Kunst im öffentlichen Raum:Künstler bringen das Werksviertel zum Klingen

Kunst im öffentlichen Raum: Quadratisch, praktisch, hässlich? Leonie Felle reagiert mit ihren "Resonanzachsen" auf die Neubau-Architektur des Werksviertels.

Quadratisch, praktisch, hässlich? Leonie Felle reagiert mit ihren "Resonanzachsen" auf die Neubau-Architektur des Werksviertels.

(Foto: Ivana Bilz)

Hier treffen Kreative und Feierwütige auf Bauarbeiter und Büroangestellte. Und hier soll auch das neue Konzerthaus entstehen - das jedoch vom Verstummen bedroht ist. Dem setzen die Installationen der Reihe "Spek/trum" nun etwas entgegen.

Von Evelyn Vogel

Das Werksviertel mag hinterm Ostbahnhof liegen. Im Ranking pulsierender Stadtviertel in München rangiert es jedoch ganz weit vorne. Nicht nur beim Eingang im Container Collective, überall quirlt und wurlt es, auch wenn noch an etlichen Stellen gebaut wird. Eine der größten Brachflächen, die ihrer Bebauung harrt, liegt hinter dem Riesenrad und ist von einem unschönen Bauzaun umgeben. Dereinst soll hier das neue Konzerthaus stehen. Vielleicht. Wenn Söder seine der Stadtgesellschaft verordnete "Denkpause" für beendet erklärt hat und zu dem Ergebnis gekommen sein sollte, dass das Konzerthaus auf dem bereits längst dafür gepachteten Grundstück auch wirklich entstehen soll.

Bis dahin aber klafft in der Dichte des neuen Stadtviertels noch diese Lücke - und ein Konzerthaus ist vom Verstummen bedroht, noch bevor es richtig zum Klingen gebracht worden ist. Dem wollen die Kuratoren Angela Stauber, Martina Taubenberger und Tomaz Kramberger vom Werksviertel Mitte Kunst mit der Reihe "Spek/trum. Die Stadt als Resonanzkörper" etwas entgegensetzen. Sie haben sich die Frage gestellt, wie viel Resonanzen das Werksviertel als Stadtraum aushält und wie viel Raum eine Stadt Künstlern und der Gesellschaft insgesamt lässt. In neun temporären, zumeist ortsspezifisch entwickelten Arbeiten und drei Performances wollen die eingeladenen Künstlerinnen und Künstler dieser Frage nachgehen. Das meiste ist schon da, nur die Afghanin Sara Shokriyan hängt wegen bürokratischer Hürden noch in Pakistan fest und hofft darauf, noch vor dem Ende der Ausstellung ihren Beitrag an Ort und Stelle umsetzen zu können.

Auch wenn Kunst und Kultur dem Werksviertel-Mitte wie in einer DNA ins Fundament eingeschrieben sind - man denke nur an die Frühzeiten des Kunstparks Ost mit all den Clubs, Bars, Graffiti und Kreativen, die hier ihre Heimat hatten -, die Dichte kann auch zum Problem werden. Dann werden Kunstwerke von Besuchern als Fahrradständer, von Passanten als Sitzmöbel, von Partygängern als Biertisch missachtet. Aber so ist nun mal der öffentliche Raum. Wo alles zur Bühne werden kann, von den Fassaden über die Treppenhäuser, die Gastronomie, Gewerbeflächen und Hotels bis hin zur Tiefgarage, da muss sich die Kunst behaupten. Oft subversiv, oft ironisch, manchmal am Rande und wie nebenbei.

Kunst im öffentlichen Raum: Mischa Kuballs Schriftinstallation "Dys(U)Topia" leuchtet abwechselnd "Finished" ...

Mischa Kuballs Schriftinstallation "Dys(U)Topia" leuchtet abwechselnd "Finished" ...

(Foto: Mirko Schuetz)
Kunst im öffentlichen Raum: ... und "Unfinished" im Werksviertel Mitte.

... und "Unfinished" im Werksviertel Mitte.

(Foto: Mirko Schuetz)

Und genau das zeichnet die Spektrum-Reihe aus, die eine Fortsetzung der Ausstellung "Raumgreifen" vom vergangenen Jahr ist. Oft muss man zweimal hinschauen oder hinhören. Wie bei Lia Sáiles Schrift- und Soundinstallation "Aller Tage Morgen": In der Tiefgarage spielt sie laute Alltagsgeräusche aus dem Irak, der Ukraine und Afghanistan ein und konterkariert so das vorhandene Konzept, bei dem über die Soundanlage normalerweise Vogelgezwitscher für ein Wohlfühlambiente sorgt. An einem hinteren Gebäude hat sie das Relief "Alltag" installiert, das aus ineinander geschobenen Schriftzeichen auf deutsch, ukrainisch, arabisch, dari/farsi und kurdisch besteht. Eine stille, poetische Schriftarbeit, für die Sáile bekannt ist.

