Rathauskonzert in Vaterstetten:Wirbelsturm mit Offbeat

Rathauskonzert in Vaterstetten: Präzise, mitreißend, begeisternd - die Swinging G's in der Reitsberger Halle.

Präzise, mitreißend, begeisternd - die Swinging G's in der Reitsberger Halle.

(Foto: Christian Endt)

Die "Swinging G's" aus Grafing fegen mit ihrem grandiosen Big Band-Sound wie ein Hurrikan durch die Reitsberger Halle

Von Alexandra Leuthner, Vaterstetten

Kurt Schneeweis untertreibt. Völlig. "Es wird Sie schon jucken", verspricht der Initiator der Vaterstettener Rathauskonzerte, noch bevor der erste Ton geblasen, die erste Saite gezupft ist. "Sie werden nicht den ganzen Abend sitzen bleiben." Sagt er dann auch noch. Und da hat er Recht. Was dann kommt, ist geballte musikalische Power, die nicht nur juckt, sondern jedem in die Glieder fährt, der im Raum ist. Und das sind viele. Die Reitsberger Halle bietet nicht nur eine originelle Alternative zum nicht mehr bespielten Rathaus - vor der Tür findet man sich auf Du und Du mit gemütlich malmenden Pferden -, sondern auch viel Platz für ein Konzertpublikum.

Das ist an diesem Abend nicht mehr auf allen Stühlen ganz jung, aber immer noch ausgehungert nach zwei Jahren corona-bedingten Kulturfastens. Allemal in Vaterstetten, wo die jahrzehntelange Tradition der Rathauskonzerte gebrochen und das Budget zusammengestrichen wurde, so dass es jetzt nur noch vier statt zehn oder zwölf Veranstaltungen im Jahr gibt.

Man würde den Swinging G's aus Grafing aber schwer Unrecht tun, wenn man ihnen nicht bescheinigen würde, dass sie den Verlust an kultureller Menge nicht mindestens zu einem Teil mit unfassbarer musikalischer Lust und ebensolcher Qualität wieder wettmachen. Allein der Bandleaderin zuzuschauen, Anja Bernhard, die vom eigenen Schwung, oder besser Swing mitgerissen den ganzen Abend über ein Strahlen im Gesicht hat, lässt so manchen Groll verblassen, den man vielleicht noch in die Halle mit hinein geschleppt hat.

Rathauskonzert in Vaterstetten: Bandleaderin Anja Bernhard lässt keinen Augenblick locker, sie ist Motor und Korrektiv zugleich.

Bandleaderin Anja Bernhard lässt keinen Augenblick locker, sie ist Motor und Korrektiv zugleich.

(Foto: Christian Endt)

Also sind alle gleich sowas von "In the Mood", auf der Bühne ebenso wie im Publikum, und man mag es kaum glauben, dass Bernhard beschwört, sie habe diese eine Mal mit ihrem besten Stück beginnen und nicht immer damit enden wollen - was Bands gerne tun, ob sie ihr Publikum damit bei der Stange halten oder bei ihm in guter Erinnerung bleiben wollen, sei dahingestellt. Beides jedenfalls haben die Musiker mit Ursprung in Grafing nicht nötig. Schlechter wird es auch nach der Ouvertüre nicht. Verhalten beginnt der "Moten Swing", ein Stück des berühmten Count Basie, mit dem Baritonsaxophon von Moritz Fischer, steigert sich über den versetzten Einsatz der Bläser und schwingt sich schließlich zu einem schon wieder mitreißenden Zwischenfinale auf, getrieben von der altersmäßig unterschiedlich besetzten Rhythmusgruppe. Sie besteht aus einem alten Hasen am Bass, Markus Röder, und einem Neuling, Moritz Frahm, am Schlagzeug. Gemeinsam mit Markus Landerer am Klavier bildet das Trio ein nicht nur tragfähiges, sondern groovig-treibendes Fundament, nicht nur für die improvisatorischen Ausflüge der Bläser, sondern auch für deren perfekt abgestimmte traditionelle Parts bei Big-Band-Klassikern wie der Glenn Miller-Bearbeitung von "American Patrol" oder Herbie Hancocks "Watermelon Man".

