Dokumentation über die Kabul-Luftbrücke:"Von den Ausreisewünschen dürfen die Taliban nichts wissen"

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Sie haben einen Platz bekommen: Eine Mutter und ihr Kind warten im August 2021 am Flughafen Kabul darauf, eine US-Militärmaschine besteigen zu können, die sie außer Landes fliegt. (Foto: Donald R. Allen/U.S. Air Force/Getty Images)

Immer noch sitzen Menschen ohne Hoffnung auf eine Ausreise in Afghanistan fest. Die "Kabul Luftbrücke" möchte das ändern und führt selbst waghalsige Evakuierungen durch.

Interview von Julia Brader

Seit die Taliban in Kabul vor einem Jahr die Macht übernommen haben, leben dort viele Menschen - Erwachsene ebenso wie Kinder - mit der ständigen Angst um ihr Leben. Journalisten aus aller Welt haben daher beschlossen, gefährdeten Menschen vor Ort zur Flucht zu verhelfen. Die Produzentin Antje Boehmert hat in Zusammenarbeit mit Roland Rist und Vanessa Schlesier eine dokumentarische Serie über die Arbeit der "Kabul Luftbrücke" gemacht. Der Vierteiler ist in der ARD-Mediathek zu sehen.

SZ: Als Kabul fiel und die "Luftbrücke" eilig mit ihrer Arbeit begann, gab es da von Anfang an den Impuls, die Rettungsmission mit der Kamera zu begleiten?

Antje Boehmert: Ja und nein. Die Idee zu einer dokumentarischen Serie kam tatsächlich erst in diesem Jahr. Die Co-Autorin, Vanessa Schlesier, hat damals, als sich die Ereignisse überschlagen haben, aber von Anfang an gedreht. Im Laufe der Produktion haben wir noch weiteres Material lizenzieren können - und Vanessa Schlesier war auch immer wieder auf Drehreise in Kabul.

Das Land wollen ja vor allem Gegner der Taliban verlassen - und das aus Sicherheitsgründen eher heimlich. Stören da Kameras nicht?

Prinzipiell bestand unser Team in Kabul aus einer Person: Vanessa Schlesier, ohne Kamera- oder Tonperson. Und wenn sie Familien besucht hat, dann immer mit großer Vorsicht und sehr guter Vorbereitung. Im Film zeigen wir nur zwei Evakuierungen, die Bilder dazu haben wir unter anderem mit kleinen Go-Pro-Kameras im Bus gedreht. Das war völlig unverdächtig, weil heutzutage jeder Busfahrer, jeder Taxifahrer so eine Kamera hat. Und wir haben auch mit einer Knopfkamera gefilmt, die Vanessa unter ihrer traditionellen Kleidung getragen hat.

Antje Boehmert, 1978 in Duisburg geboren, studierte Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften in Köln. Sie arbeitete als freie Producerin und Regisseurin in Washington, D.C., München und Berlin und gründete 2011 die Docdays Productions, wo sie die Entstehung von internationalen Kino-, TV- und Webproduktionen betreut. Für ihre Arbeit erhielt sie den Deutschen Fernsehpreis und den Grimme-Preis. (Foto: privat)

Als Ausländerin fiel sie aber wohl dennoch auf.

Vanessa Schlesier war als Journalistin akkreditiert. Sie hatte alle Papiere, die man haben muss, um als Europäerin in Afghanistan zu drehen, konnte ganz normal einreisen und arbeiten. Trotzdem durften die Taliban natürlich nicht mitbekommen, dass sie Kontakt zu Menschen hat, die das Land verlassen möchten.

Wie reagieren die Taliban Journalisten aus dem Ausland gegenüber?

Den neuen Machthabern in Afghanistan war es zunächst wichtig, ihre Lüge von einem sicheren, heilen, befriedeten Afghanistan zu kolportieren. Deshalb mussten sie zu Menschen aus dem Ausland erst einmal freundlich sein. Diese Scharade bringt für Journalistinnen aus dem Ausland den Vorteil, dass diese sich mehr oder weniger freier bewegen können. Dabei sollten wir aber eines nicht übersehen: wie es den Kolleginnen und Kollegen geht, die einen afghanischen Ausweis haben. Für sie ist ihre Arbeit nahezu unmöglich geworden.

Laufen die Bemühungen zur Evakuierung durch die "Kabul Luftbrücke" weiter?

Es ist aus meiner Sicht unumstritten, dass noch Zehntausende in Afghanistan sind, die das Land eigentlich verlassen müssten. Wir nähern uns dem Jahrestag des Sieges der Taliban - und weder die Arbeit der Kabul Luftbrücke ist getan noch die Hausaufgaben, die die deutsche Regierung machen sollte: Sie strickt an einem Bundesaufnahmeprogramm. Gefährdete Menschen müssen die Möglichkeit haben, Afghanistan verlassen zu können. In Zukunft hoffentlich im Rahmen eines Aufnahmeprogramms.

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