Kurznachrichtendienst:Wie Musk versucht, den Kauf von Twitter abzublasen

Kurznachrichtendienst: Er mag nicht mehr: Elon Musk versucht, den Deal mit Twitter rückgängig zumachen.

Er mag nicht mehr: Elon Musk versucht, den Deal mit Twitter rückgängig zumachen.

(Foto: JIM WATSON/AFP)

Der reichste Mann der Welt will vom milliardenschweren Vertrag mit dem sozialen Netzwerk zurücktreten. Aber geht das so einfach? Hintergründe des spektakulären Nicht-Deals.

Von Jannis Brühl

Auf dem Kurznachrichtendienst Twitter gilt: Wer etwas Dummes geschrieben hat - und das passiert auf Twitter häufig - will es manchmal wieder rückgängig machen und kann den Beitrag mit einem Klick auch löschen. Einen Lösch-Button versucht gerade auch der Mann zu betätigen, der eigentlich zugesagt hat, das Unternehmen Twitter zu kaufen: Elon Musk, Tesla-Chef, Serien-Gründer, reichster Mann der Erde.

Der 51-Jährige probiert, den Kauf des sozialen Netzwerks Twitter, einen der publikumswirksamsten Firmenkäufe des Jahres, abzublasen. Und das, obwohl seit April eine Vereinbarung zwischen Musk und Twitter besteht, nach der Musk das Unternehmen für 44 Milliarden Dollar kauft. 9,1 Prozent an Twitter hält er bereits.

Seine Juristen reichten am Freitag bei der US-Börsenaufsicht SEC ein Dokument ein, mit dem Musk vom Kauf des Unternehmens zurücktritt. Sie begründen das damit, dass Twitter die Zahl sogenannter Spam-Bots als zu niedrig angegeben habe. Spam-Bots sind Nutzerkonten, die automatisiert zum Beispiel halbseidene Werbung oder Propaganda verbreiten.

Das Argument lautet also, dass die Twitter-Chefs Musk getäuscht hätten und der Kurznachrichtendienst viel weniger echte menschliche Nutzer habe als behauptet. Twitter streitet den Vorwurf ab. Verwaltungsratschef Bret Taylor kündigte an, man werde vor Gericht ziehen, um Musk zu zwingen, den Deal wie vereinbart durchzuziehen und das Unternehmen zu kaufen.

Selten ist der Übernahmeversuch eines Unternehmens derart öffentlich ausgetragen worden - um dann krachend zu scheitern. Die Vereinbarung ist aus Musks Sicht offenbar wenig mehr wert als der Unsinn, den ein Spam-Bot so von sich gibt.

Die Verhandlungen lassen alle Beteiligten schlecht aussehen

Kein Deal also. Die Verhandlungen enden mit einem Paukenschlag, der alle Beteiligten schlecht aussehen lässt. Musk hat seine Zusage gebrochen. Und die derzeitigen Twitter-Eigner sowie die Firmenspitze sitzen mit einem Unternehmen da, für das sicher niemand den Preis bieten wird, den Musk bot.

Aber der Reihe nach. Twitter war ewig das mittelmäßige unter den sozialen Netzwerken: politisch als Debattenraum relevant, aber mit viel weniger Nutzern als Instagram, Linkedin, Telegram und Facebook. Außerdem fehlte Twitter eine kluge Idee, mit seinen immerhin mehr als 200 Millionen Nutzern viel Geld zu verdienen. Musk hatte angedeutet, das werbebasierte Geschäftsmodell zu einem Bezahlmodell für Nutzer entwickeln zu wollen.

Im April einigten sich Twitter und Musk, dass er das Unternehmen kaufen würde - für 54,20 Dollar pro Aktie, weit über dem damaligen Kurs. Musk verkündete, er werde ein besseres Twitter schaffen: weniger Bots, mehr Meinungsfreiheit. Letzteres bedeutet aus Sicht des libertären Musk wohl, dass weniger Beiträge gelöscht werden, die brutal oder bedrohlich sind, nachdem Twitter in den vergangenen Jahren begonnen hatte, seine Nutzer besser vor Beleidigungen, rassistischen Beiträgen und Verleumdungen zu schützen.

Doch schon kurz nach der Vereinbarung trat Musk einen Streit mit Twitter-Chef Parag Agrawal los, in dessen Zentrum ebenjene Spam-Bots und Fake-Nutzerkonten standen. Twitter untertreibe drastisch mit seiner Angabe, dass maximal fünf Prozent seiner Nutzerkonten nicht echt seien, erklärte Musk immer wieder. Wie er darauf kam, blieb ein Rätsel. Twitter gewährte ihm Zugriff auf den "Feuerwehrschlauch", einen Datenstrom, über den Musks Experten alle Tweets der Geschichte analysieren konnten. Musk quengelte trotzdem weiter.