Mischa Kuball kommentiert den temporären Charakter des Container Collective mit der zwischen "Finished" und "Unfinished" wechselnden Lichtinstallation "Dys(U)topia" in sicherer Entfernung auf dem Dach. Anders als Sinta Werner, die sich mit "Splitting the Moment", bunte Kuben mit natürlichen und künstlichen Schattenwürfen, mitten ins Containerdorf gewagt hat - und den Übergriffigkeiten des Partyvolks ausgesetzt ist. Das Leben im Viertel - oder davor oder dahinter? - fängt Angela Stauber mit ihren blau leuchtenden Paravents "Dahinter die Welt" ein.

Kunst im öffentlichen Raum: Angela Staubers Paravents "Dahinter die Welt" in der Reihe "Spektrum. Die Stadt als Resonanzkörper" im Werksviertel.

Angela Staubers Paravents "Dahinter die Welt" in der Reihe "Spektrum. Die Stadt als Resonanzkörper" im Werksviertel.

(Foto: Mirko Schuetz)
Kunst im öffentlichen Raum: Wo Licht ist, ist auch Schatten: Die bunten Kuben mit natürlichen und künstlichen Schatten "Splitting the Moment" von Sinta Werner.

Wo Licht ist, ist auch Schatten: Die bunten Kuben mit natürlichen und künstlichen Schatten "Splitting the Moment" von Sinta Werner.

(Foto: Mirko Schütz)
Kunst im öffentlichen Raum: Gläserne Inseln, die den Stadtraum widerspiegeln: "L'Archipel" von Aline Brugel und Rosine Nadjar.

Gläserne Inseln, die den Stadtraum widerspiegeln: "L'Archipel" von Aline Brugel und Rosine Nadjar.

(Foto: Ivana Bilz)

Die architektonischen Gegebenheiten des Viertels greifen viele Arbeiten auf. Aline Brugel und Rosine Nadjar haben beim Werk 7 mit "L'Archipel" eine Reihe gläserner Inseln geschaffen, die Himmel und Erde, Mensch und Natur, Schönheit und Unvollkommenheit, Alt und Neu des Werksviertels widerspiegeln. All das Schräge und Seltsame des Werksviertels greift auch Lina Zylla auf. Die aus einer Performance entstandene Wandarbeit "Years" setzt in einem absurd schräg zulaufenden Durchgang zwischen zwei Gebäuden eine Spur. Zahra Ghadimian spinnt, begleitet von den Waldklängen von Alexandra Cumfe, mit "Wood'n'Wool" einen Raum ein, der im Erdgeschoss des mit Architekturpreisen ausgezeichneten Werk 12 (das mit dem großen WOW) liegt. Was seinen Ursprung in der Natur hat, wird hier ein Zeichen für die Eroberung des Stadtraums, aber aktuell auch ein Hinweis darauf, wie Corona überall Leerstand verursacht hat.

Kunst im öffentlichen Raum: Zahra Ghadimian und Alexandra Cumfe spinnen mit "Wood'n'Wool" nach und nach einen Raum ein.

Zahra Ghadimian und Alexandra Cumfe spinnen mit "Wood'n'Wool" nach und nach einen Raum ein.

(Foto: Mirko Schuetz)
Kunst im öffentlichen Raum: Lina Zylla während der Performance zu der Wandarbeit "Years".

Lina Zylla während der Performance zu der Wandarbeit "Years".

(Foto: Ivana Bilz)
Kunst im öffentlichen Raum: Ein Jägersitz wird zur Äolsharfe: "Spiel mir das Lied" heißt die Installation des Künstlerkollektivs Mediendienst Leistungshölle, das man als Besucher nur durch Löcher im Bauzaun sehen kann.

Ein Jägersitz wird zur Äolsharfe: "Spiel mir das Lied" heißt die Installation des Künstlerkollektivs Mediendienst Leistungshölle, das man als Besucher nur durch Löcher im Bauzaun sehen kann.

(Foto: Mirko Schuetz)

Auch Leonie Felle reagiert mit ihren "Resonanzachsen" auf die Architektur des Werksviertels. Die drei mit Rechtecken bemalten, unregelmäßigen Felder hängen in einer Sichtachse auf ein Hotel mit einer perfekt gleichförmig gerasterten Fassade. Ein herrlich ironischer Kommentar zur Uniformität moderner Architektur in München. Um schließlich die Installation "Spiel mir das Lied" des Künstlerkollektivs Mediendienst Leistungshölle zu entdecken, muss man durch Gucklöcher im Bauzaun zur Brache des geplanten Konzerthauses blicken. Inmitten eines modernistischen Jägerstands bringt ein sich im Wind drehendes Zielfernrohr eine Äolsharfe zum Klingen, während zu Füßen des mit Textilobjekten geschmückten Gestells Kartoffeln keimen und sprießen sollen. Die Auftragsarbeit ist ein hübsches Bild dafür, wie die Konzerthausidee gerade ums Überleben kämpft.

Spek/trum. Die Stadt als Resonanzkörper, Werksviertel-Mitte, bis 23. Oktober, der Rundgang wird ergänzt durch QR-Codes vor Ort und einer Hörführung auf der Website

Zur SZ-Startseite

SZ PlusGrete Weil
:Sie warteten ab. Und dann war es zu spät

Die jüdische Schriftstellerin Grete Weil floh nach Amsterdam und schrieb dort ihren Erstlingsroman: Über ein Paar, das zu lange zögerte.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: