DDR-Kunst am Bau:Facelift für den Fliesenriesen

DDR-Kunst am Bau: Einst Fiktion einer besseren Welt: Josep Renaus Großmosaiken in Halle. Die linke Seite ist bereits restauriert, die rechte wird es gerade.

Einst Fiktion einer besseren Welt: Josep Renaus Großmosaiken in Halle. Die linke Seite ist bereits restauriert, die rechte wird es gerade.

(Foto: Thomas Wolf)

Karl Marx als "Schadphänomen": Josep Renaus Großmosaik "Einheit der Arbeiterklasse und Gründung der DDR" in Halle wird restauriert. Eine Besichtigung.

Von Cornelius Pollmer

Auch der Preis für den besten Nebendarsteller geht an diesem Montag an ein Werk von Josep Renau, zu finden nach wie vor an einer DDR-Plattenbaufassade in Halle-Neustadt. Das Wandmosaik heißt "Die vom Menschen beherrschten Kräfte von Natur und Technik" und aus heutiger Sicht, das muss man sagen, steht der Sozialismus damit großflächig ganz schön doof da mit einer seiner zentralen Thesen. Der Mensch beherrscht nachweislich weder das eine noch das andere und oft genug inzwischen nicht mal mehr sich selbst. Man kann sich die retrofuturistische Kunst am Plattenbau natürlich schönlügen als Fiktion einer besseren Welt - am Bildrand kaum auszublenden aber ist die sehr reale Schlange am Eingang der Ausländerbehörde, die in diesem - "Am Stadion 5" - genauso untergebracht ist wie andere Teile der Stadtverwaltung.

Das ist insofern stimmig, als die Stadt 200 000 Euro und damit 20 Prozent der Gesamtkosten trägt, die für das Facelift ein paar Meter weiter anfallen. In der Hauptsache geht es bei dieser Besichtigung nämlich um etwas, das man gerade gar nicht sehen kann, weil es bereits eingerüstet worden ist. Die Außenhaut des zweiten Treppenhauses besteht aus dem ebenfalls von Renau entworfenen Wandmosaik "Einheit der Arbeiterklasse und Gründung der DDR", es soll bis Ende dieses Jahres denkmalgerecht restauriert werden.

Wie aber restauriert man ein so riesiges Puzzle, bei dem zwar alle Teile gleich groß sind (wie daheim im Badezimmer 15 x 15 Zentimeter) und dennoch jedes einzigartig? Aus 10 904 Rohsteinzeugfliesen besteht dieses Mosaik, sie wurden zwar serienmäßig hergestellt, mit Majolika-Glasurmalerei dann aber je nach Platz individuell gestaltet. Die DDR hat das 1968 beauftragte und 1974 fertiggestellte Kunstwerk zwar überlebt, nach der Wende aber hat es durch sich stetig verändernde Witterung und Erosion ziemlich gelitten, da ging es der Kunst am Bau im Osten nicht anders als den Menschen.

Am schlimmsten hat es, kein Witz, Karl Marx getroffen, auch wenn das Raphael Doths, einer der hier werktätigen Restauratoren, so nicht sagt. Doths erklärt, dass die allermeisten Fliesen unbeschädigt seien, nur etwa 500 müssen komplett neu hergestellt und bemalt werden. Aber selbst wenn eine Fliese nicht ab und einem flanierenden Hallenser auf den Kopf fällt, kann es Probleme mit der Haftung geben. In vielen Fällen hat sich der Versetzmörtel von der Fliese oder der Fassade gelöst, die Restauratoren sind in solchen Fällen als Gesteinschirurgen gefragt. Erst werden die Fliesen auf Hohlräume abgeklopft, und wo es welche gibt, geht es per Bohrung in die Fuge, um die Fliesen mit Injektionsleim zu hinterspritzen.

Man lernt in Halle schöne Wörter, "Schadphänomen" und "Stadtraumbekunstung"

Die größte Kunstbaustelle, wie gesagt: Marx. Der große Marx nämlich überragt sogar das Dach des Plattenbaus und, auch hier grüßt spät die DDR, wer den Kopf rausstreckt, bekommt natürlich schnell mal Probleme. Über die Dachkante konnte Wasser leicht in die Scherbenmasse eindringen, es gab Frostsprengungen, Salz lagerte sich ein und drängte seinerseits an die Oberfläche. Im Ergebnis hat Marx in Halle jetzt einen ziemlichen Dachschaden. Raphael Doths nennt es ein "Schadphänomen" und mit diesem Begriff sollte man sich doch bevorraten für den wahrscheinlichen Fall, dass man bald mal wieder jemanden höflich beleidigen möchte.

Die Glasursprünge, sozusagen Marx' Schuppen, liegen beim Pressegespräch auf dem Tisch wie eine Tüte Linsenchips, und auch sonst wird man hier wieder übermannt von diesen elenden Tagträumen, die man als Schadphänomen besser bald einmal untersuchen lassen sollte von einem restauratorisch begabten Kopfklempner (m/w/d). Es ist wirklich ernst, schließlich hatte man es schon bei Ankunft kurz für möglich gehalten, dass Michel Houellebecq als Teil der Pressemeute in Halle (Saale) aufgeschlossen sei, was in der Welt wäre denn wirklich noch sicher auszuschließen.