Rathauskonzert in Vaterstetten: Felix Dänemkamp und Stefanie Pilcz am Tenorsaxofon, hinten Markus Röder am Bass.

Felix Dänemkamp und Stefanie Pilcz am Tenorsaxofon, hinten Markus Röder am Bass.

(Foto: Christian Endt)

Dass die Swinging G's auch vor rhythmischen Experimenten keine Angst zu haben brauchen, egal ob Funk, Pop oder Latin Jazz, können sie beweisen, etwa mit "Mambo Swing", einem feinen Stück der kalifornischen Neoswing-Band Big Bad Voodoo Daddy, das jeder Instrumentengruppe ordentlich Raum gibt, oder auch dem berühmten, in den späten 70er Jahren von Barry Manilow geschriebenen "Copacabana". "Her name is Lola", stimmt die Bandleaderin ein, "wir können uns ja mal für zwei Minuten vorstellen, wir wären dort", am berühmtesten Strand Brasiliens. Und als wäre nicht eine solche Reise ohnehin ein Erlebnis der eigenen Art, verwandelt Felix Dänekamp am Altsaxophon den imaginierten Ausflug mit einem wunderbar schrägen Solo auch noch in ein musikalisches Abenteuer. Eines der willkommenen Sorte.

Ihr Feuer hat die 2003 aus einer Schulcombo entstandene Big Band nie verloren

18 Jahre alt waren die Bandmitglieder der Combo im Schnitt bei ihrer Gründung, aus einer Schulformation am Grafinger Gymnasium haben sie sich 2003 entwickelt. Zwar sind von der ursprünglichen Besetzung im heute 15-köpfigen Ensemble nicht mehr allzu viele dabei, neben Bandleaderin Anja Bernhard noch ihre Mitgründerin Eva Koch (Trompete) sowie Moritz Fischer (Baritonsaxofon und Gesang), und Markus Landerer am Klavier. Auch Vater und Sohn, Markus und Lukas Tristl (Trompete) sind alte Grafinger, doch was die Band, die 2006 mit dem Tassilo, dem Kulturpreis der Süddeutschen Zeitung geehrt wurde, von Anfang an auszeichnete, ihr Feuer, das hat sie nicht verloren. Und sich im Lauf der Zeit perfektioniert. Mathelehrerin Bernhard gibt nicht nur den Takt vor, sondern spielt auch Flügelhorn und Trompete, ergänzt etwa im behutsamen Zwiegespräch mit ihrer Trompete die Stimme von Moritz Fischer beim einzig wirklich langsamen Stück des Abends "Georgia On My Mind". Außerdem sind an diesem Abend Stephanie Pilcz, mit grandiosen Soli am Altsaxophon, Jana Weidhase (Altsax), Birgit Meyer und Thomas Preyer (Posaune) sowie neuerdings Petra Spelzhaus an der ersten Trompete mit von der Partie.

Rathauskonzert in Vaterstetten: Rhythmisches Klatschen - für das Publikum in der Reitsberger Halle ein lange vermisstes Vergnügen.

Rhythmisches Klatschen - für das Publikum in der Reitsberger Halle ein lange vermisstes Vergnügen.

(Foto: Christian Endt)

"Wenn etwas swingt, dann spürt man das", hat Anja Bernhard einmal gesagt, bezogen auf die Big-Band-Musik, die oftmals nicht mehr ganz jung ist, aber, vor allem, wenn sie so dargeboten wird wie von den Swinging G's, nichts von ihrer Kraft verloren hat. Erst recht stimmt das, wenn die gespielten Stücke neueren Datums sind wie "Hurricane Season" des 1986 in Louisiana geborenen Posaunisten, Trompeters und Sängers Shorty Trombone. Kurz nach der Pause weht es die ersten Zuhörer wirbelsturmmäßig schon nach ein paar Takten von den Sitzen - und einige finden auch nicht mehr zurück bis zum Schluss. "Rock Around the Clock" - das käme einigen einigen Konzertgängern wohl gerade recht, Zugaben werden gefordert, und die Band kommt dem gerne nach. "One more time? One more time?" Yes! Auf alle Fälle.

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