Interview mit Reinhard Bütikofer:"Taiwan wird sehr intensiv attackiert"

Interview mit Reinhard Bütikofer: Xis China stellt unser Werte, unsere Interessen und unsere demokratische Lebensweise infrage: Der Europaabgeordnete (Grüne) und China-Kenner Reinhard Bütikofer.

Xis China stellt unser Werte, unsere Interessen und unsere demokratische Lebensweise infrage: Der Europaabgeordnete (Grüne) und China-Kenner Reinhard Bütikofer.

(Foto: Alain Rolland)

Der Grünen-Politiker Reinhard Bütikofer gehört zu den besten Kennern Chinas im Europäischen Parlament. Im Interview erklärt er, mit welcher Aggressivität Peking vorgeht - und was der Westen aus dem Ukraine-Krieg lernen sollte.

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Jetzt hat sie es tatsächlich getan: Nancy Pelosi, die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, hat taiwanischen Boden betreten. Ihre Reise nach Taipeh ist kein normaler Politikerbesuch. Chinas Führung sieht jedwede diplomatischen Kontakte ausländischer Staaten zu Taiwan als Affront und Angriff auf seine territoriale Integrität. Peking begreift die Insel als Teil Chinas, Präsident Xi Jinping formuliert als eines seiner großen Ziele die Vereinigung mit dem Inselstaat. Der Grünen-Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer, 69, ist ein ausgewiesener Kenner Chinas. Bevor er 2009 nach Straßburg ging, war er sechs Jahre lang Co-Parteichef der Grünen in Deutschland. Im Interview spricht er über eine mögliche Eskalation im Konflikt zwischen China und Taiwan, die von den USA, der EU und der Nato befürchtet wird, weil sie derzeit ohnehin schon sehr gefordert sind mit dem Krieg in der Ukraine.

SZ: Wie gefährlich ist der Konflikt zwischen China und Taiwan?

Reinhard Bütikofer: Der Konflikt geht von Peking aus. Taiwan verfolgt keine aggressive Politik. Tatsächlich besteht ein Fundamentalkonflikt, weil die KP Chinas - seit einigen Jahren zunehmend aggressiv - die chauvinistische Karte spielt, um den Anspruch durchzusetzen, Taiwan auch gegen den Willen der Insel in die Volksrepublik einzuverleiben. Das haben wir Europäer, Japan oder die USA nie akzeptiert. Im Ampel-Koalitionsvertrag heißt es, eine Änderung des Status quo in der Straße von Taiwan dürfe es nur friedlich und im gegenseitigen Einverständnis geben. Der Konflikt würde gefährlicher, wenn Demokratien weltweit darauf verzichteten, Taiwan weiterhin ihrer Solidarität zu versichern.

Ist Taiwan in Gefahr?

Taiwan wird von China sehr intensiv mit verschiedensten Mitteln attackiert, militärische Drohgesten eingeschlossen. Manche Strategen argumentieren, dass in den Jahren zwischen 2027 und 2035 das Risiko einer Invasion vom Festland besonders groß sein werde. Die Gefahr lässt sich einhegen, wenn Peking begreift, dass eine solche Aggression für die Volksrepublik selbst einen sehr hohen Preis hätte.

Warum ist der Besuch von Nancy Pelosi für Peking so heikel?

Peking versucht die Welt an den Gedanken zu gewöhnen, dass eine Eroberung Taiwans unausweichlich sei. Da ist natürlich jede Geste der Verbundenheit und Solidarität im Weg. Aber es ist gerade die Aufgabe demokratischer Parlamente, diese Verbundenheit zu stärken, ohne dabei die Ein-China-Politik aufzugeben oder eine formelle Unabhängigkeitserklärung Taiwans zu unterstützen. Die Vizepräsidentin des Europa-Parlaments, Frau Beer, war gerade in Taiwan. Weitere Mitglieder des EP werden noch dieses Jahr hinreisen. Das ist Teil der Normalität, die Peking revidieren möchte. Peking will seine Definitionsgewalt für die Taiwanfrage durchsetzen.

Gibt es für diesen Konflikt überhaupt eine Lösung?

Der frühere chinesische Staatschef Deng Xiaoping war so klug zu entscheiden, dass die Taiwanfrage, wenn sie in der Gegenwart nicht gelöst werden könne, eben an künftige Generationen weitergegeben werden müsse. Diese Weisheit fehlt Xi Jinping, der sich an der Vorstellung chinesischer Hegemonie in Asien und darüber hinaus berauscht.

Wie groß ist die Gefahr, dass China in Taiwan nachmacht, was Russland gerade in der Ukraine tut?

Grundsätzlich gibt es eine Parallelität: Für Xi ist Chinas künftige Weltgeltung ebenso mit der Kontrolle Taiwans verbunden wie für Putin die Rolle Russlands mit der Kontrolle der Ukraine. Doch kann China derzeit beobachten, wie die ukrainische Demokratie sich wehrt und dafür internationale Solidarität bekommt. Vielleicht macht das die KPCh doch etwas nachdenklich.

Kann die Europäische Union in dieser Lage etwas bewirken?

Militärisch spielen wir bezüglich Taiwans keine Rolle und werden das auch in Zukunft nicht. Aber ökonomisch und politisch bringen wir schon ein Gewicht auf die Waage. Und das sollen wir auch, um China von einem verhängnisvollen Kurs mit abzuschrecken.

Die frühere Kanzlerin Angela Merkel hat immer wieder großes Interesse an China gezeigt, ohne das Thema Taiwan besonders zu betonen. War das besonders schlau oder besonders schlecht?

Frau Merkels Chinapolitik war zu Beginn ihrer Kanzlerschaft nicht hasenherzig, aber zum Ende hin zunehmend ängstlich. Das galt nicht nur für Taiwan. Frau Merkel hat damit ein Ausmaß an Abhängigkeiten gegenüber China zugelassen und beschönigt, das wir jetzt überwinden müssen.

Olaf Scholz lässt eine solche Neugier auf China bislang nicht erkennen. Müsste sich die Bundesregierung nach den Erfahrungen mit dem Ukraine-Konflikt in der Taiwan-Frage deutlicher artikulieren?

Die Bundesregierung ist gerade dabei, ihre Chinastrategie zu erarbeiten. Die wird voraussichtlich im ersten Halbjahr 2023 veröffentlicht. Bis dahin sind klare Stellungnahmen nicht verboten.

Und was wünschen Sie sich?

Dass wir die Lektion lernen, die wir wegen der fossilen Energieabhängigkeit von Russland gerade bitter lernen müssen. Sie sollte uns auch bei der künftigen Chinapolitik leiten. Die Volksrepublik ist unser systemischer Rivale, das ist nicht nur so dahingesagt. Xis China stellt unser Werte, unsere Interessen und unsere demokratische Lebensweise infrage, so hat es die Nato richtig festgestellt.

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