"Mit 20 wirst du sterben" im Kino:Liegt ein Fluch auf mir?

"Mit 20 wirst du sterben" im Kino: Der junge Muzamil (Mustafa Shehata) lebt mit der Prophezeihung, dass er bald sterben wird.

Der junge Muzamil (Mustafa Shehata) lebt mit der Prophezeihung, dass er bald sterben wird.

(Foto: MissingFilms)

Aufbruchstimmung: Amjad Abu Alalas bemerkenswertes Regiedebüt "Mit 20 wirst du sterben" bringt das Filmemachen in den Sudan zurück.

Von Fritz Göttler

Der Junge steckt zögerlich die Zehen ins Wasser, wie Kinder es gerne tun. Wie warm mag das Wasser wohl sein? Dann wagt er sich hinein, kriegt aber nur ein ungelenkes Geplansche hin, zum Schwimmen ist es so nah am Ufer nicht tief genug. Seine Scheu ist verständlich, es gibt Krokodile im Nil, und ein Onkel ist dort ertrunken. Vor allem aber lastet eine fiese Prophezeiung schwer auf ihm und der Familie, die einst der Scheich des Dorfes verkündet hat - der Junge werde nicht älter werden als zwanzig Jahre.

Heranwachsen unter fatalen Vorzeichen, in einem Dorf im Südsudan, darum geht es in Amjad Abu Alalas Regiedebüt "Mit 20 wirst du sterben". Später wird der Junge, Muzamil, sich mit einem Mädchen, Naima, treffen auf einem Felsen, der mit trutziger Sicherheit in den Fluss ragt, eine Liebe, die unsicher und scheu ist und vom Trauma der Entsagung bestimmt wird und der Unmöglichkeit, sich zu erfüllen.

Ein Blackout hatte die Prophezeiung ausgelöst. Frohgemut war die Mutter nach der Geburt gekommen, um ihr Baby Muzamil segnen zu lassen vom Imam des Dorfes, aber dann kippte während der Zeremonie ein Derwisch in seinem Tanz um, bei der Zahl 20! Muzamils Vater hält den Druck des Fluchs nicht aus, er zieht in die Welt, um dort Geld zu verdienen, nach Addis Abeba, später Senegal, Kenia, Libyen...

Die Mutter muss allein mit dem Fluch fertig werden, wird dadurch zum dunklen Element im heiteren, farbenfrohen Leben des Dorfes - trägt immer Schwarz, als trauerte sie schon um ihren noch lebenden Sohn. Eine uralte Tante taucht hin und wieder auf, die jammert, dass sie nicht sterben kann: "Der Todesengel schleicht durchs Dorf und beachtet mich nicht."

"Sohn des Todes" rufen die anderen Jungen Muzamil, und die Koranschüler, mit denen zusammen er lesen lernt, wickeln ihn in ein weißes Tuch wie eine Mumie und stecken ihn in eine Kiste. Trotz aller Todesnähe ist dieser erste Spielfilm von Amjad Abu Alala doch von sanfter Heiterkeit. Alala hat dafür die Grundlagen der sudanesischen Filmindustrie erneuern, wenn nicht neu schaffen müssen.

"Mit 20 wirst du sterben" im Kino: Das Leben am Nil folgt im Sudan alten Sufi-Traditionen - Szene aus "Mit 20 wirst du sterben".

Das Leben am Nil folgt im Sudan alten Sufi-Traditionen - Szene aus "Mit 20 wirst du sterben".

(Foto: MissingFilms)

Er hat viele Laien vor die Kamera geholt, neben Theaterleuten aus dem Ausland, Islam Mubarak und Mahmoud Elsaraj, die einen hat er zum Spielen animiert, die anderen ihrer allzu sicheren Routine entwöhnt. Am Tag, da er zu drehen begann, im April 2019, gab es die Revolution im Sudan, die den Diktator Omar-al-Baschir entmachtete, ein Neubeginn - der Film ist den Opfern dieser Revolution gewidmet. Er lief dann 2019 auf dem Festival in Venedig und war 2021 der erste Film aus dem Sudan, der für den Oscar eingereicht wurde.

In Muzamil regt sich Widerstand: Ist doch nicht alles vorherbestimmt?

Die politische Aufbruchstimmung bringt den Film zum Vibrieren, bringt ein Moment der Hoffnung in die ausweglose Geschichte, und unter dem Druck der Prophezeiung wird Muzamil zum Sophisten. Zählt die Zeit der Schwangerschaft da mit, fragt er, in einer Mischung aus Verzweiflung und Sarkasmus. Hat der Scheich gesagt, wie ich sterben werde? Der Tod ist immer gleich, erwidert die Mutter.

Die Helikoptermutter, die Frau in Schwarz verkörpert das Verbot, die Lebensferne, die Leugnung des Lustprinzips - das Patriarchat. Muzamil gerät bald an einen Ersatzvater, Suleiman, der ein altes Haus bewohnt im Dorf: "Ein gefährlicher Saufkopf mit schlechtem Ruf". Auch Suleiman war in der Welt unterwegs, Kairo, Berlin, Paris, Südafrika...

Er ist dafür, die Zeit zu nutzen, die einem bleibt, er steht für die Liebe, den Sex, die Prostitution, die Sünde - die Freiheit. Und für das Kino, in seinem Haus hat er Plakate, Fotos und alte Filmkopien gesammelt. Einmal schaut Muzamil fasziniert eine Filmszene mit der Tänzerin Hanouma an, die sich mit einer aufreizenden Selbstsicherheit vor der Kamera bewegt - eine Hommage an den ägyptischen Filmemacher Youssef Chahine, dem Amjad Abu Alala sich verpflichtet weiß.

Wenn die beiden Liebenden dann noch einmal zusammen sind, ist das Zimmer finster, im schwachen Licht tanzen zarte Staubkörnchen. "Ich bin wie du", sagt Naima, "ich belüge mich gern selber. Wenn ich dich frage, ob du mitkommst, sagst du: Morgen. Ich glaube, ich mag dieses Morgen." Sie sind einander ganz nahe, und wenn sie sich berühren und umarmen, läuft ein Schimmer über Gesicht und Hände, als wären sie Leuchtkörper, als würden sie aus dem Innern strahlen und damit den andern erleuchten.

You Will Die at Twenty, Sudan 2019 - Regie: Amjad Abu Alala. Buch: Yoousef Ibrahim, Amjad Abu Alala. Kamera: Sébastien Goepfert. Schnitt: Heba Othman. Musik: Amin Bouhafa. Mit: Mustafa Shehata, Moatasem Rashed, Islam Mubarak, Mahmoud Elsaraj, Bonna Khalid. Missingfilms, 105 Minuten. Kinostart: 25. 08. 2022.

Zur SZ-Startseite

Neu in Kino & Streaming
:Welche Filme sich lohnen - und welche nicht

Ein Löwe muss gegen Idris Elba kämpfen, das anarchistische Känguru von Marc-Uwe Kling ist zurück, und Sylvester Stallone lässt sich als müder Superheld zum Einsatz bitten. Die Starts der Woche in Kürze.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: