Nachhaltigkeit:Ein Beet für jeden Mitarbeiter

Lesezeit: 4 min

Etwa 60 Millionen Euro wird der Umzug in den Viktoria Park in Rahlstedt am nordöstlichen Rand von Hamburg kosten. Simulation: Sund Group (Foto: Sund Group)

In der Pause am Teich sitzen, über wilde Wiesen spazieren oder Gemüse anpflanzen. Wie ein Hamburger Familienunternehmen eine naturnahe Arbeitsumgebung schaffen will.

Von Steffen Uhlmann

Teppichfliesen aus Biomaterialien, Stühle aus Haushaltsabfällen oder Hanf und Harz, Dämm- und Akustikplatten aus Einweg-Plastikflaschen. Das große Dach natürlich begrünt und mit Photovoltaik versehen. Karen Queitsch geht gern bis ins letzte Detail, wenn es um den neuen Firmensitz im Viktoria Gewerbepark in Rahlstedt am nordöstlichen Rand von Hamburg geht.

Queitsch ist Nachfolgerin der Gründerfamilie und als Geschäftsführerin für den Bereich Nachhaltigkeit und Innovation der Sund Holding zuständig. Unter dem Dach der Sund Group agieren drei Unternehmen, die mehr als 4000 Artikel aus den Bereichen Entsorgungs- und Haushaltswirtschaft herstellen - vom Müllsack über den Staubsaugerbeutel bis hin zu Schutzhandschuhen für das Gesundheitswesen.

Mit dem Umzug auf das neue Firmengelände werde ein Ruck durch das Unternehmen und seine Belegschaft gehen, hofft Queitsch. "Und der wird hinsichtlich Firmensitz und Produkte konsequent nachhaltig sein."

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Jedem Mitarbeiter werde man ein kleines Beet anbieten, das er selbständig bewirtschaften könne, sagt Geschäftsführerin Karen Queitsch, die für den Bereich Nachhaltigkeit und Innovation der Sund Holding zuständig ist. (Foto: Sund Group)

Auf der 75 000 Quadratmeter großen Fläche wird neben dem Verwaltungsgebäude ein vollautomatisiertes Hochregallager mit 34 000 Plätzen für Europaletten entstehen. Vom gesamten Gelände, so Queitsch, sei ein Viertel der Fläche für Naherholung und Pausengestaltung vorgesehen. "Es wird Teiche, Grünflächen, Spazierwege und eine große Terrasse für unser Betriebsrestaurant geben."

Besonders stolz ist die Geschäftsführerin auf das geplante "Urban Gardening"-Projekt. "Am neuen Firmenstandort werden etwa 90 der knapp 150 Mitarbeiter unserer Gruppe arbeiten", rechnet sie vor. Jedem werde man nach dem Umzug ein kleines Beet anbieten, das er selbständig bewirtschaften könne - mit dem Anbau von Gemüse, Blumen oder Obst. Zudem werde es wilde Flächen für heimische Pflanzen und für die Ansiedlung von Insekten geben. "Ich schätze mal, dass es kaum einen grüneren Gewerbestandort in Deutschland gibt", vermutet Queitsch und lässt offen, was sie auf ihrem persönlichen Beet anzubauen plant: "Wahrscheinlich", sagt sie, "diverse Küchenkräuter."

Etwa 60 Millionen Euro dürfte der Sund-Gruppe ihr Umzug in den Viktoria Park kosten. Viel Geld für das mittelständische Unternehmen, doch aus Sicht von Queitsch und der operativen Geschäftsführer Martin Klostermann und Clemens Eichler eine unbedingt notwendige Investition. Über die Stadt verstreute Arbeitsplätze, Lager, die aus den Nähten platzten, hätten die Expansion der schnellwachsenden Gruppe behindert, sagt Martin Klostermann, der als Geschäftsführer die Geschicke der Sund-Tochter Deiss führt. "Das ändert sich jetzt, Ende des Jahres ziehen wir um."

Der Sprecher der Geschäftsleitung Martin Klostermann führt die Geschicke der Sund-Tochter Deiss. (Foto: Sund Group)

Für die Geschäftsführung ist der neue Firmensitz auch ein weiterer Beleg, wie es dem Unternehmen gelingt, Ökologie und Ökonomie miteinander zu verbinden. "Dabei gehört Nachhaltigkeit längst zu unserer DNA ", sagt Queitsch. "Das kann man schon von unserer Firmengeschichte ableiten." Schon in den Siebzigerjahren habe man Recyclingmaterial für die Fertigung von Müllsäcken und -beuteln genutzt und gar gebrauchte Kaffeesäcke wieder verwendet, erzählt Queitsch, deren Vater, Claus Seif, einer der Gründerunternehmer ist. "Wenn man so will, sind wir Recycling-Profis von Anfang an."

