SZ-Serie: Grün im Grau:"Die Huckel tun mir weh"

SZ-Serie: Grün im Grau: Gabi Messerer fährt mit ihrem elektrischen Rollstuhl zum ersten Mal durch den Pasinger Stadtpark.

Gabi Messerer fährt mit ihrem elektrischen Rollstuhl zum ersten Mal durch den Pasinger Stadtpark.

(Foto: Catherina Hess)

Der Pasinger Stadtpark ist von den Behörden als barrierefrei ausgewiesen. Doch wer wie Gabi Messerer im Rollstuhl unterwegs ist, stößt dennoch immer wieder auf Hindernisse.

Von Melanie Strobl

Worauf achten die Münchnerinnen und Münchner, wenn sie durch den Pasinger Stadtpark spazieren? Auf die Baumwipfel, die im Wind schwingen? Auf Kinder, die im Wasser der Würm planschen oder vielleicht auf umherfliegende Insekten? Während die meisten unbeschwert einen Fuß vor den anderen setzen und sich auf die Aussicht konzentrieren, richtet sich Gabi Messerers Blick vor allem auf eines: den Boden.

Es ist ein heißer Vormittag im August, die Rollstuhlfahrerin trägt einen pinkfarbenen Sommerhut und schaut auf jede noch so kleine Steigung auf dem Weg durch den Pasinger Stadtpark. Das Münchner Baureferat bezeichnet die Grünanlage als barrierefrei, denn der Park habe nur sehr geringe Höhenunterschiede und breite, gut ausgebaute Wege. Somit sei er auch für mobilitätseingeschränkte Personen gut nutzbar, heißt es. Gabi Messerer ist an diesem Tag zum ersten Mal in der Pasinger Grünanlage - und sieht es an vielen Stellen anders als die Behörde.

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(Foto: SZ-Karte/Mapcreator/io)

Schon am Hugo-Fey-Weg, wo Messerer in den Pasinger Stadtpark hineinfährt, erkennt sie das erste Problem: Der asphaltierte Weg, der zum Park hinunter führt, sei für viele Rollstuhlfahrer zu steil. Seit 2012 sitzt die 61-Jährige im Rollstuhl. Auf einer Wanderung sei ihr Fuß plötzlich angeschwollen - letztlich habe es sich zu einer Ganzkörperlähmung entwickelt. Der Grund sei unklar, sagt Messerer. Über die vergangenen Jahre habe sich die Lähmung unter anderem durch Krankengymnastik wieder gelöst. Mittlerweile kann Messerer sogar wieder einige Schritte selbst gehen. Die Steigung am Hugo-Fey-Weg sei mit ihrem elektrischen Rollstuhl kein großes Problem - doch anders sehe es für Menschen aus, die in einem manuellen Rollstuhl sitzen: "Die brauchen eine Riesenkraft, um sich da hochzuschieben", sagt Messerer.

In Schrittgeschwindigkeit rollt sie unter schattigen Bäumen weiter in den Park hinein, wo man bereits das Plätschern der Würm hört. Der Bach schlängelt sich durch den etwa 20 Hektar großen Park und bietet vielen Kindern eine willkommene Abkühlung an heißen Sommertagen. Kurz vor einer von Bauzäunen umrandeten Brücke bleibt Messerer stehen. "Die bremsen schon von der Optik her die Rollstuhlfahrer aus", sagt die 61-Jährige, als sie auf das stählerne Geländer schaut, das den Weg über die Brücke fast gänzlich versperrt. Durchgehen kann man nur seitlich am Geländer vorbei - doch das sei für sie zu eng, meint sie.

Und auch die hölzerne Schräge, die zur Brücke hochführt, sei zu steil. Manuelle Rollstühle könne man über die Schwelle kippen, doch diesmal habe sie mit ihrem elektrischen Modell ein Problem. Denn Messerer dürfe damit nur etwa eine Schwelle von bis zu 3,5 Zentimetern Höhe überfahren, erzählt sie. Alles darüber könne zu einem Achsbruch führen. Dann fällt Messerer noch ein Loch im Kopfsteinpflaster auf. Rollstühle mit dünnen Reifen könnten dort sehr schnell hängen bleiben, sagt sie. Auch andere Menschen, die mehr im Rollstuhl liegen als sitzen, hätten an dieser Stelle ein Hindernis: "Ich habe keine Fußstützen und kann schauen, was sich unter mir befindet - aber andere nicht", sagt Messerer. Ein paar Meter weiter findet die Rollstuhlfahrerin dann allerdings eine flachere Brücke ohne Geländer, um die Würm zu überqueren.

SZ-Serie: Grün im Grau: Die Durchfahrt an der Brücke ist zu eng und zu uneben für Rollstuhlfahrer.

Die Durchfahrt an der Brücke ist zu eng und zu uneben für Rollstuhlfahrer.

