Taiwan-Krise:Chinas Armee übt offenbar die Invasion Taiwans

Taiwan-Krise: Chinesische Helikopter kurz vor massiven Militärübungen in der Nähe Taiwans

Chinesische Helikopter kurz vor massiven Militärübungen in der Nähe Taiwans

(Foto: Hector Retamal/AFP)

In unmittelbarer Nähe der Insel hat Peking begonnen, den Ernstfall zu proben: den Angriff auf die benachbarte Insel. Taiwan hat einen Besuch der Bundestagspräsidentin angeregt.

Von Florian J. Müller

Die chinesische Armee hat als Reaktion auf den Besuch der US-Spitzenpolitikerin Nancy Pelosi in der Hauptstadt Taipeh mit großangelegten Manövern nahe Taiwan begonnen. Es sind die größten Übungen seit mehr als 25 Jahren. Sie sollen bis Sonntag dauern, so heißt es. Marine und Luftstreitkräfte sollen sich beteiligen, geübt wird der Ernstfall mit scharfer Munition. Der Ernstfall, das wäre eine Invasion der demokratisch regierten Insel Taiwan, die Peking als abtrünnige Provinz ansieht.

Die Volksbefreiungsarmee rückt Taiwan dabei so nah auf den Pelz wie noch nie. Die sechs vordefinierten Übungszonen liegen wie ein Ring um die Insel, teils nur wenige Kilometer von der Küste entfernt. Die militärischen Muskelspiele sollen Taiwan und der Welt die neuen Fähigkeiten Chinas unter Beweis stellen. Und die Nationalisten im heimischen Publikum besänftigen, die nach der vermeintlichen Provokation durch Pelosi nach Genugtuung gieren.

Besonders greifbar war die Bedrohung durch China bislang schon auf den Kinmen-Inseln. Sie liegen etwa zwei Kilometer vor der chinesischen Millionenstadt Xiamen, gehören aber zu Taiwan. Bis in die 1970er-Jahre hinein waren sie regelmäßiges Ziel chinesischer Artillerieangriffe. Doch auch nachdem die Angriffe aufgehört hatten, achtete Taiwans Armee argwöhnisch auf jede verdächtige Bewegung auf dem Festland. Dieser Tage lagen die Nerven wieder besonders blank.

Die Nachrichtenagentur Reuters meldete dann am Donnerstag, dass die taiwanischen Streitkräfte bereits am Abend zuvor über den Inseln zwei nicht identifizierte chinesische Flugkörper - wahrscheinlich Drohnen - beobachtet hätten. Sie seien zweimal in das Gebiet eingedrungen, sagte ein Militärvertreter der Nachrichtenagentur. "Wir haben sofort Leuchtraketen gezündet, um sie zu warnen und zu vertreiben. Danach kehrten sie um." Er gehe davon aus, dass die Drohnen dazu dienten, Informationen über Taiwans Sicherheitsmaßnahmen zu sammeln.

Will China Taiwan komplett blockieren?

Das Weiße Haus hatte einem Bericht der Nachrichtenagentur Bloomberg zufolge in den Tagen vor Pelosis Trip noch verzweifelt versucht, die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses von ihren Reiseplänen abzubringen. Als klar wurde, dass diese nicht auf die Bedenken des US-Präsidenten Joe Biden hören würde, brieften Diplomaten demnach die chinesische Botschaft in Washington. Die Botschaft an Peking lautete: Biden wünscht keine Eskalation des Konflikts mit China.

Den Preis für den Alleingang von Pelosi muss nun Taiwan zahlen. China hat Airlines davor gewarnt, den Luftraum um die Insel während der Übungen anzufliegen, und Schiffe sollen die Sperrzonen meiden. Die taiwanische Regierung befürchtet, dass China versuchen könnte, die Insel komplett zu blockieren.

Der taiwanische internationale Flughafen Taoyuan hat wegen der Übungen für Donnerstag bereits etwa 50 Flüge abgesagt. Ankommende und startende Flugzeuge sollen während der Übungen zudem alternative Routen über Japan und die Philippinen nutzen, sagte Taiwans Verkehrsminister Wang Kwo-tsai.

