Polizei warnt vor Enkeltrick:"Nicht mit meiner Oma!"

Polizei warnt vor Enkeltrick: Kreativität bei der Aufklärung gegen Telefonbetrüger. Plakate, Warnhinweise auf Bankumschlägen oder Bäckereitüten - oder Polizeitheaterstücke im Seniorenheim, wie hier in Unterföhring bei München.

Kreativität bei der Aufklärung gegen Telefonbetrüger. Plakate, Warnhinweise auf Bankumschlägen oder Bäckereitüten - oder Polizeitheaterstücke im Seniorenheim, wie hier in Unterföhring bei München.

(Foto: Catherina Hess)

Enkeltrick-Betrüger inszenieren am Hörer Horrorszenarien und drängen ihre oft hochbetagten Opfer dazu, riesige Summen abzugeben. Bayerns Polizei will das verhindern - auch mit Hilfe der echten Enkel.

Von Simone Kamhuber, Augsburg/Traunstein

Sitzungssaal 136, Landgericht Traunstein. "Sie müssen keine Angst haben", sagt Richterin Heike Will zu der Dame, die gleich zum ersten Mal in ihren 85 Lebensjahren als Zeugin aussagt. Die ganze Nacht habe sie vor Aufregung nicht schlafen können, sagt die Geschädigte. Am 18. Mai 2021 ist Anneliese F. Opfer eines Schockanrufs geworden. Die Betrügerin gab sich als "Frau Burghart von der Polizei" aus und tischte ihr die klassische Enkeltrick-Lüge auf: F.s Schwiegertochter habe einen schweren Unfall gehabt, sie müsse die Versicherungskosten vorstrecken, ansonsten käme ihr Sohn ins Gefängnis. Unter Schock geht Anneliese F. zur Bank, kratzt 46 000 Euro von mehreren Konten zusammen und händigt ihr Erspartes einer unbekannten Abholerin aus. Alles, wie "Frau Burghart" es ihr am Telefon befielt. Die Abholerin des Geldes, so die Anklage, sitzt jetzt in Traunstein vor Gericht. Um knapp 600 000 Euro hat die Bande, dessen Teil sie ist, ihre oft hochbetagten Opfer betrogen.

"Die Täter setzen auf den Schockmoment, wollen den Verstand des Opfers außer Kraft setzen und es dadurch zum unüberlegten Handeln verleiten", heißt es in der Anklageschrift. Durch den emotionalen Druck übergeben die Geschädigten teils ihr gesamtes Erspartes ab - ein Vorgang, so banal, als wäre es ein Brief bei der Post. Ein 89-jähriger Würzburger verlor auf diesem Weg heuer 280 000 Euro in bar und Goldbarren im Wert von 25 000 Euro.

Grundschüler sollen etwa in Augsburg ihre Großeltern sensibilisieren

Der Enkeltrick ist inzwischen so verbreitet, dass die Masche keiner Erklärung bedarf und nicht mehr funktioniert - könnte man denken. Doch der Telefonbetrug boomt. 4168 dieser Anrufe, die strafrechtlich unter "Callcenterbetrug" fallen, registrierte die Polizei 2021 bundesweit. In Unterfranken erbeuteten die Kriminellen so 1,4 Millionen Euro. In Nordschwaben gab es vergangenes Jahr 1084 versuchte Telefonbetrugsfälle, bei denen 434 000 Euro erbeutet wurden. "2022 war bereits zur Jahresmitte absehbar, dass die Schadenshöhe aus dem Vorjahr nicht nur erreicht, sondern deutlich erhöht sein wird", sagt Polizeipressesprecher Markus Trieb vom Präsidium Schwaben Nord.

Die Polizei ist inzwischen kreativ geworden, um die Zielgruppe aufzuklären. Wer dringt zur Großelterngeneration am einfachsten durch? Eben die Enkel. Im Mai startete das Präsidium Schwaben Nord die Kampagne "Nicht mit meiner Oma - nicht mit meinem Opa", kurz #NMMO. Bei Aufklärungsvideos wirkten unter anderem Oberbürgermeisterin Eva Weber, der FC Augsburg und die Augsburger Puppenkiste mit. Seit Mai gibt die Polizei Viertklässlerinnen und Viertklässlern Tipps und Flyer an die Hand, um die Großeltern zu sensibilisieren. 35 000 Flyer seien von Schulen in Nordschwaben bereits angefordert worden, so Pressesprecher Trieb. Die Hinweise sind in Augsburg allgegenwärtig: #NMMO läuft auf den Bildschirmen in der Tram, ist auf Bäckertüten gedruckt und als Werbung im Zoo, sogar Theatergruppen inszenieren die Betrügermasche. "Seien Sie misstrauisch! Nennen sie keine persönlichen Daten am Telefon! Übergeben Sie niemals Geld an Unbekannte!" So lauten die Tipps, ebenso wie bei dem geringsten Verdacht die Angehörigen und die Polizei anzurufen.

