"Damaged Goods" mit Sophie Passmann:Geliebte Traumata

"Damaged Goods" mit Sophie Passmann: Das Leben ist hart, wenn man Mitte Zwanzig ist, findet Nola (Sophie Passmann).

Das Leben ist hart, wenn man Mitte Zwanzig ist, findet Nola (Sophie Passmann).

(Foto: Marc Reimann/Ratpack/Amazon Prime)

In der Serie "Damaged Goods" mit Sophie Passmann pflegen fünf Millennials ihre Neurosen. Das ist zeitgeistig. Aber ist es auch lustig?

Von Christiane Lutz

Perfektion ist nicht mehr in Mode. Makellosigkeit gilt heute als oberflächlich, Schönheit ist pauschal verdächtig, Konfliktlosigkeit langweilig. Überall wird man ermuntert, das Echte zu zeigen, also: das Fehlerhafte. Auf Instagram, im Job, beim Dating, in der Beziehung, am Strand. Seine Fehler soll man "embracen", gesteigerte Selbstansprüche aufgeben, all bodies are beautiful, sei nachsichtig, wenn die Hose zwickt. Viel wichtiger als Makellosigkeit ist heute, sich als offensichtlich mangelhaft und gerade deshalb als liebenswert zu verkaufen. Also immer proaktiv raus mit Falten, Schulden, Traumata! Denn wer reine Poren hat, werfe den ersten Stein!

Regalmeter Sachbücher und ganze Geschäftszweige leben von diesem neuen Dogma der radikalen Selbstliebe. Und mit Damaged Goods ist jetzt auch eine Serie auf diesem sehr zeitgeistigen Mindset aufgebaut. Acht Folgen sind jetzt bei Amazon Prime zu sehen, Regie führte Anna-Katharina Maier, Headautor ist HFF-Absolvent Jonas Bock. In Damaged Goods, also "beschädigte Ware", wie das im Transport- und Speditionsgeschäft heißt, geht es um fünf Freunde, die sich in der Selbsthilfegruppe in der Schule kennengelernt und zu einer Art Schmerzensgemeinschaft zusammengetan haben. Man weiß also sofort: Irgendeinen Hau hat hier jeder. Und es wird gar nicht erst versucht, diesen zu verstecken. Viel mehr geht es genau darum: Wir sind okay, wie wir sind, kommt kuscheln.

Also die Beschädigten kurz vorgestellt: Henriette, genannt "Hennie", ist die verklemmte Finance-Irgendwas mit Beach-Waves und ungesunder Langzeitbeziehung, Mads ist die "Kietz-Matratze" mit Bindungsproblemen, Hugo ist der sensible schwule Steward, als Jugendlicher gemobbt, Tia ist die extrovertierte Künstlerin mit Vaginismus. Und Nola, die Erzählerin der Geschichte, hat Minderwertigkeitskomplexe, weil sie ihren Abschluss in Psychologie nicht geschafft hat. Nola, gespielt von Sophie Passmann, startet spontan einen Podcast, in dem sie als "die Küchenpsychologin" ihre und die Probleme ihrer Freunde ausführt, Hermann Hesse und Elisabeth Kübler-Ross zitierend. Kleiner Mangel nur: Die Freunde wissen nichts davon.

Die fünf Millennials stolpern durch ihre behütete Münchner Bubble, ihre kleinen Fehler und Beschädigungen immer vor sich hertragend. Es geht um das Übliche: Nicht zurückrufende Dates, langweiligen Sex oder gar keinen Sex, schlechter Sex, Kinder - ja oder nein und mit wem?, ungewollte Vaterschaft, Chlamydien, Abi-Treffen auf dem Lande, wo der Bully auftaucht, der den Schwulen mobbte und, Überraschung, selbst schwul ist. Alles nonchalant kommentiert von Nolas freundlicher Podcast-Stimme. Hat man alles schon sehr oft gesehen und buchstäblich bei Carrie Bradshaw in Sex and the City auch so gehört.

