Justiz:Im Zweifel einen frischen Richter

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Justitia-Statue auf dem Gerechtigkeitsbrunnen in Frankfurt am Main. (Foto: Daniel Reinhardt/dpa)

Warum ein europäisches Gericht ein hessisches Urteil kritisiert.

Von Wolfgang Janisch

Die Justiz arbeitet meist emotionsarm, aber auf zwei Dinge kann sie unwirsch reagieren. Erstens, wenn die Wiederaufnahme rechtskräftig abgeschlossener Prozesse beantragt wird. Und zweitens auf die Behauptung, ein am Urteil beteiligter Richter sei befangen gewesen. Denn beides enthält einen Vorwurf, den die Fachleute fürs Rechtsprechen und mitunter auch fürs Rechthaben schlecht ertragen können: dass sie fehlerhaft gearbeitet hätten.

In Hessen läuft gerade ein Verfahren, in dem beides vorkommt, Befangenheit und Wiederaufnahme. Beziehungsweise: Es läuft eben nicht. Eine 57 Jahre alte Frau soll gemeinsam mit ihrem Geliebten ihren Ehemann umgebracht haben. Es ging um Geld, das Landgericht Darmstadt verurteilte das Pärchen wegen Mordes aus Habgier zu lebenslang. So weit, so nachvollziehbar.

Normalerweise würde man so ein Duo gemeinsam vor Gericht stellen, doch das Landgericht führte zwei getrennte Prozesse. 2011 war der Mann an der Reihe, er soll die tödlichen Schläge ausgeführt haben. Die Frau war nur als Zeugin geladen, aber im Urteil wurde bereits überdeutlich: Das Gericht hielt sie für die Mittäterin. Es sprach dort von der "Rücksichtslosigkeit", mit der alle beide vorgegangen seien. Nicht überraschend, dass 2014 auch die Frau verurteilt wurde, als Drahtzieherin im Hintergrund.

Die Frage ist nun: Hatte die Frau jene faire Chance, die der Rechtsstaat jeder Angeklagten zugesteht? Mit Unschuldsvermutung und allem Drum und Dran? Denn den Vorsitz in ihrem Prozess hatte ein Richter, der schon im ersten Verfahren dabei war. Und da hatte sich das Gericht ungewöhnlich deutlich auf ihre Mittäterschaft festgelegt. Ist so ein Richter befangen? Beginnt die Suche nach der Schuld wirklich bei null, wenn man drei Jahre zuvor schon bei hundert war? Hans Wolfgang Euler, Anwalt der Frau, zog vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, weil er das Recht auf Unparteilichkeit verletzt sah. Und siehe da: Er gewann. Das Mord-Urteil verstoße gegen die Menschenrechtskonvention, weil die Angeklagte "berechtigterweise die Befürchtung haben konnte, dass Richter M. hinsichtlich ihrer Schuld eine vorgefasste Meinung habe".

Ein menschenrechtswidriges Urteil? Da muss die deutsche Justiz wohl nacharbeiten, würde man denken. Tatsächlich steht in der Strafprozessordnung, Urteile des Menschenrechtsgerichtshofs können ein Wiederaufnahmegrund sein. Also nichts wie ran?

Doch die hessischen Gerichte haben eine Wiederaufnahme nun schlankweg abgelehnt. Die Begründung läuft darauf hinaus, dass Angeklagte - Befangenheit hin, Menschenrechte her - nur dann einen neuen Prozess bekommen, wenn sich die Befangenheit auf ihre Verurteilung ausgewirkt habe. Und das müsse der Anwalt erst einmal darlegen, schreibt das Oberlandesgericht Frankfurt. Was schwierig ist: Urteilsberatungen sind vertraulich, deshalb weiß man nicht, wie Richter M. abgestimmt hat.

Wie gesagt: Die Justiz mag Wiederaufnahmeverfahren nicht. Anwalt Euler bereitet schon mal eine weitere Beschwerde vor. Die wird dann nach Karlsruhe gehen, ans Bundesverfassungsgericht.

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