Es werden auch Behinderungen für den Schiffsverkehr in der Taiwanstraße, einem der am meisten befahrenen Wasserwege der Welt, befürchtet. Verkehrsminister Wang gibt jedoch Entwarnung. Schiffe würden die von China angekündigten Sperrzonen umgehen können, sagte er. "Die Schifffahrt unterscheidet sich vom Flugverkehr, da es keine feste Route gibt - sie ist freier", erklärte Wang. Schon bei vergangenen Militär-Drills hätten die Umleitungen gut funktioniert.

Blockade der Taiwanstraße hätte empfindliche Folgen

Auch die großen sieben Industrienationen der westlichen Welt (G 7) sind besorgt über Chinas Verhalten. In einer gemeinsamen Stellungnahme der Außenminister heißt es mit Blick auf Pelosis Taiwan-Abstecher: "Es gibt keinen Grund dafür, einen Besuch als Vorwand für aggressive militärische Aktivitäten in der Taiwanstraße zu benutzen." Deutschland führt in der Siebenergruppe derzeit den Vorsitz, zu ihr gehören auch Frankreich, Großbritannien, Italien, die USA, Kanada und Japan.

Angesichts Taiwans wirtschaftlicher Bedeutung für die Lieferketten warnt auch die deutsche Exportwirtschaft vor einer weiteren Eskalation des Konflikts. "Taiwan ist durch seine Elektro- und Halbleiterindustrie ein wichtiger Bestandteil in vielen Sektoren der Weltwirtschaft", sagte der Präsident des Groß- und Außenhandelsverbands BGA, Dirk Jandura, der Rheinischen Post. Eine weitere Verschärfung des Konflikts zwischen den USA und China hätte weitreichende Folgen. "In unserer hochtechnologischen Welt ist in nahezu jedem Elektronikprodukt ein Bestandteil aus Taiwan verbaut. Das reicht von Laptops, Smartphones, Autos, Waschmaschinen bis hin zu einfachen Leuchtmitteln."

Taiwans Chip-Konzern TSMC steht für mehr als die Hälfte der weltweiten Auftragsproduktion an Halbleitern. Die meisten Fabriken stehen in Taiwan und China, eine Blockade der Taiwanstraße würde den globalen Nachschub empfindlich einschränken.

Jandura rief daher alle Beteiligten zur Zurückhaltung auf. "Angesichts der derzeitigen geopolitischen Instabilitäten halten wir es für zielführender, auf Provokationen zu verzichten", sagte er weiter. "Das Letzte, was wir brauchen, ist eine weitere Eskalation des Konflikts und Verschlechterung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen zwei unserer nach wie vor wichtigsten Handelspartner: USA und China."

Taiwan-Reise von deutschen Abgeordneten?

Auf Provokationen verzichten? Die taiwanische Regierung teilt diese Ansicht offenbar nicht unbedingt. Der Repräsentant in Deutschland, Shieh Jhy-wey, regt eine Reise von Bundestagsabgeordneten unter Leitung von Parlamentspräsidentin Bärbel Bas nach Taipeh an. "Die Hemmungen, nach Taiwan zu reisen, müssen fallen", sagte Shieh dem Tagesspiegel. Eine solche Reise solle nicht von den Fraktionen ausgehen, sondern vom Bundestag als solchem - "als eigenständigem legislativen Staatsorgan, das das Volk vertritt und nicht der Regierung untersteht".

Mit dieser Begründung hatte auch US-Politikerin Pelosi ihre Taiwan-Reise durchgesetzt. Die deutsche Bundesregierung stärkt Taiwan im aktuellen Konflikt zwar diplomatisch den Rücken, ob sie gegenüber einer Reise von Abgeordneten nach Taipeh aber aufgeschlossener wäre als das Weiße Haus bei Pelosis Plänen, ist jedoch fraglich.

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