In den Siebzigerjahren wurden einst aus Nachbarn Geschäftspartner. Damals taten sich Claus Seif, der zuvor schon jahrelang Schablonen für Signiergeräte vertrieben hatte, mit Emil Deiss und seiner gleichnamigen Firma zusammen. Deiss hatte schon seit den frühen Dreißigerjahren Jutesäcke für Kaffee- oder Kakaobohnen gefertigt und vertrieben. Firmengründer Deiss schied später aus Altersgründen aus, Nachfolger Seif wiederum tat sich kurz darauf mit dem Unternehmer Wolfgang Dede zusammen. Gemeinsam gründeten sie die Firma Sund, unter deren Dach die Müllsäcke-Fertigung deutlich hinzugewann. Mit den Jahren stieg man bei Abfallsäcken und Müllbeuteln zum Marktführer in Deutschland, Österreich und der Schweiz auf. Anfang des neuen Jahrtausends wurde aus Sund die Sund Group.

Unter dem Dach der Holding agieren heute neben Deiss noch die Unternehmen Fipp und Bingold. Für Lebensmittelhändler und Drogeriemärkte werden neben Müllbeuteln und -säcken auch Staubsaugerbeutel, Ein- und Mehrweghandschuhe gefertigt. "Alle Sund-Töchter agieren selbständig, haben aber bei Produkten und Märkten etwas miteinander zu tun", sagt Bingold-Chef Eichler. "Sie ergänzen sich einfach wunderbar."

"Man kann hier glücklich werden, eben wie in einer großen Familie", sagt Bingold-Chef Clemens Eichler. (Foto: Sund Group)

Auf mehr als 240 Millionen Euro ist der Umsatz der Gruppe inzwischen angestiegen. Bis 2030 sollen alle Produkte zu 100 Prozent aus Recyclingmaterial oder aus nachwachsenden Rohstoffen gefertigt werden. Auf den Weg dahin will man jedes Jahr mindestens ein innovatives und nachhaltiges Produkt auf den Markt bringen. Mit dem von der Gruppe eingerichteten Entwicklungslabor Sund Lab verfüge man über eine wirksame "Ideenschmiede", sagt Queitsch. "Sie ist schon jetzt die Quelle für viele Produktneuheiten und Umweltschutzmaßnahmen."

Die Anstrengungen für mehr Ressourcen- und Umweltschutz seien notwendig. Käufer meiden Unternehmen ohne klares Nachhaltigkeitskonzept zunehmend, sagt Queitsch. "Und auch Mitarbeiter legen immer mehr Wert darauf, für nachhaltige Unternehmen zu arbeiten - darauf haben wir uns eingestellt."

Die Ergebnisse können sich sehen lassen. Im Nachhaltigkeitsrating der Umweltagentur Ecovadis erhielt die Sund-Tochter Deiss erst unlängst eine Silbermedaille für ihre Kunststoffprodukte. Das Heidelberger Institut für Energie- und Umweltforschung (Ifeu) verlieh den von der Sund-Gruppe angebotenen Naturkautschuklatex-Handschuhen Bestnoten für ihre Umweltverträglichkeit.

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Sund nutzt vermehrt den nachwachsenden Rohstoff Naturkautschuk für ihre Produktion von Einmalhandschuhen für das Gesundheitswesen. Naturkautschuk könne fast komplett kohlendioxidfrei hergestellt werden", sagt Queitsch. Und im Vergleich zur Produktion von herkömmlichen Latexhandschuhen werden nur zehn Prozent der Energie benötigt." Hinzu komme eine bessere Elastizität und bessere Gebrauchseigenschaften der Handschuhe aus Naturkautschuklatex. "Das", findet Queitsch, "rechtfertige auch ihren um zehn Prozent höheren Preis."

Kreisläufe schließen, den Rezyklatanteil weiter erhöhen, verstärkt innovative Materialien einsetzen und dabei haushaltsnahe Abfälle als Rohstoffquelle erschließen sowie insgesamt den Kohlendioxidausstoß drastisch senken - das gesamte Führungsteam um den Sprecher der Geschäftsleitung Martin Klostermann hat ehrgeizige Ziele in puncto Nachhaltigkeit. "Natürlich geht es bei uns auch um Wachstum und Gewinn", sagt Eichler, der nach jahrelanger Arbeit in einem Konzern zum Familienunternehmen Sund gestoßen ist und nun deren Firmenphilosophie genießt.

"Nachhaltigkeit durch Stärke - bei uns wird langfristig gedacht und bei Investitionen nicht auf den schnellen Gewinn gesetzt", sagt er. Das sei sicherlich typisch für viele deutsche Familienunternehmen, glaubt Eichler. Speziell für Sund aber gelte auch Teamarbeit auf Augenhöhe. "Man kann hier glücklich werden, eben wie in einer großen Familie."

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