Verdacht auf Materialfehler:Ist "Betonkrebs" schuld am Zugunglück bei Garmisch-Partenkirchen?

Verdacht auf Materialfehler: Bei dem Zugunglück am 3. Juni kamen fünf Menschen ums Leben, Dutzende wurden verletzt.

Bei dem Zugunglück am 3. Juni kamen fünf Menschen ums Leben, Dutzende wurden verletzt.

(Foto: Angelika Warmuth/dpa)

Die Deutsche Bahn tauscht nach dem Unfall im Juni in großem Stil Schwellen aus - und prüft Regressansprüche gegen den Hersteller aus München. Es könnte um mehr als 100 Millionen Euro gehen.

Von Klaus Ott

Zweieinhalb Monate nach dem Zugunfall bei Garmisch-Partenkirchen mit fünf Toten und zahlreichen Verletzten hat die Deutsche Bahn (DB) jetzt erstmals nähere Angaben zum möglichen Unglücksgrund genannt. Erste vorläufige Erkenntnisse aus technischen Gutachten unabhängiger Prüfinstitute legten "den Verdacht nahe, dass ein Herstellerfehler" vorliege. Die Schwellen in dem betroffenen Streckenabschnitt "weisen teilweise Unregelmäßigkeiten in der Materialbeschaffenheit auf", heißt es in einer Pressemitteilung der Bahn vom Freitagvormittag.

Kenner des Falles sprechen vom sogenannten Betonkrebs. Durch Risse im Beton könnte Wasser in die Schwellen eingesickert sein und zu Schäden geführt haben. Betonkrebs ist kein neues Phänomen, davon waren früher schon Bahnstrecken und Autobahnen in Deutschland betroffen und sind es auch heute noch.

Die Bahn prüft vorsorglich 200 000 Betonschwellen dieses Bautyps und hat überall dort, wo Auffälligkeiten entdeckt worden seien, die Strecken gesperrt oder sogenannte Langsamfahrstellen eingerichtet. Betroffen sind 165 Stellen im bundesweiten Schienennetz, darunter besonders viele Strecken in Südbayern, Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Berlin. Bis Ende des Jahres sollen alle betroffenen Stellen ausgebessert sein, sodass die Züge dort wieder beziehungsweise wieder normal fahren können. Derzeit fallen noch viele Züge aus oder haben Verspätung.

Die Bahn teilte weiter mit, der entstandene Schaden lasse sich derzeit noch nicht konkret beziffern. Man gehe aber von einem "dreistelligen Millionenbetrag" aus; also von mehr als 100 Millionen Euro. "Mögliche Regressansprüche gegenüber dem Schwellenhersteller werden auf Basis der abschließenden Gutachten juristisch geprüft." Bei dem Hersteller der Betonschwellen handelt es sich um die Leonhard Moll Betonwerke in München, die zur Leonhard Moll Aktiengesellschaft gehören.

Der Hersteller will die Hinweise "eingehend prüfen"

Das Unternehmen erklärt auf Anfrage der SZ: "Wir wurden von der Deutschen Bahn darüber informiert, dass vorläufige Untersuchungsergebnisse über mögliche Ursachen für Defekte an Schwellen vorliegen." Man werde das "eingehend prüfen", sobald man die Untersuchungsergebnisse erhalten habe. "Wir stehen dazu im Austausch mit der Deutschen Bahn." Die Leonhard Moll Betonwerke äußern sich ansonsten nicht weiter, "da die Untersuchungen noch andauern".

Die Moll Betonwerke haben bereits Millionen Betonschwellen hergestellt. Auf den Internetseiten des Unternehmens heißt es, das anspruchsvolle Fertigungsprogramm beruhe "auf einer steten technischen Perfektionierung" und entspreche dadurch den "strengen Qualitätsanforderungen der Deutschen Bahn". Und im jüngsten Geschäftsbericht der Muttergesellschaft Leonhard Moll AG findet sich der Hinweis, die Deutsche Bahn stelle "extrem hohe Anforderungen an die Produktqualität" und überprüft das auch durch eigene Kontrollen.

Was zu dem Entgleisen eines Regionalzugs am 3. Juni 2022 bei Garmisch-Partenkirchen geführt hat und wer dafür verantwortlich ist, beschäftigt auch die Staatsanwaltschaft München II. Bislang richten sich die Ermittlungen gegen vier Beschäftigte der Deutschen Bahn, bei der es sich um ein Staatsunternehmen handelt. Bei den Leonhard Moll Betonwerken gibt es bisher keine Verdachtsmomente strafrechtlicher Art. Es bleibt ohnehin abzuwarten, wie die endgültigen Untersuchungsergebnisse ausfallen und ob sich der Verdacht auf Materialfehler bestätigt oder nicht. Und selbst im Falle eines Materialfehlers wäre noch die Frage zu klären, ob dies bei den Streckeninspektionen der Bahn hätte erkannt werden können oder gar müssen.

Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass die Staatsanwaltschaft München II ihre Ermittlungen bei der Bahn, die dort gegen Verantwortliche vor Ort laufen, noch ausdehnt. Seit Jahren ist der DB und auch der Bundesregierung bekannt, dass es beim Schienennetz einen großen Sanierungsstau gibt. Interne Kritiker der Bahn warnen seit Jahren vor Mängeln an Gleisen und Weichen. Bei anderen großen Wirtschaftsunternehmen haben Staatsanwaltschaften bei größeren Verfahren wiederholt Bußgeldverfahren gegen Führungskräfte wegen Verletzung von Aufsichtspflichten eingeleitet.

Die Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen

Aus Bahnkreisen wiederum heißt es, es habe bei den Inspektionen keine Auffälligkeiten gegeben. In ihrer Pressemitteilung schreibt die Bahn einschränkend, die Untersuchungen seien noch nicht abgeschlossen und die Unfallursache stehe noch nicht fest. Vorsorglich tausche man aber die Betonschwellen dieses Typs aus, auf den ersten Strecken sei das bereits geschehen. Und für rund 90 Prozent der betroffenen Streckenabschnitte seien bereits konkrete Bautermine geplant.

Der Austausch der Schwellen werde sich "teilweise bis in das kommende Jahr ziehen". Die besonders hoch ausgelasteten Strecken hätten Vorrang. Auch in Zeiten von Materialknappheit sei es der Bahn gelungen, sich "ausreichend neue Schwellen" zu sichern, die nun eingebaut werden. Das alles erklärt offenbar auch, warum Strecken im Werdenfelser Land gesperrt sind, darunter die Linie von Murnau nach Oberammergau. Dort sollen Schwellen auf einem Streckenabschnitt bis zum 15. Dezember ausgetauscht werden, ebenso zwischen Holzkirchen und Bad Tölz.

Außerdem betroffen sind unter anderem Abschnitte auf den Linien jeweils von München nach Augsburg, zum Starnberger See, nach Rosenheim und nach Markt Schwaben sowie in Mühldorf. Am schnellsten soll es mit dem Schwellenaustausch zwischen Holzkirchen und Bayrischzell klappen, nämlich bereits bis zum kommenden Montag. Dort fährt die Oberlandbahn, vorbei am Schliersee.

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