Nils Dunkel bei den European Championships:Ein Turner, selten wie ein exotischer Schmetterling

Nils Dunkel bei den European Championships: Lichtblick in einem insgesamt mäßigen Auftritt der deutschen Turner: Nils Dunkel, Bronzegewinner am Pauschenpferd.

Lichtblick in einem insgesamt mäßigen Auftritt der deutschen Turner: Nils Dunkel, Bronzegewinner am Pauschenpferd.

(Foto: MIS/Imago)

Nils Dunkel bessert die mäßige Bilanz der deutschen Turner mit Bronze am Pauschenpferd auf, der ersten deutschen Medaille an diesem Gerät seit 16 Jahren. Schon als Kind balancierte er gern über Balken und Hindernisse.

Von Volker Kreisl

Der letzte Eindruck bleibt am längsten haften, das gilt bei mündlichen Prüfungen genauso wie beim ersten Besuch bei kritischen Schwiegereltern und eben auch für Veranstaltungen vor Tausenden von Zuschauern im Hochleistungssport.

In diesem Fall war es am Sonntagnachmittag die mit Spannung erwartete vorletzte Darbietung der deutschen Turn-Mannschaft bei den European Championships in der Olympiahalle. Rund 8000 Zuschauer, unter ihnen auch viele Turn-Familien, hatten sich versammelt, um doch noch etwas sportlichen Erfolg bei den männlichen Turnern zu erleben. Die hatten einen bizarren, aber noch gut gegangenen Qualifikationswettkampf am Freitag hingelegt und dann am Samstag einen Teamwettkampf gezeigt, der auch als misslungen abgehakt werden muss: Offensiv und dynamisch hatte die Riege begonnen, und war dann nach fünf Stürzen auf der Bodenmatte durchgereicht worden. Es wurde Platz sieben von acht Mannschaften.

Blieb noch der Sonntag mit zwei Turnern des DTB in den Einzelfinals, und es wurde jedenfalls für Freunde der Spannung nochmal ein gelungener Nachmittag, mit sogar einer Medaille, einer bronzenen. Der Nachmittag schien geschnitten zu sein wie ein guter Krimi-Plot mit Nils Dunkel aus Halle, der als spezialisierter Pauschenpferd-Turner im deutschen Turn-Milieu so selten ist wie ein exotischer Schmetterling. Und natürlich mit Lukas Dauser aus München, der für den TSV Unterhaching startet, als Mehrkämpfer, aber vor allem am Barren. Diese Disziplin betreiben viele deutsche Athleten erfolgreich, jedoch nicht so stark, anspruchsvoll und doch elegant wie der Olympiazweite Dauser, der dennoch an diesem Sonntag nach einem guten Drittel der Übung plötzlich auf der Matte stand.

Ein großes Pauschen-Team waren die Deutschen noch nie gewesen, eher spezialisierten sie sich an Reck und Barren

Seine Übung ist gespickt mit Höchstschwierigkeiten, 6,6 Punkte hat sie im Ausgangswert, von dem Dauser im Idealfall nach den Abzügen in der addierten Haltungsnote (zunächst zehn Punkte) noch so viel übrig hat, dass er gut über 15 Punkten liegt. Nun aber war daran nicht mehr zu denken. Dauser, der sonst sicher durch diese wie ein Irrgarten wirkende Übung über die Holme wandelt, blieb plötzlich mit dem rechten Bein in einem gewöhnlichen Umschwung am Holm hängen, musste absteigen und war, ja, am Boden zerstört.

Ihm selbst nicht, jedoch der Abteilung Männer im Verband und den Veranstaltern dieses Turn-Wochenendes half dann umso mehr das, was zwei Stunden zuvor in dieser Halle passiert war. Nils Dunkel, 25 Jahre alt, bekam seine Pferd-Medaille um den Hals gelegt, in einer Großveranstaltung war das zuletzt im Jahr 2006 dem Deutschen Turnerbund geschehen, als Eugen Spiridonov EM-Silber gewann. Ein großes Pauschen-Team waren die Deutschen noch nie gewesen, eher spezialisierten sie sich an Reck und Barren, und wenn mal ein aussichtsreiches Talent wie nun Dunkel auftaucht, dann hat dieser auch schon eine persönliche spezielle Pauschenpferd-Geschichte.

Dunkel erzählt, er habe schon früh Ansätze für dieses Gerät gezeigt. Schon als Kind liebte er es, über Balken und andere Hindernisse zu balancieren. Sein Gleichgewichtssinn, so wurde festgestellt, war besonders ausgeprägt. Und auch bei ersten spezifischen Übungen fluchte Dunkel nicht, sondern hatte seinen Spaß an diesem Lederpferd, das einst auch geschaffen wurde, um in langen Rotationen Soldaten beizubringen, sich in unübersichtlichen Situationen möglichst lange im Sattel zu halten.

Dauser war einer, dessen Potenzial im Turnverband eingeplant werden konnte

Was nicht bedeutet, dass ein Pferdturner auch in jeder Lebenslage die Ruhe bewahrt. Dunkel jedenfalls erzählt, er verspüre vor Auftritten immer eine Aufregung, so stark, dass seine Hände unkontrollierbar zu zittern begännen, würde er nicht vorher spezielle Übungen machen, um sich vor dem Auftritt zu beruhigen. Gut ist ihm das nun gelungen, am Ende lagen nur die Pauschen-Cracks Harutyun Merdinyan (Armenien) und Loran de Munck (Niederlande) vor ihm. Dunkel meisterte sämtliche Klippen in seiner Übung, auch die größeren: Kurz nach Beginn die 360-Grad-Kehre auf einer Pausche, die in der Rotation nicht mehr korrigierbar ist, weil sie nur auf einem Arm getragen wird. Und am Ende noch die lange Wanderung über das Pferd und wieder zurück, mit einer Kehre, die ebenso tückisch sein kann.

Ein bisschen von Dunkels doch unerwartetem Erfolg federte somit jene Enttäuschung ab, die Lukas Dauser noch lange mit sich herumtragen dürfte. Dauser war ja einer, dessen Potenzial im Turnverband und auch in der allgemeinen Gastgeber-Bilanz eingeplant werden konnte, und er hatte sich ja auch zuvor entsprechend gesteigert. In der Qualifikation gelang ihm eine noch mäßige, aber immer noch teure Ausführung, die sein Team entscheidend im Rennen hielt. Und im Teamwettkampf selbst trug er eine Übung bei, die nahezu so perfekt war wie seine Olympia-Silber-Version.

Dann aber stieg er hinauf, wohl auch leicht irritiert von einer sehr knappen Einturnzeit, oder aus irgendeinem anderen Grund, der nach dem gutem Beginn plötzlich die Spannung in seinem Körper leicht drosselte, womit sein Wunsch nach dieser besonderen Heim-Medaille hinfällig war.

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