Tierheime:Ein Labrador namens Cem

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Cem Özdemir, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, beim Besuch im Tierheim Falkensee, hier mit einem Hund namens Sunny. (Foto: Carsten Koall/dpa)

Landwirtschaftsminister Özdemir lässt sich in Brandenburg die Sorgen der Auffangstationen und ihre Angst vor dem Winter schildern.

Von Sophie Kobel, Dallgow-Döberitz

Während Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) durch das Katzenhaus des Tierheims Falkensee in Brandenburg geführt wird, bindet jemand unbemerkt einen Labrador an einem Baum vor der Einrichtung an. Und geht. Vielleicht wurde auch dieses Tier während der Pandemie aufgenommen und stört, jetzt, wo das normale Leben zurück ist. Oder die Kosten für Tierarzt, Futter und Betreuung waren einfach zu viel, weil die Halter gerade selbst kaum über die Runden kommen.

Die genauen Gründe werden Tierheimleiterin und Vereinsvorsitzende Heike Wegner und ihr Team wohl nie erfahren. Aber sie haben über die Jahre gelernt, wieso Menschen ihre Haustiere aussetzen oder abgeben. In den letzten 72 Stunden waren es alleine in dem Falkenseer Heim sieben Tiere. Darum ist der heutige Besuch des Bundesministers auch so wichtig für sie. Ihre Botschaft an Özdemir an diesem Montagnachmittag ist klar: Sie haben Angst vor dem kommenden Winter.

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Die Menschen, so fürchten die Tierschützer, müssen jetzt erst schauen, wo sie selbst bleiben

Der grüne Landwirtschaftsminister steht in Jeans und T-Shirt in dem gefliesten Flachbau des Tierheims und schaut durch ein Fenster auf eine einäugige Katze. Seit April ist sie hier, finanziert werden kann ihr Leben und das der anderen 100 Tiere nur dank Spenden. Ob die während Corona zurückgegangen seien? Na ja, sagt Wegner, nicht wesentlich. Aber das werde sich wohl ändern, weil "die "Menschen durch die Inflation jetzt erst mal schauen müssen, wo sie selbst bleiben".

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Es ist eine harte Situation für Tierheime in ganz Deutschland. Die Preise für Tierfutter steigen immer mehr und wenn es kälter wird, wissen viele Heime nicht, wie sie die Heizkosten für die meist maroden Gebäude bezahlen sollen. Dazu kommen höhere Kosten für Futter und für Tierärzte durch die geplante Anpassung der Gebührenordnung. Und auch die im Herbst anstehende Anhebung des Mindestlohns trifft die Heime. Im Tierheim Falkensee in Dallgow-Döberitz westlich von Berlin heißt das wohl, dass einer von vier Angestellten entlassen werden muss. Das bedeutet dann entsprechend mehr Arbeit für die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer.

Womöglich muss bald die Hälfte der Tierheime einen Aufnahmestopp verhängen

Schon seit Beginn der Pandemie fordert der Deutsche Tierschutzbund, die Haltung von Haustieren zu regulieren, den Onlinehandel mit Tieren zu verbieten und einen verpflichtenden Sachkundenachweis für Tierhalter einzuführen. Viele der Tiere, die als indirekte Corona-Opfer - angeschafft im Lockdown, jetzt lästig geworden - ins Tierheim kommen, sind zudem Welpen aus tierschutzwidrigen Transporten. Sie sind besonders betreuungsintensiv. "Wir rechnen damit, dass Ende des Sommers die Hälfte der deutschen Tierheime einen Aufnahmestopp verhängen müssen", sagt Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbunds. Er freut sich daher sehr über den Besuch von Özdemir.

Die Kosten für Tierärzte und Futter steigen, die Heizkosten für oft marode Gebäude, und auch der ab Herbst höhere Mindestlohn trifft Tierheime wie das in Dallgow-Döberitz hart. (Foto: INA FASSBENDER/AFP)

Der führt einen Hund Gassi, erzählt von seinen eigenen Erfahrungen mit Haustieren und ist von Anfang an per Du mit der Belegschaft des Heims. Der ausgesetzte Labrador heißt jetzt übrigens Cem. Der Minister verspricht, sich einzusetzen bei den Gesprächen mit den Spitzenverbänden. Im neuen Koalitionsvertrag einigte man sich auf eine Verbraucherstiftung, mit Hilfe derer Geld bei den Heimen ankommen soll. Vor 2024 werde das aber wohl nichts. Auch verbesserte Rahmenbedingungen könnten helfen. Bisher drücken sich viele Kommunen vor der finanziellen Unterstützung ihrer Tierheime.

Doch als Landwirtschaftsminister hat Özdemir derzeit noch viele andere Baustellen: Seit Russland die Ukraine überfallen hat, steht auch die europäische Agrarpolitik Kopf. Wo eben noch Flächen geschützt werden sollten, wächst nun der Druck auf zusätzliche Weizenproduktion. Die Afrikanische Schweinepest grassiert im Norden Deutschlands. Und in den deutschen Ställen will Özdemir eigentlich auch noch ausmisten. Doch der Ukraine-Krieg stellt den ökologischen, klimafreundlichen Wandel der Landwirtschaft - für den Özdemir eigentlich breitbeinig steht - an vielen Punkten in aller Härte in Frage.

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