Ständig wird Wein an WG-Tischen getrunken und sich versichert, man sei schon okay

Kurz: Damaged Goods ist eine Freundschafts-Serie, wie es sie zuhauf gibt, aber für jede Generation neu geben muss. Eine Mischung aus Friends, Girls und eben Sex and the City. "Eine Serie über die Zeit, in der deine Freunde deine Familie sind", wie Friends-Produzentin Marta Kauffman einmal sagte. Ständig wird Wein an WG-Tischen getrunken, sich gegenseitig umarmt und ständig geküsst, die fünf nennen sich "Schatz" und immer bringt wer "Not-Lasagne" vorbei, wenn es einem von ihnen schlecht geht. "Liebe?" fragt Nola ihre Freundin Hennie vorm Schlafengehen. "Liebe!" antwortet die.

Nun mag Damaged Goods wie die woke 2022er-Version der genannten Shows daherkommen- diverser, hipper, schneller, weniger heteronormativ. Man kennt Endometriose, Sexismus und denkt über offene Beziehungen nach. "Hast du gerade mein Gender assumed?" fragt Tia an einer Stelle. Natürlich nicht, ist die Antwort. Das Problem aber: Die rührend überschaubaren Mängel dieser als "damaged" eingeführten Charaktere werden so aggressiv als liebenswürdig verkauft, dass es über weite Strecken einfach nervt. Da wird alles thematisiert, reflektiert und demonstriert, die Figur von Mads etwa der Lächerlichkeit preisgegeben, nur um seine Bindungsprobleme zu illustrieren. Oder wie nennt man es sonst, wenn einer einen Tag lang einen Sack Zement durch die Stadt schleift, um sich an den Gedanken zu gewöhnen, vielleicht bald ein Baby herumschieben zu müssen?

Zudem scheinen die Macher ihre Serie selbst wahnsinnig witzig zu finden. Permanent hat man den Eindruck, jemand erzähle einen eigentlich guten Witz und kichert aber beim Erzählen so laut, dass es die Pointe ruiniert. Nur, damit sich die Serie im nächsten Moment wieder hyperernst nimmt: "Der Tod ist so konsequent, das macht ihn heftig", heißt es an einer Stelle. Oder: "Du sprichst über deine Probleme, Nola, das berührt mich", sagt Nolas neue Freundin Lenora (Jasmin Gerat). Lenora ist deutlich älter als die Clique und neben Tias kiffender Oma (Michaela May) eigentlich die einzig zurechnungsfähige Figur. Die ausgiebige Selbstbetrachtung, das offensive Fehler nach außen tragen der fünf, das gehört einerseits zum Klischee jener Generation, siehe oben. Es ist aber vor allem typisch für Autoren, die viel zu verliebt in ihren Stoff sind und ihrem Publikum wenig Komplexität zutrauen und lieber mit dem Holzhammer druff erzählen, weil: Viel hilft bestimmt viel.

Wie in einer nie endenden, belanglosen Insta-Story reihen sich also die Szenen aneinander, grell und schnell, ein ewiger Wechsel aus Deep-Talk und Slapstick, dramaturgisch oft nicht nachvollziehbar. Immerhin: Wo viele Witze rausgeballert werden, sitzt auch immer wieder mal einer. Etwa, wenn Mads, aka "Single like a Pringle", Nola an einer Orange demonstriert, wie man Vulven leckt, ist das sehr lustig. Oder wie Nola aus einem falsch herum getragenen Pulli Chips aus der Kapuzentasche isst. Überhaupt: Warum das Ganze am Ende doch erträglich anzuschauen bleibt, liegt vor allem an der Besetzung: Autorin Sophie Passmann spielt mit Hauptfigur Nola vor allem sich selbst, was nichts macht, denn darin ist sie ja sehr gut. Neben ihr ein irre komischer Tim Oliver Schultz als schlichter Charakter Mads, und Zeynep Bozbay ist als von Selbstzweifeln zerfressene Künstlerin Tia ohnehin eine immer sichere Bank, im Theater wie im Fernsehen.

Im Laufe der Folgen dann steuern alle fünf auf sowas wie ernsthafte Beziehungen zu, zu Kindern, Frauen, Männern, Kuratoren, weg von den Mängeln - und wagen sich doch nur vereinzelt aus der Deckung der Clique hervor. Dem Ort, an dem sie weiter ungestört ihre Macken pflegen dürfen. Bleibt viel Luft für eine zweite Staffel.

Damaged Goods, auf Amazon Prime.

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