Life-Balance sehnt, das zeigen Umfragen. Bauhof-Leiter Raehse in Unterfranken hat noch eine Hoffnung: "Wir hatten ja zuletzt einige geburtenstarke Jahrgänge." Die will er bald besuchen, wenn sie in der Schule sind, und ihnen von der abwechslungsreichen Arbeit auf seinem Bauhof erzählen.

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