(Foto: Catherina Hess)
SZ-Serie: Grün im Grau: Gabi Messerer begutachtet die Schwelle zur Brücke.

Gabi Messerer begutachtet die Schwelle zur Brücke.

(Foto: Catherina Hess)

Um Münchner Parkanlagen inklusiv zu gestalten, werden städtische Grünflächen seit 2014 barrierefrei ausgebaut. Als barrierefrei gelte ein Park, wenn bestimmte Kriterien erfüllt seien, schreibt das Baureferat. Zum Beispiel müsse eine Grünanlage gut auffindbar und zugänglich sein, Hauptwege sollten ohne Stufen auskommen und erschütterungsarme Beläge haben. Im Pasinger Stadtpark gibt es viele breite, asphaltierte Wege, die Gabi Messerer lobt. Doch vereinzelt zeigt sie immer wieder auf Löcher oder Schwellen auf dem Boden, die einem Fußgänger kaum auffallen: "Die Huckel tun mir weh", sagt sie. Deshalb halte Messerer beim grauen Asphalt immer Ausschau nach dunklen Stellen - denn die sind für die 61-Jährige ein Zeichen für Unebenheiten.

SZ-Serie: Grün im Grau: Schwellen wie diese sind für Gabi Messerer schmerzhaft.

Schwellen wie diese sind für Gabi Messerer schmerzhaft.

(Foto: Catherina Hess)

Messerer ist an diesem Tag nicht die einzige Rollstuhlfahrerin im Pasinger Stadtpark. Hin und wieder sieht man neben Joggern auch andere Menschen im Rollstuhl auf den Parkwegen. Als Messerer zwischen Sträuchern und Bäumen ein blaues Dixi-Klo entdeckt, fragt sie: "Und wo sind die behindertengerechten Toiletten?" Die gibt es im Pasinger Stadtpark nicht. Auf Nachfrage beim Baureferat heißt es, dass die Stadt München einen Bedarf an öffentlichen Toiletten in der Pasinger Grünanlage nicht habe ermitteln können. Somit gebe es dort keine feststehenden Toiletten - auch keine behindertengerechten, schreibt die Pressestelle. Die nächste öffentliche und barrierefreie Toilette gebe es am Friedhof Pasing.

Seit zwei Jahren gibt es eine barrierefrei zugängliche Fitnessanlage

Insgesamt erstreckt sich der grüne Streifen im Westen Münchens auf etwa 1,5 Kilometern Länge. Der Ursprung des Parks liegt mehrere Jahrzehnte zurück: Er soll aus der Grünanlage des Landschlösschens hervorgegangen sein, die König Maximilian I. im frühen 19. Jahrhundert anlegen ließ. Seit dem 20. Jahrhundert kennen ihn die Münchnerinnen und Münchner als Pasinger Stadtpark. Eine Neuerung auf dem Gelände gab es erst vor zwei Jahren: Am Hugo-Fey-Weg wurde ein Fitness-Parcours errichtet, der auch an diesem Tag Sportler anzieht. Junge Männer und Frauen ziehen sich am Reck hoch oder trainieren mit Turnringen ihre Muskeln. Die Fitnessanlage sei laut Baureferat barrierefrei zugänglich. Ausgewählte Bereiche könnten auch mobilitätseingeschränkte Personen nutzen.

Als Messerer auf dem schotterähnlichen Feldweg Richtung Fitness-Parcours fährt, wackelt ihr Rollstuhl. "Ich muss hier mit meinem Körper ausgleichen, weil der Weg nicht gerade ist", sagt sie. Grundsätzlich sei Schotter aber nicht schlecht, denn bei Regen griffen die Rollstuhlreifen dort gut. In der Fitnessanlage selbst sieht die Rollstuhlfahrerin nur ein Reck, das auch sie nutzen könne. Andere Stangen hingen für sie zu hoch.

SZ-Serie: Grün im Grau: Gabi Messerer probiert sich am Reck aus.

Gabi Messerer probiert sich am Reck aus.

(Foto: Catherina Hess)

Nach ein paar Stunden macht sich Gabi Messerer auf den Weg zu einem Parkausgang. Ihr Fazit? "Im Großen und Ganzen ist der Pasinger Stadtpark schön angelegt", sagt sie. Es gebe zwar einige Stellen, an denen sie die Barrierefreiheit nicht gegeben sehe, aber mit einer Bekannten würde sie trotzdem noch einmal herkommen. Während sie den Joystick ihres elektrischen Rollstuhls nach vorne drückt und Richtung Ausgang rollt, schlendern einige Spaziergängerinnen und Spaziergänger an der 61-Jährigen vorbei. Keiner von ihnen schaut auf den Boden - Löcher, Schwellen oder kleine Äste auf dem Weg, interessieren sie kaum. Für Gabi Messerer und andere Menschen im Rollstuhl ist das anders. Denn selbst die kleinsten Dinge können sich als Hindernis entpuppen.

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