Das lässt Musk unprofessionell wirken, denn normalerweise kümmert sich der Käufer bei Firmenübernahmen um die due dilligence, die sorgfältige Prüfung des Unternehmens, bevor er eine Vereinbarung zum Kauf unterschreibt. Musk begann also praktisch vom Tag der Unterzeichnung an, seinen eigenen Deal zu torpedieren. Er beschwerte sich über mangelnde Transparenz in der Bot-Frage und beleidigte Twitter-Chef Agrawal - natürlich auf dessen eigener Plattform. Dabei hatte Musk aber eben die hohe Zahl an Bots schon vor der Vereinbarung als Grund angeführt, dass er das Unternehmen kaufen wolle - um ebenjene Bot-Plage zu beenden.

Twitter ist eigentlich Musks Lieblingsspielzeug

War er also einfach schludrig? Das ist möglich, schließlich ist sein Interesse an Twitter weniger geschäftlich als persönlich. Musk wird eine gewisse Twitter-Sucht unterstellt, seine Follower-Zahl von mehr als 100 Millionen wird nur von Barack Obama und Mega-Promis wie Rihanna und Cristiano Ronaldo übertroffen. Der Dienst ist sein Lieblingsspielzeug, auf dem er seine libertäre Weltsicht verbreitet, die zuletzt immer offener für reaktionäre Ansichten wurde, und wo er sich über seine Kritiker lustig macht. Seine Twitter-Nutzung hat Musk sozusagen "trumpisiert", und Trump-Fans hofften auch, dass Musk die Sperre des US-Präsidenten wieder aufheben könnte. Twitter hatte sie nach der Stürmung des Kapitols verhängt. Das wird nun vorerst nichts werden.

Auch wenn der Risikoinvestor Paul Graham auf Twitter kommentiert: "Willst du wirklich jemandem gehören, der dich gar nicht besitzen will?": Es ist unwahrscheinlich, dass Musk seine Faszination für Twitter als Medium verloren hat. Wahrscheinlicher ist, dass er kurz nach der Vereinbarung zu der Überzeugung gekommen ist, dass der vereinbarte Kaufpreis von 54,20 Dollar pro Aktie viel zu hoch sei. Kurz nach dem Deal gingen Tech-Aktien, inklusive Twitter, auf Sturzflug. Das gilt auch für Musks Anteile an seinem E-Auto-Unternehmen Tesla, auf deren Wert sein Reichtum maßgeblich beruht. Sie haben seit Verkündung des Deals zweitweise ein Drittel ihres Börsenwertes eingebüßt. Nicht ausgeschlossen, dass Musks Rückzug ein Versuch ist, den Preis zu drücken. Wenn der Deal platzt, muss Musk zwar eine Milliarde Dollar Strafe zahlen - oder Twitter, auch die Schuldfrage dürfte vor Gericht ausgefochten werden. Doch könnte Musk in der Zukunft ein weiteres - niedrigeres - Angebot abgeben. Das ganze Theater könnte schließlich auch Twitter derart beschädigen, dass ein Hoch des Aktienkurses in weiter Ferne rückt.

Für Firmenchef Agrawal ist es ebenso wie für den Aufsichtsrat um Bret Taylor peinlich, einem Kaufangebot zuzustimmen, das sich dann in Luft auflöst und vor Gericht eingeklagt werden muss. Der New York Times zufolge waren die Entscheider nicht darauf vorbereitet, dass Musk ausgerechnet jetzt den Deal platzen lassen würde.

Aber kann Musk so einfach raus aus dem Vertrag? Twitters Chancen auf einen Sieg vor Gericht stehen Fachleuten zufolge nicht schlecht. Denn das ist ja eben genau der Sinn einer Vereinbarung, wie sie Musk und Twitter geschlossen haben: Dass sich der Käufer bei fallenden Aktienkursen des zu kaufenden Unternehmens nicht einfach verdünnisiert. Zudem müssten seine Banken die Finanzierung von 13 Milliarden Dollar als Teil des Deals platzen lassen. Aber von diesen zugesagten Krediten können sie nur zurücktreten, wenn Twitters Bot-Zahlen tatsächlich massiv verzerrt wären, wofür Musk keine Belege vorlegt, und das Twitters Geschäft auch noch massiv schaden würde, wofür es keine Anzeichen gibt.

Als würde all das allen Beteiligten noch nicht genug schlechte Laune machen, enttäuscht Musk auch seine Fans. Die feiern ihn als eine Art Messias, der alle Verkrustungen der Welt aufbricht, die westliche Gesellschaft neu denkt, und mit seinem Kauf von Twitter die angeblich bedrohte Meinungsfreiheit retten sollte.

Aber der Messias kommt vorerst nicht. Es war alles nur Spam.

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