Italien:Das Testament - ein Manifest

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Jede Menge Applaus gab es zum Abschied für Mario Draghi (Mitte) in Rimini bei Treffen der Bewegung Comunione e Liberazione, und der Beifall wirkte aufrichtig. (Foto: Filippo Attili/Imago/Zuma Press)

Hört sich so einer an, der in Pension geht? Der geschäftsführende Premier Mario Draghi hält eine bemerkenswerte Rede - und alle fragen sich, welche Rolle er nach den Wahlen vom 25. September spielt.

Von Oliver Meiler, Rom

Es gab zwei Ovationen im Stehen, dazu 32 Zwischenapplause. Mario Draghi, Italiens scheidender Ministerpräsident, hat beim allsommerlichen Meeting der katholischen Bewegung Comunione e Liberazione in Rimini eine Rede gehalten, die sich zugleich wie ein Vermächtnis und ein Programm anhörte. Und auch wenn die Italiener den Gehenden immer mit besonderer Hingabe nachklatschen: In diesem Fall wirkte die Ehrerweisung aufrichtig. Draghi war dann auch sichtlich bewegt, was sonst nicht seine Art ist.

Am 25. September finden in Italien vorzeitige Parlamentswahlen statt, nachdem Cinque Stelle, Lega und Forza Italia Draghi nach 523 Regierungstagen fallen gelassen hatten. Draghi führt nur noch die Geschäfte, tut das aber mit Tempo: Möglichst viele angefangene Reformen sollen noch fertig werden, ehe er geht. Aber geht Draghi auch wirklich?

In seiner Rede zog er Bilanz des Erreichten in einer "historisch dramatischen Zeit", wie er es nannte, und war dabei ziemlich zufrieden mit sich selbst: Zuletzt sei Italiens Wirtschaft nämlich stärker gewachsen als jene Frankreichs und Deutschlands; der Beschäftigungsgrad der aktiven italienischen Bevölkerung sei so hoch wie seit 1977 nicht mehr; und die Staatsschulden seien in den vergangenen zwei Jahren so stark gesunken, wie das seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr der Fall gewesen sei. Allerdings müsste man anfügen: So hoch wie jetzt waren die Staatsschulden noch nie. Draghi rief die Italiener auf, wählen zu gehen. "Ich bin überzeugt, dass die nächste Regierung, welcher politischen Couleur sie auch immer sein wird, die Herausforderungen von heute meistern wird, obschon sie unüberwindbar erscheinen", sagte er. "Italien wird es schaffen, auch diesmal."

"Italien wird es schaffen, auch diesmal": Der scheidende Premier Mario Draghi bei seiner Rede in Rimini. (Foto: Imago/Catholic Press Photo/Independent Photo Agency)

Die postfaschistische Rechte von Giorgia Meloni, die laut Umfragen die größten Wahlaussichten hat, ist über diese Stelle besonders erfreut. Draghi habe damit der Narration der Linken widersprochen, die einen Sieg der Fratelli d'Italia als Katastrophe für das Land darstelle. Doch die Rede ging noch eine Weile weiter, die zentralen Passagen zur Positionierung Italiens in der Welt kamen erst. Draghi kritisierte alle nationalistischen und traditionell europaskeptischen Regungen der Rechten, ohne die Parteien namentlich zu nennen. Das brauchte er auch nicht, die Adressaten waren leicht auszumachen - allen voran die beiden souveränistischen Parteien Lega und Fratelli d'Italia, die sich gerne an Viktor Orbán orientieren.

"Es ist noch zu früh für den Garten", schreibt eine Zeitung und meint den Ruhestand

"Italien war noch nie stark, wenn es entschied, es alleine zu versuchen", sagte Draghi in gewohnt knappen, manifestartigen Sätzen. "Italiens Platz ist im Zentrum der Europäischen Union und verankert im atlantischen Pakt." Nur Stunden davor hatte Matteo Salvini von der Lega die Sanktionen gegen Russland infrage gestellt, weil sie den Italienern angeblich stärker schadeten als den Russen: Italien brauche nun mal russisches Gas, sagte Salvini, ganz im Sinne des Kreml.

Draghi konterte: "Wenn ein Land zur Hälfte von russischem Gas abhängt ( wie bis vor Kurzem Italien, d. Red.), ist das das genaue Gegenteil von Souveränität." Nach dem Abschluss von Verträgen mit anderen Lieferanten ist Italiens Abhängigkeit mittlerweile auf ein Viertel geschrumpft. Draghi sagte, 2024 könne Italien dann ganz auf russisches Gas verzichten.

War das nun einfach eine engagierte Abschiedsrede eines besorgten, aber optimistischen Italieners? "Es ist noch zu früh für den Garten", schreibt La Repubblica und meint damit den Ruhestand. Draghi, 74 Jahre alt, scheint auch nicht müde zu sein. Im vergangenen Februar wäre er ja gerne Präsident der Republik geworden: für sieben Jahre. Das Parlament entschied sich dann aber für Sergio Mattarella. Und so fragt sich, was wäre, wenn bei den Wahlen wider Erwarten ein Patt herauskäme und es wieder jemanden brauchen würde, der das Land zusammenhält. Mario Draghi galt immer als "Reserve der Republik" - einwechselbar, sobald es die Not erfordert. Mit Applausgarantie.

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