DDR-Kunst am Bau: Wir zeichnen den Menschen - ein Detail der Kunst am Plattenbau.

Wir zeichnen den Menschen - ein Detail der Kunst am Plattenbau.

(Foto: Cornelius Pollmer)

Beim zweiten Hinsehen klärte sich die Sache zwar auf (Houellebecq war nicht da, aber ein ihm ähnlich sehender Kollege vom Lokalfernsehen), aber rein biografisch war Josep Renau doch schon eine Wundertüte und könnte wiederum seinerseits bei Houellebecq noch einmal auftauchen. Der Kommunist Renau studierte an der Kunstakademie Valencia, er war Werbegrafiker und Illustrator und bekannt vor allem für die Gestaltung des spanischen Pavillons auf der Weltausstellung in Paris 1937. Um dem Tod zu entgehen, floh er zwei Jahre später nach Mexiko und machte sich dort mit dem Muralismo vertraut, der vormals revolutionären mexikanischen Wandmalerei.

Als ideelles Sperrgepäck brachte Renau diese Kunstform mit aus dem Exil in die DDR, als er 1958 dorthin übersiedelte. Insgesamt fünf Wandbilder gestaltete Renau für die DDR, man nannte das in seiner Übergriffigkeit durchaus zutreffend "Stadtraumbekunstung". Die Arbeit in Halle war Renaus erstes Großprojekt in der DDR und seine erste Außenwandbildgestaltung überhaupt.

Geht es um Coolheit oder um kulturelles Erbe?

Es stellt sich natürlich die Frage, mit welchen Motiven ein solches Motiv jetzt instand gesetzt wird. Die DDR wirft schließlich einen längeren Schatten als die höchsten Plattenbauten, und in Halle hatte man sich zuletzt beispielsweise nicht nur im Stadtrat giftig gestritten über die Frage, ob auch der Ersatzneubau des alten Planetariums wieder nach dem Fliegerkosmonauten Sigmund Jähn benannt werden sollte. Eine Mehrheit war am Ende dagegen.

Professor Philip Kurz darf schon deswegen zu dieser Frage sprechen, weil er Geschäftsführer der Wüstenrot Stiftung ist, die das Projekt - so sagt es Judith Marquardt, Halles Beigeordnete für Kultur - "sehr, sehr präge", das ist Code für: 80 Prozent oder 800 000 Euro. Kurz jedenfalls sagt, es gebe heute ja genug Projekte, bei denen es "mehr um Coolheit geht als um kulturelles Erbe", darum, dass etwas "instagrammable" wird, was lange genug eine Dreckecke war. Hier aber habe man es zweifellos mit einem "identitätsstiftenden kulturellen Erbe" zu tun, das zu bewahren nur zu einem Teil den anwohnenden Bürgern zuliebe geschieht. Klar geht es auch um die, es geht um die Botschaft "das, was Sie erlebt haben, ist wichtig", so sagt es Judith Marquardt. Solches Erbe zu pflegen, fällt in diesem Falle leichter, weil es um ein Kunstwerk geht und nicht um die personalisiert spekulative Frage, wie sehr etwa jemand wie Jähn sich von der DDR-Staatsführung instrumentalisieren ließ.

Diesen Unterschied sieht auch Professor Kurz, der - wo er schon mal so weit angereist ist - sich vor Ort spontan eine kleine Gastdozentur anverwandelt. Als Ossi hat man längst gelernt, in solchen Momenten schmunzelnd zu schweigen, und in diesem Fall hat der sympathische Gast ja wirklich etwas zu sagen, zum Beispiel dass "ein Kunstwerk, das Denkmal ist, nur zu uns spricht, wenn wir es in seiner Geschichtlichkeit verstehen, wenn wir verstehen und sehen, ... das ist nicht ein Bild von heute, das schön aussieht und glänzt" - das Kunstwerk müsse vielmehr "aus einer vergangenen Zeit zu uns sprechen", auch dadurch verliere der ideologische Charakter über die Zeit an Bedeutung, was bleibe und wichtig sei, dass sei "die Qualität der Kunst, die da drin steckt". Und die ist beträchtlich, das kann man so langsam auch mal außerhalb des Ostens anerkennen. So ein renovierter Renau ist nicht für diesen wichtig, sondern, so Kurz, auch für "die Gesamtidentität der heutigen Bundesrepublik".

Wie es um diese Gesamtidentität bestellt ist, dazu müssten sich alle bald auch mal wieder großflächig verständigen. "Deutschland - das große Fliesenbild", wäre das nicht was fürs Fernsehen, moderiert vom ewigen Johannes B. Kerner? Alle Deutschen gestalten jeweils eine Kachel, ein Mosaik des Wahnsinns aus 83 Millionen Rohsteinzeugfliesen aus dem Werk im mecklenburgischen Boizenburg. Nein? War ja nur ein Vorschlag.

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