Andreas Stichmann: "Eine Liebe in Pjöngjang":Autokraten bitte wegsehen

Andreas Stichmann: "Eine Liebe in Pjöngjang": Als Tourist in Nordkorea heißt es Zugeständnisse machen: Reisepässe abgeben, kein Handyempfang, die Schönheiten des Landes preisen.

Als Tourist in Nordkorea heißt es Zugeständnisse machen: Reisepässe abgeben, kein Handyempfang, die Schönheiten des Landes preisen.

(Foto: KIM WON JIN/AFP)

Zwei Frauen begegnen sich auf einer Reise deutscher Kulturmenschen durch Nordkorea: Ein geeignetes Szenario für eine Liebe auf den ersten Blick? Andreas Stichmann kann es beweisen.

Von Meike Feßmann

Beim Reisen geschehen die verrücktesten Dinge, und offenbar ist das auch dem Autor passiert, als er vor einiger Zeit in Nordkorea war. Dass Andreas Stichmann zu den offensten Menschen des Planeten gehört, weiß man spätestens seit seinen Romanen "Das große Leuchten" und "Die Entführung des Optimisten Sydney Seapunk". Aber es ist keine Offenheit der beliebigen Art. Im Gegenteil. Er sucht nach Phänomenen des Verbundenseins, nach Möglichkeiten, wie sich Gemeinsamkeiten stiften lassen. Und da sollte der 1983 in Bonn geborene Schriftsteller ausgerechnet in Pjöngjang fündig geworden sein?

Er hat seine Reiseerfahrung in eine Geschichte verwandelt, die vor Charme und Leichtigkeit schwebt. Dabei ist "Eine Liebe in Pjöngjang" schmal und konzentriert: Claudia Aebischer, aufgewachsen in der DDR, Präsidentin des Verbands europäischer Bibliotheken, Autorin dreier erzählender Sachbücher, will endlich ihr lange aufgeschobenes "Poesie-Ding" verwirklichen. Es ist ihre letzte Delegationsreise. Die Fünfzigjährige ist schon ein paar Tage vor Ort, als sie junge Berliner "Kulturmenschen" in Empfang nimmt, die "in einer Sommernacht zu Beginn des 21. Jahrhunderts" zur Eröffnung einer deutschen Bibliothek in die nordkoreanische Hauptstadt reisen.

Natürlich macht es ihr Spaß, auf den Gesichtern der Ankommenden die gleiche Panik zu sehen, die sie bei ihrer ersten Reise vor knapp vier Monaten empfand. Reisepässe abgeben und kein Handyempfang - auch wenn man offiziell als Gast des autoritären Regimes fungiert, kann einem da schon mulmig werden. "Es war viel Ambition an Bord", denkt Claudia, sich für die "Oma-Gedanken" scheltend, im Sonderzug des nordkoreanischen Tourismusbüros. "Es war eine schöne und passive Generation, die sich da ins Erwachsensein hineinschaukeln ließ. Etwas unwitzig vielleicht. In der Spiegelung der Scheibe hatten sie etwas von lagernden Puppen."

Andreas Stichmann: "Eine Liebe in Pjöngjang": Andreas Stichmann, Jahrgang 1983, studierte am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig und lebt heute in Berlin.

Andreas Stichmann, Jahrgang 1983, studierte am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig und lebt heute in Berlin.

(Foto: Daniela Imhoff)

Der Roman erzählt einen durchaus realistischen Plot und infiltriert ihn mit romantischen Motiven. Sie ploppen an den unterschiedlichsten Stellen auf und blühen weitverzweigt vor sich hin. Kaum hat Claudia die Mitreisenden begutachtet - Blogger, Journalistinnen, Lifestyle-Kolumnisten -, sieht sie in der Scheibe des Nachbarzugs ein Frauengesicht, das sie sofort fasziniert. Wie es der gelenkte Zufall will, ist es Sunmi, die Dolmetscherin. Sie soll nicht nur übersetzen, sondern die Gruppe auch möglichst unauffällig überwachen. Sunmi, verheiratet mit einem alten Germanistikprofessor und Parteifunktionär, absolviert den diffizilen Begleitservice mit Fingerspitzengefühl und Grazie.