"Man ist mit dem Enkeltrick immer konfrontiert. Dass das ausgerechnet mir passiert", sagt Edit-Annemarie H., ebenfalls Geschädigte im aktuellen Prozess in Traunstein. Ihr wurde vorgegaukelt, ihre Tochter habe einen schweren Unfall verursacht, für deren Kaution müsse sie jetzt aufkommen. Im Hintergrund wurde das laute Schluchzen der Tochter inszeniert. Mit der Kampagne "Leg auf!" wollen die Präsidien Unterfranken und Schwaben Nord Seniorinnen und Senioren aus dem Schock solcher Anrufe wachrütteln. Dabei werden Sticker verteilt, die sich ältere Mitbürger auf den Festnetzhörer kleben. In Augsburg werden auch auf Bankcouverts mit #NMMO-Tipps bedruckt. Aber ist es denn wirklich der beste Rat, sofort aufzulegen? "Das ist ein zweischneidiges Schwert", sagt Maximilian Basser, Polizeisprecher in Unterfranken. "Bei uns überwiegt der Gedanke, die Angerufenen und ihr Geld in jedem Fall zu schützen. Da ist es am sichersten, aufzulegen." Diejenigen, die so gewieft seien, dass sie das Spiel der Betrüger durchschauen und mitspielen, um parallel die 110 zu wählen, seien ohnehin nicht Zielgruppe der Kampagne, so Basser.

"Jetzt muss ich in allem kürzertreten", erzählt die geprellte Seniorin bei Gericht

Gertrud H. übergab am 18. Mai 2021 einer unbekannten Person 23 000 Euro. "Ich spare, seit ich denken kann, auf dieses Geld, hab' mir mein Lebtag nie etwas gegönnt. Ich konnte mir an dem Tag kein Brot mehr kaufen, weil ich denen den letzten Cent mitgegeben habe", sagt sie in Traunstein aus. Auch Anneliese F. macht sich Vorwürfe, dass sie sich so hat täuschen lassen. "Ich habe ja nur noch meinen Sohn. Das haben die knallhart ausgenutzt. Jetzt muss ich in allem kürzertreten." Das Loch im Geldbeutel ist das eine. Doch auch der psychische Schock steckt allen drei Frauen, die am vergangenen Montag in Traunstein vorsprechen, noch in den Knochen. Anneliese F. sagt, noch täglich an das Horrorszenario zurückzudenken. Gertrud H. klagt seither über innere Unruhe, starken Juckreiz und pelzige Hände. H. wurde sogar bereits zum zweiten Mal mit dem Enkeltrick betrogen. Damals konnte ihr Sohn gerade noch verhindern, dass sie einem vermeintlichen Neffen Geld überwies. "Wir haben ihr jetzt das Festnetztelefon abgestellt und ein Handy eingerichtet", sagt ihre Schwiegertochter nach dem Prozess.

Der Erfolg der Präventionskampagnen ist schwer zu bemessen, doch stellenweise zeigen sich schon Erfolge. Im Raum Augsburg hatte eine Frau in diesem Jahr auf Anweisung eines Betrügers am Telefon bereits Geld von der Bank abgehoben. Auf dem Heimweg las sie die #NMMO-Tipps auf dem Couvert. Den Umschlag mit 30 000 Euro übergab sie nicht in kriminelle Hände, sondern verständigte stattdessen die Polizei. In der Regel müssen die Strippenzieher dieser Netzwerke ihren Opfern nicht in die Augen schauen. Sie rufen oftmals aus dem Ausland an und delegieren Fahrer, die Geldpäckchen entgegenzunehmen. Auch mit der Angeklagten des Prozesses in Traunstein ist nur ein kleiner Fisch ins Netz gegangen. "Hoffentlich müssen Sie lange unter diesem Fehler leiden", sagt Anneliese F. zu der Angeklagten und schiebt ihren Rollator Richtung Ausgang des Sitzungssaals 136.

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