Missbrauch in der Kirche:"Die Entscheidung, nicht mehr Opfer zu sein"

Missbrauch in der Kirche: Michaela Huber ist die Vorsitzende der Aufarbeitungskommission für die Missbrauchsfälle im Erzbistum München.

Michaela Huber ist die Vorsitzende der Aufarbeitungskommission für die Missbrauchsfälle im Erzbistum München.

(Foto: Robert Haas)

Michaela Huber will Betroffene von Missbrauch ermutigen, aktiv für ihre Belange einzutreten. Die Sprecherin der Aufarbeitungskommission lobt das Münchner Erzbistum für die neuen Hilfsangebote, doch etwas fehlt ihr noch.

Von Bernd Kastner

Ein Ziel fasst Michaela Huber so zusammen: "Wir wollen wissen, was die Betroffenen wollen." Huber meint Menschen, die Missbrauch in der katholischen Kirche erlitten haben, sie selbst ist die Sprecherin der Aufarbeitungskommission der Münchner Erzdiözese. Sie meint den "Tag der Begegnung" für Betroffene am 23. September, die erste öffentliche Veranstaltung der Kommission. Es dürfte eine Gratwanderung werden. Sich als Betroffene in einem größeren Kreis zu erkennen zu geben, erfordert Mut. Zugleich besteht das Risiko, dass Erwartungen enttäuscht werden.

Allzu oft haben Betroffene den Kontakt mit der Kirche als enttäuschend, bisweilen verletzend und erneut traumatisierend erlebt. Die Kommission, sagt Huber, erhoffe sich in Folge der Veranstaltung, dass sich der Kontakt zwischen Betroffenen und der Diözese intensiviere, und dass sich Betroffene untereinander vernetzen. Man wolle sie dabei unterstützen, eine Entscheidung zu treffen: "Die Entscheidung, nicht mehr Opfer zu sein, sondern selbst aktiv zu handeln."

Vor knapp eineinhalb Jahren hat sich neben dem Betroffenenbeirat die Kommission konstituiert, ihr gehören Fachleute unterschiedlicher Profession an, ein Kinder- und Jugendpsychiater beispielsweise und ein Jurist; Huber selbst ist Psychologin und Supervisorin. In anderen Bistümern seien diese Gremien noch damit beschäftigt, Untersuchungen anzuschieben, sagt Huber. Diese Aufgabe ist in München erledigt, im Januar hat die Kanzlei Wastl Spilker Westpfahl ihr Missbrauchs-Gutachten veröffentlicht.

Seither weiß man noch mehr über interne Macht- und Vertuschungsstrukturen im Erzbistum München und Freising, und dass viele Beschuldigte unbehelligt blieben. Ein paar weiße Flecken in der Erzdiözese gebe es noch, sagt Huber, etwa die Vergangenheit des Studienseminars der Erzdiözese in Traunstein. Dessen werde sich die Kommission vermutlich annehmen.

Auch Erzbischof Reinhard Marx hat sein Kommen zugesagt

Wo sind die Menschen heute, die den Missbrauch erlitten haben? Es sind Hunderte, davon ist der Diözese nur ein kleiner Teil namentlich bekannt. Huber hofft, einige aus dem "Dunkelfeld" zu motivieren, sich in den Austausch zu begeben, um für ihre Belange einzustehen. Beim Tag der Begegnung sind keine Pressevertreter zugelassen, man achte auf einen geschützten Rahmen, Betroffene müssen sich namentlich anmelden. "Es muss für die Betroffenen ein guter Tag werden, nicht für die Öffentlichkeit", sagt Huber. Für den Fall, dass es Betroffenen nicht gut geht, habe man vorgesorgt: Es stünden Fachleute bereit für stützende Gespräche. Auch Erzbischof Reinhard Marx hat sein Kommen zugesagt. Mit ihm sollen kurze Gespräche in kleiner Runde möglich sein, man könne sich auch für einen separaten Termin bei ihm vormerken lassen.

In Zeiten, da die katholische Kirche von einem Missbrauchsgutachten zum nächsten taumelt, lobt die Sprecherin der Münchner Kommission das Erzbistum: Sie sei zufrieden mit dem, was das Ordinariat für Betroffene tue. Es habe inzwischen ein gutes Hilfenetz geknüpft: In einer Stabstelle findet sich eine Anlauf- und Beratungsstelle, auch Seelsorge wird angeboten, und es gibt drei Ansprechpersonen, die unabhängig von der Kirche agieren könnten.

Betroffene könnten sich auch an externe Stellen wenden, es gebe Kooperationsverträge der Kirche etwa mit Wildwasser und einer universitären Traumaambulanz. Huber ärgert sich zwar, dass die Verantwortlichen der Erzdiözese in der Vergangenheit "manchmal etwas dilettantisch" vorgegangen seien im Bemühen, Betroffenen zu helfen. Inzwischen aber habe sich vieles verbessert: "Man läuft offene Türen ein."

Unzufrieden dagegen ist sie mit einer Einrichtung auf der Ebene der Deutschen Bischofskonferenz, der "Unabhängigen Kommission für Anerkennungsleistungen". Diese entscheidet über die Höhe von Entschädigungszahlungen. Wer bekommt wieviel Geld? Wie werden Taten gewichtet, wie ihre Folgen? Die Entscheidungskriterien seien völlig intransparent, kritisiert Huber, "das geht überhaupt nicht". Und die bisher ausgezahlten Summen seien auffallend gering und lägen meist deutlich unter dem Höchstbetrag von 50 000 Euro.

Michaela Huber wünscht sich einen Gedenk- und Erinnerungsort

Die Kommission versteht sich als eine Art Kontrollinstanz der Diözese: Auf Basis der Empfehlungen im Missbrauchsgutachten wolle man bestimmte Probleme in den Fokus nehmen. Wie in der Priesterausbildung das Thema Sexualität integriert werde, wie die Kirche mit noch lebenden Tätern umgehe, oder wie die Aufarbeitung in Pfarreien laufe, wo Missbrauch geschehen ist.

Jenseits der Kontrolle schwebt Michaela Huber ein neuartiges Projekt vor: Ein Gedenk- und Erinnerungsort. Sie denkt an ein speziell gestaltetes Bauwerk, in dem über Strukturen informiert wird, die diese Verbrechen und das spätere Vertuschen ermöglichten. Ein Ort solle es sein, sagt Huber, an dem Besucherinnen und Besucher sehen, hören und lesen, was Betroffene sagen, denken, empfinden. Zugleich sollten dort Betroffene einen Teil ihrer Last zurücklassen können.

Derzeit werde diese Idee noch auf Ebene der bayerischen Bistümer diskutiert, Huber hofft auf die Unterstützung von Erzbischof Marx. Die Kirche, sagt Michaela Huber, werde sich wohl auf alle Zeiten damit beschäftigen müssen, was Kirchenleute Menschen angetan haben, und wie die Institution die Täter geschützt habe. Dieses Kapitel gehöre genauso zur dunklen Geschichte der katholischen Kirche wie Hexenverbrennungen und Kreuzzüge. "Es wird nie vorbei sein."

Weitere Informationen zum "Tag der Begegnung" am Freitag, 23. September, 14 bis 17 Uhr, gibt es im Internet unter www.erzbistum-muenchen.de. Anmeldung bis 9. September. Die Beratungsstelle der Erzdiözese für Betroffene sexuellen Missbrauchs ist zu erreichen unter 089/2137-77 000.

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