Sunmi weiß, wie man Nähe herstellt: Neigungen entgegenkommen, Ähnlichkeiten zelebrieren, allmählich zum Du übergehen, "running gags" kultivieren, Spitz- und Kosenamen finden, um sie "als Ausdruck zweisamer Exklusivität zu zelebrieren." Die Strategie geht auf. Doch nicht nur Claudia verliebt sich in sie, sondern auch sie sich in Claudia. Das heitere Fest einer geglückten Resonanz, die Stichmann zwischen den beiden Frauen inszeniert, springt auch sprachlich über. Sunmi hat über die deutsche Romantik promoviert, ihr Deutsch ist etwas altertümlich, gern hängt sie ein "e" an Substantive, das Konjunktionaladverb "also" verwendet sie wie eine Sprachpause, in der sie nachdenken kann. All das verzückt Claudia, und es beflügelt die Erzählung.

Andreas Stichmann erzählt in erlebter Rede und blendet mal in das eine, mal in das andere Bewusstsein hinein. Manchmal spiegelt er das verliebte Ineinanderverzwirbeln der beiden in Passagen, in denen wir beispielsweise die Lebensgeschichte Sunmis, deren Mutter bei der Geburt ihrer Schwester starb, in genau dem märchenhaften Ton hören, in dem sie sich in Claudias Gedächtnis niedergelassen hat. Es ist also wirklich eine Form der "Universalpoesie", die Stichmann in seinem lakonisch zarten Roman gelingt, eine Sprache der Liebe und der Verbundenheit, die sich wie ein Pilzgeflecht ausbreitet.

Andreas Stichmann: "Eine Liebe in Pjöngjang": Andreas Stichmann: Eine Liebe in Pjöngjang. Roman. Rowohlt Verlag, Hamburg 2022. 156 Seiten, 20 Euro.

Andreas Stichmann: Eine Liebe in Pjöngjang. Roman. Rowohlt Verlag, Hamburg 2022. 156 Seiten, 20 Euro.

Während die Eröffnung der Bibliothek mit großem Pfauengehabe stattfindet, während Funktionäre das "Lob der Autokratie" singen, während die Gruppe das Mausoleum der Kims besucht und schließlich auch Claudia zu einer Rede getrieben wird, in der sie die touristischen Schönheiten des Landes rühmen soll, hüpft der Redestrom der beiden Frauen wie Stromschnellen nebenher. Mal sitzen sie im Garten unter Lampions, mal in der Sauna, mal liegen sie im Bett und wundern sich, was mit ihnen geschehen ist. Sie wissen genau, was sie wollen: "Sie entschieden gemeinsam, dass Vorstellungskraft alles war. Phantasie keinesfalls! Weil Phantasie nach Seifenblasen und Walt Disney klang. Vorstellungskraft, weil es ernst, anstrengend und technisch klang. Und deutsch."

Eine Nordkoreareise ist wie eine "Zeitreise in die frühen Achtzigerjahre", überlegt Claudia einmal und spürt eine Art Schwindel in Anbetracht der Porträts von Kim Jong-il und Kim Il-sung in ihrem Hotelzimmer. Ins Treppenhaus flüchtend, kommt sie sich vor, als habe sie "die Retro-Realität" verlassen und sehe zum ersten Mal "den rohen Raum der echten Realität". Am Ende wird sie davon träumen, Sunmi zu retten. Doch die will nicht gerettet werden.

Wie in all seinen Büchern, begonnen mit dem 2008 erschienenen Erzählungsband "Jackie in Silber", verblüfft Stichmanns dritter Roman durch seine Fähigkeit, Atmosphäre durch Aussparungen herzustellen. Und er zeigt eine weitere Qualität: eine mit stilistischer Strenge verbundene Spielfreude. Was Sunmi, die "Oktopussprachlerin", an dem chinesischen Markt liebt, zu dem sie als Kind durch den Yalu watete, feiert der Roman als "vielarmige" Sprache mit gestischer Kraft.

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