Bregenzer Festspiele:Oper als echte Lebensgeschichte

Bregenzer Festspiele: In der Saison 1903/04 war "Sibirien" ein Riesenerfolg. In Bregenz kann man die vergessene Oper neu entdecken.

In der Saison 1903/04 war "Sibirien" ein Riesenerfolg. In Bregenz kann man die vergessene Oper neu entdecken.

(Foto: Bregenzer Festspiele/Karl Forster)

"Sibirien" von Umberto Giardano erweist sich als der Knüller der diesjährigen Bregenzer Festspiele - Shakespeares "Sturm" vom Deutschen Theater Berlin entlässt einen dagegen eher ratlos.

Von Egbert Tholl, Bregenz

Es ist eine schöne Tradition bei den Bregenzer Festspielen, dass dem Spiel auf dem See im Festspielhaus eine Oper gegenübergestellt wird, die aus eher entlegeneren Bereichen des Repertoires stammt. Für die Seebühne ist die Auswahl eng, nur wenige Blockbuster-Opern locken 200 000 Besucher pro Saison an. Im Festspielhaus kann man da viel wendiger sein, und, wie in diesem Jahr, auch hochinteressante Bezüge schaffen. Dem Dramaturgen Olaf A. Schmitt ist nun die diesjährige, wunderbare Kombination zu verdanken: draußen Puccinis "Butterfly", drinnen "Sibirien" von Umberto Giordano. Beide Opern hatten ihre Uraufführung in derselben Saison an der Mailänder Scala (1903/1904), "Sibirien" war damals ein Riesenerfolg, heute war das Stück bis vor wenigen Jahren praktisch unbekannt. Und: Beide Opern wurden damals vom selben Team inszeniert und waren in den Hauptpartien identisch besetzt.

"Sibirien" ist bester Verismo, die Handlung wird kompakt, schnörkellos und packend erzählt, die Musik hat viel Kolorit der Orte, an denen die Geschichte spielt. Giordano machte sich kundig in russischer Musik, baute orthodoxe Chöre (oder deren Derivate) ein, Volkslieder, ließ sich auch vom Tonfall russischer Kunstmusik inspirieren. Etwa durch Tschaikowski "Ouvertüre 1812" - ein durch Putins Angriffskrieg derzeit annähernd verfemtes Stück.

Die Geschichte, wie sie der Librettist Luigi Illica (der auch die Worte der "Butterfly" schrieb) erfand, lässt einen an Verdis "Traviata" genauso denken wie an die "Lady Macbeth" von Schostakowitsch, das eine liegt vor, das andere nach Giordano: Der Kuppler Gleby machte Stephana zur Kurtisane in den höchsten Kreisen des zaristischen Russlands, aktuell ist Fürst Alexis ihr Galan. Doch Stephana ist verliebt in Vassili, er in sie, es kommt zum Streit mit dem Fürsten, Vassili verletzt diesen und kommt ins sibirische Straflager. Stephana folgt ihm, die Liebe gebiert dort ein Kind, Gleby taucht auch auf, verrät die beiden, die fliehen wollen, Stephana stirbt.

Ein Zaubertrick: Aus der spätsowjetischen Gemeinschaftswohnung wird Stephanas Salon

Regisseur Vasily Barkhatov ersann nun einen tollen Clou, um diese Geschichte in seiner staunenswert naturalistisch-perfekten Inszenierung an unsere Zeit heranzuholen. Er erfindet eine alte Frau, gespielt und auch gesungen von Clarry Bartha (für den Gesang knappst er Passagen meist von Stephana für sie ab), mit der er sich filmisch auf eine Reise begibt. Die Dame ist das Kind von Stephana und Vassili, ihre Reise beginnt 1992 in Rom, sie holt die Urne mit der Asche ihrer Mutter ab, reist nach St. Petersburg, sucht die Stätte des ehemaligen Gulags, heute eine triste Plattenbausiedlung, sie verstreut die Asche. Dieser Rahmen dringt immer wieder in die eigentliche Opernhandlung ein, der Beginn ist ein Zaubertrick: Die alte Dame landet in einer spätsowjetischen Gemeinschaftswohnung, und durch die Kunst des fabulösen Bühnenbildners Christian Schmidt verwandelt diese sich in in Stephanas Salon. Staunen will man und klatschen.

Oper als Lebensgeschichte einer Zeitzeugin. Großartig. Aber das allein ist es ja nicht. Da ist noch Valentin Uryupin, ein begnadeter Operndirigent, mit untrüglichem Gespür für Dynamik, Dramatik, mit einem liebenden Händchen für alle, die singen, obwohl es die Wiener Symphoniker mit stupender Präzision krachen lassen. Herrlich. Das ist musikalisches Erzähltheater in Perfektion. Mittendrin: Ambur Braid. Die kanadische Sopranistin ist als Stephana umwerfend. Sie bläst jeden blöden Kerl weg, sie liebt unerschütterlich, sie spielt warm und wahr. Sie ist für sich schon ein Erlebnis, aber der ganze Abend ist fabelhaft.

Bregenzer Festspiele: Riesenmurks mit weitgehend nutzloser Neuübersetzung: Shakespeares "Sturm".

Riesenmurks mit weitgehend nutzloser Neuübersetzung: Shakespeares "Sturm".

(Foto: Bregenzer Festspiele/Karl Forster)

Derart aufgekratzt geht man zwei Tage später in die Schauspielpremiere der Festspiele - und ist verdattert. Ist ja großartig, dass, wundersame Kooperation, das Deutsche Theater Berlin hier etwas zur Premiere bringt, was in Berlin erst zu Beginn der kommenden Saison gezeigt wird. Jan Bosse inszeniert Shakespeares "Sturm" in einer weitgehend nutzlosen Neuübersetzung von Jakob Nolte - ich tu lieben, du tust mögen, wir tun tun. Tun tun hier alle, fünf eher junge Schauspielerinnen und Schauspieler plus Wolfram Koch als Prospero, hier ein müder Zyniker, ein Theatergeist, ein abgehalfterter Regisseur. Koch irrlichtert eh virtuos durch eine nicht aufzufindende Rollenbeschreibung, um ihn spielen alle, als wäre man nicht fertig geworden. Ein Riesenmurks, aber mit viel Musik, und die besoffenen Trottel im Stück verdrängen lautstark jede politische Implikation. Lorena Handschin als Ariel ist dennoch zauberhaft, Julia Windischbauer als Caliban und sonstwas hat tolle Momente völlig unexaltierter Wahrhaftigkeit. Die anderen spielen, als hätte ihnen am Vorabend jemand gesagt, sei seien Schauspieler. Seltsam.

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