Sportpolitik:Gegen die Macht der Bilder

Sportpolitik: "Immer wieder Todesfälle": Bauarbeiter arbeiten 2019 am Lusail-Stadion, einer der Spielstätten für die WM 2022 in Katar.

"Immer wieder Todesfälle": Bauarbeiter arbeiten 2019 am Lusail-Stadion, einer der Spielstätten für die WM 2022 in Katar.

(Foto: Hassan Ammar/dpa)

"Blutige Spiele, korrupte Verbände": Bei einer Podiumsdiskussion in Augsburg kritisieren die Teilnehmer die Menschenrechtsverletzungen auf den WM-Baustellen in Katar scharf. Tadel erfährt auch der FC Bayern München, der mit dem Wüstenstaat wirtschaftlich eng verflochten ist.

Von Christoph Ruf

Andreas Rettig hat in jüngerer Vergangenheit immer wieder mal den Profifußball ermahnt, das Thema "Nachhaltigkeit" ernster zu nehmen als bisher. So verbrauche eine Rasenheizung 2000 Liter Erdöl am Tag, Grund genug, den Spielplan an das Kalenderjahr anzupassen. Bei der Fußball-WM in Katar werden die Stadien hingegen mit mutmaßlich noch mehr Energieverbrauch auf erträgliche Temperaturen heruntergekühlt werden, weshalb auch ökologische Gründe gegen die Vergabe des Turniers an den Wüstenstaat sprächen. Doch die standen nicht im Vordergrund, als Rettig am Wochenende in der Augsburger Uni saß, um unter dem Motto "Blutige Spiele, korrupte Verbände" über Katar zu sprechen. Mit ihm diskutierten der grüne Landtagsabgeordnete Max Deisenhofer, Jürgen Mittag von der Sporthochschule in Köln sowie die Journalisten Andreas Schmid und Benjamin Best (WDR).

Dabei sparte Rettig, der als langjähriger Geschäftsführer des FC Augsburg (2006 bis 2012) auf ein wohlgesonnenes Publikum traf, nicht mit Kritik an den Verbänden und am FC Bayern München. Dass der Rekordmeister seine regen Geschäftsbeziehungen mit dem Emirat auch damit rechtfertige, dass er sich dabei nicht anders als Konzerne wie VW verhalte, ist für Rettig bezeichnend. Während ein Dax-Konzern seinen Aktionären verpflichtet sei, sei der Daseinszweck eines Fußballklubs ein anderer: "Er hat nicht in erster Linie das Ziel, seine Rendite zu erhöhen", sondern müsse seine Geschäftsbeziehungen gegenüber den "Stakeholdern" rechtfertigen. "Und wenn seine Fans und Mitglieder das nicht wollen, muss er entsprechend reagieren."

Organisiert hatten die Veranstaltung unter anderem Vertreter der Augsburger Ultraszene, die bereits vor einem Jahr zusammen mit Organisationen wie Amnesty International in der Augsburger City gegen Katar demonstriert hatte. Einer ihrer Sprecher geißelte das Turnier dann auch eingangs als Teil der "vollkommen absurden Auswüchse des Profifußballs", es stehe "sinnbildlich für die immer weiter fortschreitende Kommerzialisierung".

Der Grünen-Politiker unterscheidet zwischen seiner "privaten Antihaltung" und den "geopolitischen Erfordernissen"

Für Einschätzungen zur Lage in Katar wurde im Laufe des Abends unter anderem Katja Müller-Fahlbusch von Amnesty International zugeschaltet, die zuletzt auch im Bundestag bei einer Anhörung zum Thema vor dem Sportausschuss gesprochen hatte. Dort hatte sie Katar zwar Fortschritte attestiert, was die Rechte für Arbeitsmigranten betrifft, die Umsetzung der Reformen allerdings als "mangelhaft" kritisiert. Es habe, sagte Müller-Fahlbusch nun, auf internationalen Druck hin zwar auch "wirkliche Verbesserungen" bei den Arbeitsbedingungen gegeben - allerdings nur auf den offiziellen WM-Baustellen, die nur zwei Prozent aller Wander- und Leiharbeiter beschäftigten. Während die Fifa und Katar-Lobbyisten nicht müde werden zu betonen, dass sich die Lage der Arbeitsmigranten zuletzt deutlich verbessert habe, bestreiten WM-Kritiker das vehement. Und haben damit offenbar für 98 Prozent der meist aus Nepal stammenden Arbeiter recht.

Die Einschätzung des britischen Guardian, dass weit mehr als die geschätzten 6500 Arbeitsmigranten ihr Leben gelassen haben, wurde hier geteilt. Interessant, was Best, der 2019 bei seinen Recherchen für "Sport inside" von zwei Regierungs-Jeeps eskortiert wurde, in einem Nebensatz fallen ließ: Er habe Informationen, dass sämtliche Arbeitsmigranten während des Turniers außer Landes gebracht werden sollen, damit Journalisten, die kritisch über die Lage außerhalb der Stadien berichten wollen, erst gar kein Material dafür bekommen.

Best berichtete, es gebe immer wieder Todesfälle, die nicht in der Statistik auftauchten; laut Amnesty werden 70 Prozent aller Todesfälle von Arbeitsmigranten nicht untersucht. Und die Liste der Kritikpunkte hört da bekanntlich nicht auf: Gerade erst wurden zwei Juristen zu zweijähriger Haft verurteilt, weil sie einen Erlass des Emirs kritisiert hatten. Homosexualität kann mit bis zu sieben Jahren Haft bestraft werden. Und Frauen unterstehen einem "Vormundschaftssystem" und damit ihren Männern. "Keinerlei Fortschritte" sieht Amnesty in diesen Bereichen.

Ein echter Dissens war unter den Diskutanten nicht auszumachen, er war angesichts der Zusammensetzung des Podiums auch nicht zu erwarten. Wobei durchaus auffiel, wie fein der grüne Landtagsabgeordnete Deisenhofer zwischen seiner "privaten Antihaltung" zu Katar und den "geopolitischen Erfordernissen" unterschied, denen seine Parteifreunde in Berlin nun mal unterlägen, wenn sie Flüssiggas aus Katar importierten.

Als er noch nachschob, mancher Politiker halte sich vielleicht auch deshalb zurück, um bei einem WM-Finale mit deutscher Beteiligung im Stadion sein zu können, intervenierte Rettig. Man dürfe gerade als Politiker "die Macht der Bilder" nicht unterschätzen. Und "jubelnde Politiker, die sich vielleicht dabei auch noch dem Emir an den Hals werfen", entsprächen eins zu eins dem Kalkül des Emirats.

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