Lieblingsdings:Verspieltheit vergangener Tage

Lieblingsdings: Jazzschlagzeuger, Chansonnier und Musiksalon-Gastgeber: Stefan Noelle.

Jazzschlagzeuger, Chansonnier und Musiksalon-Gastgeber: Stefan Noelle.

(Foto: Catherina Hess)

Stefan Noelle ist entzückt, was jemand für so einen profanen Vorgang wie das Aufspießen von Früchten in einer Bowle ausgetüftelt hat. Der Musiker hat das sogar im Video zu einem frühen Song verarbeitet.

Von Oliver Hochkeppel, München

Mit seinem typisch verschmitzten Lächeln wartet Stefan Noelle auf die Frage, was in aller Welt das denn ist, das er da mitgebracht hat. Und genießt sichtlich stolz seine Antwort: "Das original WMF-Bowle-Spieß-Set aus den Sechzigerjahren!" Wie winzige Degen stecken da sechs Spießchen halbkreisförmig in einem Träger, jedes am Kopf mit einer anderen Farbe handlackiert. "Das Set stammt aus dem Schrank meiner Großeltern in Altroggenrahmede im Sauerland, wo auch eine Schnaps-Pinne aus Glas und solche Sachen standen. Zu diesem Ensemble gehörten auch diese Bowle-Spieße. Mich hat dieses Set immer fasziniert. Schon als kleines Kind wollte ich mit diesen Dingern spielen - was ich natürlich nicht durfte. Was mich heute fasziniert: Dass man sich für so einen profanen Vorgang wie das Aufspießen einer Frucht in einer Bowle so etwas ausdenkt und das dann so ausgetüftelt baut. Das ist für mich ein absurdes Teil."

Lieblingsdings: Nicht nur künstlerische Inspiration, sondern gelegentlich auch im Gebrauch: die Bowle-Spieße aus den Sechzigerjahren.

Nicht nur künstlerische Inspiration, sondern gelegentlich auch im Gebrauch: die Bowle-Spieße aus den Sechzigerjahren.

(Foto: Catherina Hess)

Es ist vermutlich kein Zufall, dass sich dieses Kuriosum in Noelles Familie findet: "Das Rahmede-Tal, wo meine väterliche Linie herkommt, war einst die Hochburg von Metallbetrieben: Der Stahl aus dem Ruhrgebiet wurde hier in kleinen Klitschen verarbeitet. Mein Opa war Werkzeugmacher, technischer Leiter in einer Drahtzieherei. Vielleicht war das sogar mal ein Geschenk für irgendein Jubiläum seiner Betriebszugehörigkeit, der Bezug ist ja da. Oder seine Firma hat WMF womöglich sogar den Draht für diese Dinger geliefert. Was weiß denn ich?" Aber auch Noelles Faszination kommt nicht von ungefähr: Seit seiner Jugend ist er als Jazzschlagzeuger und Perkussionist unterwegs, als präziser Taktgeber zahlloser Bands wie auch bei Theaterproduktionen und als Musiksalon-Gastgeber. Zusätzlich hat er sich - mit dem Kult-Duo Unsere Lieblinge als Brücke - vor zehn, zwölf Jahren als Chansonnier neu erfunden. Und sich auch in diesem Fach als einer der genauesten Sprachziseleure erwiesen.

So stehen diese Bowle-Spieße für Noelle neben der Erinnerung an seine Großeltern und seine Jugend auch als Symbol für Präzision und L'art pour l'art. Für "so eine schräge Verspieltheit, für heiteren Genuss aus einer Zeit, die es längst nicht mehr gibt", wie er findet. "Die sind ,Made in Germany' im alten Sinne." Was nicht heißt, dass sie nur ein Museumsstück sind, nein, Noelle nimmt sie regelmäßig in Betrieb, jedenfalls ein, zwei Mal im Jahr. "Das Set war auch heuer schon in Gebrauch", erzählt er.

Sogar als künstlerische Inspiration diente es bereits: "Erdbeerbowle", einer seiner frühesten Songs, zeugt davon, die Spieße sind auch im dazu entstandenen Musik-Video zu sehen. Und auf dem demnächst erscheinenden neuen Album "Wie es mich zieht" - wobei Album untertrieben ist: CD und Vinyl stecken in einem umfangreichen Fotobuch mit grandiosen Bildern von Lena Semmelroggen im LP-Format, passend zu Noelles Ambition, diverse Granden der Münchner Musikszene im Studio zu versammeln, gibt es zwei Stücke, die zu seinem Lieblingsding und seiner Herkunft Bezug haben: "Damals auf dem Dorf" und "Mon Cherie".

Der neue Minimalismus, also der Trend, sich von allem Unnötigen zu trennen, ist ohnehin Noelles Sache nicht: "Ich bin generell ein Aufheber und muss kucken, dass das nicht überhandnimmt. Nur: Mit solchen Gegenständen tut sich eine Welt von Assoziationen auf. Ohne sie ist das Leben ärmer. Fotos davon sind kein Ersatz. Es muss schon das Original sein." Die Bowle-Spieße gehören schon länger zu Noelles Welt, als er sich erinnern kann: "Ich weiß gar nicht mehr, wann das aus dem Schrank meiner Großeltern zu mir gewandert ist. Aber schon lange vor dem Tod meiner Großmutter 2006." Womöglich hat das Set ja bereits einen hohen Sammlerwert und würde gut bei "Bares für Rares" gehen. Ob er sich bei einem entsprechenden Angebot davon trennen könnte? "Auf keinen Fall!"

Bei "Lieblingsdings" erzählen Menschen, woran ihr Herz hängt, was sie durchs Leben begleitet, ihnen Glück bringt und wovon sie sich niemals trennen würden.

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