Podcast-Tipps im August:Träume von einem besseren Leben

Lesezeit: 3 min

(Foto: Luis Murschetz (Illustration))

Recherchen über Flüchtende, die Gründe und Folgen von Migration und verbrecherische Nutznießer: vier Podcast-Empfehlungen.

Von SZ-Autorinnen und SZ-Autoren

Asylum Speakers

open.spotify.com

"Mez is the center of it all. Mez changed our lives", sagt Nils O'Hara. Nils ist zu Gast beim Podcast seiner Schwester Jaz O'Hara. Die beiden haben gemeinsam die Menschenrechtsorganisation The Worldwide Tribe gegründet und reflektieren in einer der bislang 45 Folgen, wie sie dahin kamen, wo sie heute sind - und was der junge Eritreer Mez damit zu tun hat. 2015, als in vielen europäischen Medien über "Flüchtlingswellen" oder "Flüchtlingsschwärme" berichtet wurde, kam Mez nach Großbritannien. Die Familie O'Hara nahm den damals 14-Jährigen bei sich auf. Zu diesem Zeitpunkt begann auch die zwei Jahre ältere Jaz sich für die Geschichten jener Menschen zu interessieren, die in den Schlagzeilen zu einem anonymen Schwarm gemacht wurden, für ihre Flucht, das Leid und den Schmerz, den sie ertragen mussten. Sie reiste kurzerhand in den "Dschungel" von Calais und dokumentierte ihre Eindrücke auf Social Media. In den 45-minütigen Folgen ihres 2019 gegründeten Podcasts spricht Jaz nicht nur mit Geflüchteten aus unterschiedlichsten Ländern, sondern auch mit den Menschen, die ihnen helfen - um anschaulich zu machen, dass es sich eben nicht um eine diffuse Masse handelt, sondern in jedem einzelnen Fall um ein individuelles Schicksal. Julia Brader

Die Jägerin

ndr.de/diejaegerin

Im Film kommt immer irgendwann ein Held, um das Unrecht zu bekämpfen. Im wirklichen Leben kommt Meron Estefanos. 2011 klingelte bei der schwedisch-eritreischen Radiojournalistin das Telefon. Ein Mann erzählt ihr, er werde auf der Halbinsel Sinai festgehalten und gefoltert, die Entführer wollen von seiner Familie Lösegeld erpressen. Estefanos geht dem Anruf nach und wird die Kontaktperson für zahllose entführte Flüchtende, die oft von eben den Schleusern misshandelt werden, die sie eigentlich für eine Fahrt über das Mittelmeer bezahlt hatten: Erst mit dem Versprechen einer Passage in den reichen Norden und dann mit Gewalt versuchen die Kriminellen, aus den Afrikanern, die von einem besseren Leben träumen, so viel Geld wie möglich herauszupressen. Estefanos deckt ein ganzes Netzwerk dieser Menschenhändler auf, das bis nach Deutschland und Schweden reicht. Die vierteilige Feature-Serie erzählt mit Originaltönen sowie neuen Interviews von ihren Recherchen, von den Gefahren, in die sich Estefanos selbst gebracht hat, und von ihren Versuchen, die Verantwortlichen und ihre Hintermänner vor Gericht zu bringen. Eine Reportage aus einer Hölle, die für viele Flüchtende Wirklichkeit ist und deren Existenz man in Europa nicht für möglich halten würde. Nicolas Freund

Memento Moria

open.spotify.com

Einen entscheidenden Schritt weiter sind Flüchtende, die es bis an die Grenzen Europas geschafft haben. Doch auch hier spitzt sich ihre Situation noch einmal zu, auch hier können sie in Lebensgefahr geraten und sind Willkür ausgeliefert - nun der von Europäern. Am Beispiel der türkisch-griechischen Grenze schildert die Journalistin Sham Jaff gemeinsam mit der Reporterin Franziska Grillmeier, wie es Menschen, die aus ihrer Heimat fliehen, meist aus Afghanistan, Syrien oder Ostafrika, seit 2015 ergeht beim Versuch, über den Grenzfluss Evros oder die Ägäis in die EU zu gelangen. Wie sie, selbst wenn sie auf beispielsweise Lesbos anlanden, noch längst nicht in Sicherheit sind. Wie der politische Wille vieler in Europa dazu führt, dass der Rechtsstaat außer Kraft gesetzt wird, um Flüchtende tunlichst fernhalten zu können vom Territorium der EU. Begonnen hat Sham Jaff ihre Recherchen nach dem Großbrand im vollkommen überfüllten Flüchtlingslager Moria im September 2020. Ihr Podcast ist sympathisch niederschwellig, er erklärt etwa zum besseren Verständnis auch, wie Gesetzgebungsverfahren in der EU funktionieren oder Asylverfahren. Stefan Fischer

Melting Pod

meltingpod.podigee.io

Dass in der obligatorischen Entweder-oder-Rubrik dieses Podcasts auch die Frage nach "Quali oder Quanti?" gestellt wird, macht klar: Es geht hier um Wissenschaft, um qualitative und quantitative Methoden. Melting Pod ist ein Podcast von Nachwuchsforschenden an der Uni Duisburg-Essen. Jede Folge widmet sich aus einer anderen wissenschaftlichen Perspektive dem Thema Migration. In einer Episode erklärt eine Psychologin, wie posttraumatische Belastungsstörungen und Flashbacks entstehen. Sie erzählt von einer Frau, die das Gefühl hatte, dass ihr Gehirn noch im Irak und ihr Körper schon in Deutschland sei. In einer anderen Folge spricht eine Sozialwissenschaftlerin über Rassismus in deutschen Kitas, der oft schon bei hautfarbenen Buntstiften anfängt. Gestartet ist der Podcast vor zwei Jahren, seitdem gibt es fast jeden Monat eine neue Folge. Melting Pod ist kein aufwendig produzierter Storytelling-Podcast, sondern handgemacht. Mal scheppert die Aufnahme, mal dauert die eine oder andere Verlegenheitspause etwas zu lange an. Das Zuhören lohnt sich trotzdem. In den besten Momenten erinnern die einzelnen Folgen an ein wirklich gutes Proseminar, in dem man nicht mitschreiben muss, aber mitdenken darf. Kathrin Müller-Lancé

sz.de/podcast-tipps

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