Salzburger Festspiele:Für ein inneres Lächeln

Salzburger Festspiele: Man muss, wie so oft bei Trifonov, an musikalische Urinstinkte glauben.

Man muss, wie so oft bei Trifonov, an musikalische Urinstinkte glauben.

(Foto: Marco Borrelli/SF)

Der Pianist Daniil Trifonov erforscht im Großen Festspielhaus von Salzburg die vielfältigen Anfänge der Moderne. Und erschafft einen ganzen Kosmos.

Von Helmut Mauró

Der Klavierabend von Daniil Trifonov im Großen Festspielhaus von Salzburg zeigt vor allem eines: wie unterschiedlich die Komponisten des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts in die Zukunft blickten. Vom konservativen Johannes Brahms bis zum verspielt avantgardistischen Sergei Prokofjew spannt Trifonov den Bogen, beginnend mit der dritten Klaviersonate des bedeutenden polnischen Komponisten Karol Szymanowski. Diese Sonate sprengt Grenzen, und ist doch ganz auf sich selber konzentriert, schafft einen hochkomplexen Kosmos aus Hoffnung, Trauer, Schmerz und Exstase. Für einen Pianisten wie Trifonov ein Geschenk. Hier kann er alle möglichen Facetten pianistischen Ausdrucks durchleben und spielend mitteilen.

Szymanowski, 1882 in der heutigen Ukraine geboren, hatte sich der Künstlergruppe "Junges Polen" angeschlossen, die über alle Sparten hinweg um 1900 einen Aufbruch in die Moderne wagte. Die besondere Vorliebe galt dabei auch in der Musik den gesamteuropäischen Strömungen des Symbolismus und Impressionismus. Jedenfalls wäre es verfehlt, hier einfach nur eine spät- oder neoromantische Strömung sehen zu wollen. Und so feingliedrig und sprechend, wie Trifonov diese technisch höchst anspruchsvolle Sonate in ihren Details erforscht und sinnstiftend zusammenfügt, wird man dieser Gefahr auch nicht erliegen.

Szymanowskis Musik versteht sich nicht als Gegenpol, als Anti-Romantik

Im Gegenteil, man wird wieder einmal daran erinnert, welche avantgardistischen Strömungen vor dem Ersten Weltkrieg und danach die europäische Moderne prägten. Dass es keineswegs nur eine Richtung gab, auch wenn viele heute vergessen sind. Es ist ein Unglück, dass, nicht zuletzt durch den Philosophen und Musikliebhaber Theodor W. Adorno, einzig die atonale serielle Moderne so sehr in den Vordergrund gerückt wurde, dass sie vielen als einzige lineare Fortentwicklung der Musikgeschichte gilt - die sie oft nicht mehr mitvollziehen können. Szymanowski bietet da eine Alternative. Man kann seine Werke mit den an Barock, Klassik und Romantik geschulten Ohren hören und versteht doch sofort, dass es eine neue Musik ist, die eine eigene Ausdruckskraft entwickelt. Vor allem aber, dass sie sich nicht als Gegenpol versteht, als Anti-Romantik, die sich oft genug darin erschöpft, verständliche Harmonieverläufe zu meiden und die Veränderung der Hörgewohnheiten zu propagieren.

Das läuft heute, da die Anzahl der Menschen mit trainierten Hörgewohnheiten schwindet, weitgehend ins Leere. Deshalb haben einige zeitgenössische Tonschöpfer ihre Kompositionsgewohnheiten geändert und deshalb suchen Veranstalter und Künstler auch wieder nach anderen Quellen der Moderne. Davon gibt es reichlich, und man kann sich nur wünschen, dass die Komponisten östlich der Oder nicht nur aus aktuellem politischen Anlass wieder mehr Gehör finden, sondern als fester Bestandteil einer neu zu entdeckenden historischen Moderne. Denn die war nicht nur in Malerei und Literatur höchst spannend, sondern gerade in den vielfältigen musikalischen Strömungen.

Auch in Claude Debussy, so präsent er auf den Konzertbühnen ist, gibt es Wesentliches neu zu verstehen, wie Trifonov in der kleinen Suite "Pour le piano" darlegt. Das Besondere, das Schwierige in Debussys Klaviermusik ist ja, eine exakte Balance herzustellen zwischen fast schon übertriebener Detailklarheit und impressionistischem Stimmungsnebel. Ein dialektischer Spagat, der selten gelingt und noch seltener so überzeugend, dass man, wie so oft bei Trifonov, an musikalische Urinstinkte glauben muss. Auf der Bühne hört man nichts von alldem, was an Arbeit und Erfahrung dahinter steht und kann sich ganz auf das Stück konzentrieren, das eine Traumsprache spricht aus scheinbar Konkretem, das sich jedem Versuch, danach zu greifen und es festzubinden, sofort elegant entzieht. Mal kokett sich entwindend, mal furienhaft davonstiebend. Wie Trifonov immer wieder neue Klangfarben aus diesem Stück herausholt, erstaunt dann doch. Ein normaler Pianist wäre mit der Erfüllung der spieltechnischen Virtuositätsansprüche mehr als ausgelastet.

Trifonov spielt Brahms fast spröde, vermeidet jeden Anflug von Sentimentalität

Noch spielerischer geht Trifonov die "Sarkasmen" Sergej Prokofjews an, die der Pianist offenbar weniger in der mystischen Tradition etwa Alexander Skrjabins versteht denn als ganz unprogrammatische Visionen des vor Ideen übersprudelnden Musikerzählers Prokofjew. Der liebt das rhythmisch kraftvolle Spiel, den markanten Rhythmus, das kraftvolle musikalische Muskelspiel - und immer mit einem Hauch von Ironie durchzogen, nie brutal, immer empathisch. Trifonov hat daran seine Freude, stellt das Koboldhafte heraus. Das eigentliche, das musikalische Virtuosentum Trifonovs zeigt sich hier vor allem darin, wie er die eng verwobenen Einzelstimmen als individuelle Charaktere aufleben lässt. Nicht nur dadurch, dass er sie unterschiedlich akzentuiert, sondern viel wirkungsvoller dadurch, dass er jede Melodielinie, auch jede Mittelstimme klanglich unterschiedlich einfärbt. Aber bei allem Ernst, mit dem Trifonov hier zu dennoch Werke geht, spürt man auch ein inneres Lächeln.

Wie weit entfernt erscheint danach die f-Moll-Sonate op. 5 von Johannes Brahms. Als wäre sie ganz aus der Zeit gefallen, dabei war auch sie einst Aufbruch. Trifonov spielt sie fast spröde, vermeidet jeden Anflug von Sentimentalität, zu der die Klangwelt von Brahms verleitet. Er verweigert den süßlichen Ton wie auch das donnernde Maestoso, hält sich extrem zurück, leuchtet nur den Hintergrund aus - alles Vordergründige ist zweitrangig geworden. Das Andante beginnt er in lapidarem Tonfall, gleichwohl lyrisch sprechend: Brahms ohne Erdenschwere, plötzlich unsicher, entrückt. Vor diesem Hintergrund wirkt die Zugabe von Bachs Choralbearbeitung "Jesu meine Freude" sehr irdisch. Das Publikum fordert heftig applaudierend mehr, aber was soll man danach spielen, ohne das Vorhergehende dadurch zu banalisieren?

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